Ein spektakulärer Kampf entstand, der von den Wachen mit großer Begeisterung beobachtet und bejubelt wurde. Aus jeder Ecke der Burg drängten sich Gesichter der Bediensteten, die dieses Duell nicht verpassen wollten.
Bellzazar und Desiderius schenkten sich nichts. Zum ersten Mal waren sie gleichberechtigte Gegner. Ihr Schwertkampf verlangte beiden ihr bestes Können ab.
Ihre leichten Leinenhemden hingen in Fetzen, der weiße Stoff wies Blutflecken auf. Beide hatten Schnittwunden an Armen und Rücken. Schweiß rann an ihren strammen Körpern hinab, machte ihre Kleidung feucht und ihre Haut glitschig. Sie keuchten außer Atem. Aber ein Aufgeben kam ihnen nicht in den Sinn. Das Duell endete erst, wenn ein Sieger feststand.
Zu seiner eigenen freudigen Überraschung, gewann Desiderius die Oberhand. Er schlug mit einem gezielten Schlag dem Halbgott das Schwert aus der Hand; es kam unweit von ihnen klirrend auf der Mauer zum Liegen.
Desiderius trat seinem Kontrahenten die Beine fort und baute sich triumphierend über ihm auf, als dieser mit einem Grunzen auf den Rücken fiel.
Keuchend, aber grinsend zeigte Desiderius mit der Spitze seiner Klinge auf die Nasenspitze des Halbgottes. »Ihr seid besiegt.«
Bellzazar legte zweifelnd den Kopf schief.
Noch bevor Desiderius reagieren konnte, packte Bellzazar seinen Fußknöchel und brachte ihn zum Straucheln.
Der Halbgott sprang zurück auf die Füße, packte Desiderius’ Arm und drehte ihn mit einem Ruck nach hinten.
Vor Schmerzen aufschreiend ließ Desiderius sein Schwert fallen, weil sich seine Hand ohne sein Zutun öffnete. Er spürte ein Knie, das sich in seinen Rücken bohrte, und eine Hand, die in sein Haar fasste, zupackte und ihn zurückriss. Plötzlich hatte er eine Dolchklinge an der Kehle.
Triumphierend flüsterte der Halbgott ihm ins Ohr: »Ihr seid besiegt.«
Keuchend stellte Desiderius fest: »Ihr kämpft ungerecht.«
»Merkt Euch das, Bursche«, erwiderte Bellzazar. »Männer, die um ihr Leben kämpfen, kämpfen stets ungerecht.«
»Ich werde es nicht vergessen«,
»Braver Junge.«
»Bellzazar!«, rief eine milde tadelnde Stimme zu ihnen hinauf.
Als sie sich dem Mann zuwandten, der unterhalb der Mauer stand und zu ihnen hinaufblickte, bemerkten sie erst, dass sie während ihres Kampfes dem Mauerverlauf bis zum Vorderhof gefolgt waren.
Die Tore standen offen und purpurfarbene Kutschen und eine Schar Ritter in glänzenden Rüstungen auf gestriegelten Rössern versammelten sich nach und nach im Burghof.
»Lass den Jungen los, Bellzazar«, trug der Mann dem Halbgott auf, ein amüsiertes Lächeln umspielte seine Lippen, während er zu ihnen aufsah. Er war ein großer, imposanter Mann mit blondem Haar, blauen Augen und einem stattlichen Körperbau. Ein Mann, vor dem man Respekt hatte. Er trug recht einfache Kleidung, nur ein Leinenhemd und eine dunkle Lederhose, doch sein purpurfarbener Samtumhang zeugte von königlichem Auftreten.
Bellzazar ließ Desiderius los, der sofort seinen Hinterkopf rieb, weil der Halbgott ihm einige Haare ausgerissen hatte.
Bellzazar neigte das Haupt in Richtung des Mannes. »Mein König.«
Damit wandte er sich ab, hob sein Schwert auf und ließ Desiderius allein auf der Mauer zurück.
Etwas peinlich berührt, weil er vor den Augen des Königs versagt hatte, schluckte Desiderius schwer und blickte befürchtend auf den König hinab.
Dieser lächelte nur milde, neigte sein Haupt zum Gruße, obwohl er es als König nicht tun musste, und wandte sich dann ab. Sein Umhang schleifte auf dem Boden und wehte ihm hinterher.
Desiderius hob sein Schwert auf und lief die Mauer entlang, bis er zurück im Garten war. Dort kletterte er hinunter und eilte schnell durch die grünen Büsche. Er würde keine Zeit mehr haben, um sich umzuziehen und sich das Blut abzuwaschen, aber der Ärger, wenn er zu spät käme, wäre noch größer. Er musste neben seinem Vater stehen, sobald der König die Halle betrat.
Er wollte fortlaufen, statt in die Burg zurückzukehren. Und doch war es ihm wichtig, nach der Blamage auf der Mauer, dem König zu zeigen, dass er mittlerweile ein Mann und kein stures Kind mehr war. Desiderius wollte vom König als vollwertiger Mann angesehen werden. Mehr noch, als er sich wünschte, dass sein Vater stolz auf ihn war.
***
»Wie siehst du denn aus?« Seine Stiefmutter schnappte schockiert nach Luft und hob die Hand zu ihren schmalen Lippen. »Seht ihn euch an! Ein erwachsener Mann und doch so unkontrollierbar wie ein Bengel! Woher hast du diese Wunden? Warum ist dein Hemd zerrissen?«
Desiderius hätte ihr gern gesagt, dass sie nicht so hysterisch sein sollte, er hatte nur in einem Duellkampf verloren und sich nicht in Dreck gesuhlt.
Sein Vater unterbrach jedoch jede Diskussion, indem er sagte: »Egal, vergesst das, wir sprechen später darüber.«
»Aber ... er muss sich umziehen! Sich das Blut abwaschen!«, warf seine Stiefmutter ein.
»Und den Schweiß«, mischte sich auch sein Bruder ein und hielt sich angewidert die Nase zu.
»Hast du mit einem Puma gekämpft?«, fragte seine Schwester aufgeregt.
Desiderius lachte amüsiert über ihre kindliche Fantasie.
»Schluss jetzt«, unterbrach der Lord das Durcheinander. »Desiderius wird sich waschen und umziehen, sobald wir den König in Empfang genommen haben. Ende der Diskussion. Und jetzt kommt, die königliche Familie wartet sicher schon auf uns.«
Sie verstummten, als er ihnen mit großen Schritten vorausging.
Desiderius musste noch einen missbilligenden Blick seines Bruders über sich ergehen lassen, dann folgte auch er.
Sie traten aus der großen Halle und schritten die Stufen zum Hof hinunter.
Der König hatte den Hof schon für sich eingenommen und rief Befehle von einem zum nächsten Ritter, die außerhalb der Burg ihre Zelte aufschlagen mussten. Die Pferde sollten im Burgstall untergebracht werden, weshalb der König dem Stallmeister ganz gewissenhaft eintrichterte, wie er die königlichen Rösser zu behandeln hatte. Währenddessen stiegen nach und nach die Kinder aus den Kutschen.
Der König erblickte die Familie M’Shier und nickte ihnen lächelnd zum Gruß zu, doch er ließ den Lord der Burg solange warten, bis er seinen Untergebenen alle Befehle erteilt hatte. Der König war ein geschäftiger Mann, der alles selbst in die Hand nehmen wollte.
An den Ställen erblickte Desiderius Bellzazar, der unter dem niedrigen Dach an einem Gatter lehnte und provozierend zu ihm rüber grinste. Er freute sich stets darüber, wenn er einen Kampf gewonnen hatte. Und er war sich nicht zu schade, Desiderius mit dessen Niederlage zu reizen. Sie lieferten sich ein Blickduell, das vermutlich in den nächsten Tagen zu einem weiteren Schwertkampf ausarten würde.
Plötzlich spürte er eine Hand an seiner Schulter, die sein zerfetztes Hemd packte und ihn zur Seite zog. Überrascht stellte er fest, dass sein Vater ihn an seine Seite befördert hatte.
Aber nicht nur Desiderius starrte den Lord fassungslos an, auch die restlichen Familienmitglieder. Für gewöhnlich stand sein Vater rechts neben seiner Gattin in der Mitte. Neben seiner Frau stand ihre gemeinsame Tochter Silva und neben dem Lord selbst stand sein ehelicher Sohn Arerius. Erst dann kam Desiderius, der mit etwas Abstand neben seinem Bruder stehen musste. Aber heute haben die Brüder die Plätze getauscht.
Lord M’Shier blickte mit stolz erhobenem Kinn dem König entgegen, der mit seiner großen Familie auf sie zukam. Er ignorierte die fragenden Blicke seiner Frau.
»Was soll das?«, zischte Arerius leise zu Desiderius.
Desiderius wandte sich