Ein junger Mann, mit einem auffallenden Mädchengesicht, gibt mir Unterwäsche, die mir wie ein Geschenk des Himmels erscheint nach der langen Zeit der Nacktheit unter meinem Umhang und den kläglichen Versuchen, mir später aus Lederresten Unterwäsche zu schneidern. Die Unterwäsche zum Binden, aus weicher Schafswolle, empfinde ich wie einen Traum aus Watte, denn ich spüre sie kaum auf meiner abgehärteten Haut.
Wie befohlen werde ich zum größten der Zelte geführt.
Das Banner erscheint mir aus der Nähe noch furchterregender und grausamer. Was werden die Männer mit mir anstellen?
Im Zelt mustert mich der Hüne mit neugierig forschenden, aber nicht unbedingt feindseligen Augen.
Meine innere Anspannung bleibt, aber wenigstens lässt die Angst etwas nach.
Ich fühle eine Spur Wohlwollen in meinem Gegenüber. Das Lachen nach meinem peinlichen Malheur klang ehrlich und herzhaft. Nicht wie das zynische Gelächter von Schlächtern, die ihre Opfer vor der Exekution noch verhöhnen.
Die beiden anderen Männer im Zelt tragen ebenfalls, die mir durch mein eigenes Schwert so vertrauten, Waffen. Der Kleinere der beiden füllt mehrere Becher Wein und reicht den ersten, mit einer von einem Lächeln begleiteten Verbeugung, dem Hünen. Nach und nach reicht er jedem einen Becher. Als letztes erhalte auch ich einen vollen Becher.
Der Becher - eher ein filigraner Kelch - liegt schwer in meiner Hand und die unerwartete Begrüßung verunsichert mich mehr als sie mich beruhigt. Auf der Weinoberfläche erkenne ich nicht nur die sich spiegelnde Innenseite des Kelches, sondern auch die durch mein Zittern verursachten kleinen Wellen. Vergeblich versuche ich den Becher ruhig zu halten. Mir zuprostend, einen Schritt auf mich zugehend, richtet der Hüne das Wort an mich: »Lord Geward, ich freue mich Euch in meinem Zelt begrüßen zu dürfen.«
Während er den übrigen Männern ebenfalls mit größter Höflichkeit zuprostet, überschlagen sich meine Gedanken.
Meinen verwunderten Gesichtsausdruck gewahrend, dreht sich der Hüne um. Jetzt erst bemerke ich das Schwert auf dem altarähnlichen Tisch. Er nimmt meine Waffe und tritt direkt vor mich und reicht sie mir.
Es ist mein Schwert, zweifellos, ich erkenne deutlich die von meinen Gravierarbeiten abgenutzten Stellen. Seinen auffordernden Blick folgend, nehme ich es an mich.
Immer noch weiß ich nicht, wie ich mich verhalten soll und suche fieberhaft nach einem Ausweg.
Mit einem Anflug von Unsicherheit oder besser Unwissenheit, lächelt der Hüne mir zu und sagt: »Lord Geward, Bruder, seid versichert, wir alle sind froh Euch am Leben anzutreffen. Die Nachricht, vor über zwei Jahren, Ihr seid im Kampf um Konys gefallen, hat das ganze Land erschüttert. Aber erlaubt mir eine Frage, wie konntet Ihr entkommen und wo wart Ihr die letzten zwei Jahre? Niemand, bis auf einige Lastpferde, hat das Gemetzel überlebt. Wir alle möchten auch unser Bedauern ausdrücken, Euch nicht sofort erkannt zu haben. Aber Ihr müsst zugeben, Ihr habt Euch sehr verändert und... und ohne Euer Schwert, wir haben es in einer Schäferhütte gefunden... und warum zum Teufel habt Ihr Euch nicht zu erkennen gegeben.«
Etwas zornig setzt er noch nach: »Und was sollte Euer Auftritt am Feuer, Euch zu nässen wie ein Kleinkind. Ihr habt uns und Euch dem Spott aller ausgesetzt. Was sollte das?«
»Ich... ich weiß nicht, ich kann mich nicht erinnern, ich weiß nicht, wo ich war und was geschehen ist«, stammle ich verzweifelt - obwohl das eigentlich sogar die reine Wahrheit ist.
Das Stottern und den Unwissenden zu spielen, fällt mir nicht schwer. Ich weiß ja wirklich nicht, was vorgeht.
Die zornige Miene des Hünen entspannt sich und er erwidert: »Ja, ja Lord Geward, ich habe mir schon etwas Derartiges gedacht.«
»Sicher, wurdet Ihr in Konys so schwer verletzt, dass Euer Verstand das Erlebte ausradierte und einer dieser nichtsnutzigen Bauern hat Euch schlecht versorgt, anstatt Euch auf Burg Aldara zu bringen. Zweifellos wurdet Ihr auch noch ausgeraubt, wenn ich Eure Kleidung so betrachte. Wenn ich das Bauernpack finde, werde ich ihm mit eigener Hand, die Haut vom Körper reißen!«, ereifert sich der Hüne.
Immer noch weiß ich nicht, wie mir geschieht.
»Und Lord Geward, was Euer Missgeschick, zweifellos durch Eure Krankheit verursacht, angeht, habe ich Order gegeben, darüber zu schweigen. Wer das Schweigen bricht, dem schneide ich persönlich die Zunge aus seinem verlogenen Maul und esse sie mit heißem Öl zum Frühstück!«, setzt er immer noch ernst hinzu.
»Auf Eure Gesundheit, Lord Geward«, lacht er.
Mit diesen Worten prostet er mir zu. Die Angelegenheit scheint damit beendet zu sein.
Ich setze, seinem Beispiel folgend, meinen Becher Wein an die Lippen. In dem Bewusstsein seit Wochen keinen Alkohol mehr getrunken zu haben, nippe ich nur. Um Zeit zu gewinnen, die Gedanken und die neuen Eindrücke zu verarbeiten setze ich den Becher als letzter ab und stelle ihn zu den anderen, auf eine aufwendig mit Schnitzereien und Goldeinlage verzierte, kleine Truhe, gerade so groß, dass ein Lastpferd sie noch tragen kann.
Tausende Gedanken rasen durch meinen geplagten Kopf. Wie konnte eine so kleine Reitergruppe ein solch prunkvolles Zelt ausrüsten. Ich schiebe die Frage zur Seite. Schließlich wurde der Hüne von den anderen als König Aldara angesprochen. Ein König, der mich offensichtlich als seinen Gefolgsmann, Lord Geward ansieht.
Erleichtert bemerke ich, im Moment beobachtet mich niemand besonders und ich habe Zeit die Eindrücke der letzten halben Stunde zu sortieren.
Nachdem alle Becher geleert sind, entscheidet König Aldara, »Es ist Zeit zu Essen.«
Gleich darauf weist König Aldara einen älteren Mann mit grauem Stoppelbart und runzliger Haut, gleich einem Schrumpfkopf, an, mir angemessene Kleidung zu geben.
Eine Stunde später sitze ich an einer prachtvoll gedeckten Tafel. Es gibt Berge verschiedenen Fleisches und frischgebackenes, mit gehackten Nüssen verfeinertes Brot. Seit Wochen träume ich von frischem Brot und jetzt halte ich es in Händen. Ich betrachte das Brot wie ein Wunder! Es muss ein Wunder sein, ein Geschenk Gottes: nach der trockenen Wüste und meinem Einsiedlerleben in der Hütte.
König Aldara bemerkt mein Zögern das Brot zu essen und ruft mir verschmitzt lächelnd zu: »Verzeiht mir, Lord Geward, hätte ich gewusst, Euch hier zu treffen, hätte ich sicher Euren geliebten Honig als Proviant mitgeführt. Aber nachdem keiner meiner Männer dem Honig, wie sonst nur die Frauen, verfallen ist, müsst Ihr mit den harten Speisen der Männer vorlieb nehmen und Eure süßen Gelüste bis Burg Aldara zurückstellen.«
Augenblicklich brüllt die ganze Tafel über den Witz des Königs. Scheinbar bin ich in dieser Welt ein Schleckermaul und Süßes ist scheinbar wohl den Frauen vorbehalten. Zufrieden und entspannt reihe auch ich mich in das laute Gelächter ein.
Während die Becher immer wieder mit frischem Wein gefüllt werden, den auch ich mit jedem neuen Becher mehr und mehr in vollen Zügen genieße, verschlinge ich Berge an Fleisch und dem fremdartigen, aber ausgezeichneten Nussbrot.
Meinen Vorsatz, kein Fleisch mehr zu essen, habe ich bei diesem Anblick an Überfluss längst vergessen.
Auch König Aldara bleibt mein Fleischhunger nicht verborgen und auch er, bereits schwer vom Wein geschlagen, grölt in die Runde: »Lord Geward, mögen die Götter wissen, wie Ihr überlebt habt, vielleicht haben die Götter persönlich Euch geheilt, aber ordentlich verpflegt haben sie Euch sicher nicht!«
Das einsetzende Grölen übertönt jedes andere Geräusch und vertreibt auch noch den letzten Rest Argwohn gegen diese Männer, die mich so herzlich aufnahmen und mich verköstigen wie einen Ehrengast.
Nach und nach ergreifen immer mehr Männer das Wort.
»Es lebe Lord Geward, der oberste Kriegsherr des Königs«, höre ich aus der anderen Seite der Tafel.
Ein betrunkener Junge, vielleicht sechzehn, steht von einigen anderen gestützt, auf und lallt: »Lord Geward ist zurück, es lebe