Der erste Blick zur Hütte zeigt mir in beruhigender Sanftheit: Keine neue Welt, kein Albtraum! - Die Nacht der zusammenphantasierten Schrecken ist vorbei. Das lautstarke Einsetzen der nicht mehr so zahlreichen Vogelstimmen beruhigt mich endgültig.
Glücklich darüber genug Vorräte mitgenommen zu haben, frühstücke ich kurz und bin rundum mit mir zufrieden. Mit jeder gekauten Nuss steigt meine Entdeckerfreude. Noch die letzten Nusssplitter zwischen den Zähnen balancierend, mache ich mich auf den Weg ins Ungewisse.
Je näher ich dem Blockhaus komme, um so deutlicher erkenne ich, es ist nicht nur leer, sondern auch mindestens so lange wie die Brücke unbenutzt.
Die letzte Anspannung verschwindet aus meinem Körper und ich wandere immer zügiger, singend und pfeifend wie der glücklichste Sommerfrischler Richtung Hütte.
Das Dach aus schweren Holzschindeln scheint, zumindest aus der Entfernung betrachtet, intakt und dicht zu sein. Auch Fenster und Türe dürften in Ordnung sein. Die Treppe an der eingebrochenen Veranda dagegen ist nur noch in Fragmenten erhalten.
Der angrenzende Holzverschlag, vermutlich früher einmal eine Scheune oder Stall, lehnt sich derart zur Seite, dass er nur noch durch die Hilfe einer nebenstehenden Eiche am Einsturz gehindert wird.
Fünf Meter vor der Veranda ist ein Brunnen. Der danebenstehende hölzerne Trog ist kaum mehr als solcher zu erkennen.
Ein Fachmann der Spurensicherung der Kriminalpolizei hätte sicher bestimmen können, wie lange das Anwesen unbewohnt ist. Ich weiß nicht einmal, wie alt ein Blockhaus werden kann, wie lange der Verfall dauert; zehn Jahre oder hundert Jahre, ich habe keine Ahnung.
Die aus der Entfernung intakt aussehenden Fenster zeigen sich jetzt beim Näherkommen als armselige Überbleibsel aus Glassplittern und Spinnweben. Die Haustüre lehnt nur noch im Türstock, die eisernen Scharniere haben längst den Kampf gegen Wind und Regen verloren und sich in besten Rost verwandelt.
Jedenfalls kann ich mir wenigstens sicher sein: Hier lebt seit langem niemand mehr und auch für mich besteht keine Gefahr vor unbekannten Gegnern.
Mit der größten Spannung eines Entdeckers - die ich zum letzten Mal in meiner Kindheit empfand, als ich mit Freunden ein leerstehendes Haus nach Schätzen und Geheimgängen durchsuchte, letztendlich aber doch nur die Abfälle und das Lager mehrerer Landstreicher fand - blicke ich durch eines der Fenster an der Vorderseite.
Die Hütte besteht aus einem einzigen Raum, beherrscht durch einen über eineinhalb Meter breiten, offenen Kamin, oder besser einer Feuerstelle, die auch als Kochstelle diente.
Die Reste einer schweren Kette in der Mitte der Feuerstelle, zum Aufhängen eines Kessels, erinnert mich daran, wie angenehm wieder einmal eine warme Mahlzeit wäre. Sogar ein Eintopf, den ich mein ganzes Leben lang verschmähte und verachtete, wäre jetzt ein königliches Mahl. Alleine der Gedanke an eine warme Mahlzeit füllt meinen Mund mit Wasser und ich muss es in großen Portionen hinunterschlucken.
Vor meinen Augen sehe ich eine Bauernfamilie mit fünf oder eher acht Kinder, die mit freudiger Erwartung und großen, glänzenden Augen das Festmahl aus Kartoffeleintopf, Dörrfleisch und frisch gebackenem Brot herbeifiebern und den dampfenden Kessel keinen Augenblick aus den Augen verlieren. Einen Bauern, der das Brot bricht und verteilt. Mein Gott jetzt sehe ich auch noch die Bäuerin, die jedem einen vollen, dampfenden Holzteller, auf den Tisch stellt. Eine warme Mahlzeit: mein Traum.
Wieder schlucke ich das Wasser in meinem Mund hinunter, dieses Mal aber bedeutend bedrückter.
Ich reiße mich aus den traurigen Gedanken los und öffne oder besser stelle die Haustüre zur Seite und betrete seit Wochen das erstemal wieder ein von Menschenhand gebautes Haus.
Das erste Knacken der Bodenbretter empfinde ich als derart unnatürlich, dass ich sofort erschreckt zurücktrete und es mir erst im zweiten Anlauf gelingt den Raum zu betreten.
Ich erwarte einen muffigen Geruch, aber hier ist die Luft genauso frisch wie draußen, was mich nach weiterer Überlegung auch nicht wundert. Die zerstörten Fenster sorgen für eine mehr als ausreichende Luftzufuhr. Der einzige Geruch, den ich aufnehme ist der feuchte, aber nicht faulige des immer noch vom Regen nassen Holzes.
Der rohe Fußboden ist in ausgezeichnetem Zustand. Offensichtlich ist das Dach im Großen und Ganzen dicht. Ein Blick nach oben zeigt mir nur wenige, durchscheinende Stellen. Ich hätte nie gedacht; ein Holzdach würde dicht halten, während Türscharniere aus Eisen, aus ihren Verankerungen rosten.
Ich denke an den alten, aber trotzdem nicht weniger überflüssigen, dummen Spruch: »Man lernt nie aus.«
Links von mir, Richtung Westen, gibt es ein offenes Regal, in dem unter Bergen von Laub und Spinnweben ordentlich mehrere Krüge, Schüsseln und Teller gestapelt sind. Darunter finde ich - mein Entdeckerdrang ist kaum noch zu bremsen - einen riesigen, über und über mit grüner Patina bedeckten, Kupferkessel. Der Kessel, der früher sicher herrlich heißen Eintopf enthielt, ist jetzt ein Massengrab für unzählige Insekten.
Gegenüber steht ein schwerer Tisch, umrahmt von fünf Stühlen. Einer der Stühle, direkt unter dem offenen Fenster, hat keine Sitzfläche mehr und auch die Lehne hängt verrottet schräg nach vorne auf den Tisch. Das leichte Berühren lässt ihn, begleitet von einem dumpfen Schlag und einer Staubwolke, in sich zusammenbrechen.
Der Stuhl, nähe der Raummitte, erscheint mir am tragfähigsten. Mit einer Handbewegung wische ich Laub, Staub, Blätter und Blüten beiseite und setze mich übervorsichtig. Der Stuhl ächzt unter der neuen, ungewohnten Last; aber er hält.
Nach wochenlangem Leben auf der Erde, fühle ich mich wie ein König auf seinem Thron. Die Geräusche der Anstrengung, die mein neuer Thron von sich gibt, als ich mich auch noch gegen die Lehne abstütze, mindern das Wohlgefühl der Zufriedenheit nicht im mindesten und ermahnen mich nur mein Gewicht besser zu verteilen.
Minutenlang schwebe ich auf Wolken. Langsam lasse ich meinen Blick kreisen und entdecke immer mehr Dinge in dem kleinen Raum.
Die Zivilisation hat mich wieder.
Sicher kein DVD Spieler, kein Kabelfernsehen, nicht einmal elektrisches Licht oder fließendes Wasser, aber doch ein richtiges Zuhause, ein Heim von Menschenhand gebaut. Meinen Gedanken nachhängend, döse ich bis zum Abend.
Mein Nachtlager errichte ich mir direkt vor dem steinernen Kamin, der sicher kalt ist, aber irgendwie beruhigend wirkt. Obwohl sich dieses Lager auf dem harten Fußboden kaum von denen der letzten Zeit unterscheidet, schlafe ich doch entspannt, traumlos, ruhig und ohne ein einziges Mal aufzuwachen tief durch.
Als ich am nächsten Tag erwache, ist es beinahe schon wieder Mittag. Die dunkle Geborgenheit der Hütte ließ mich nicht früher erwachen. Bereits nach der ersten Nacht fühle ich mich wie ein stolzer Schlossherr.
Nach meinem kleinen Apartment, in einer fast vergessenen Welt, bin ich jetzt stolzer Hausbesitzer.
Nein, in meine alte Welt will ich nicht mehr zurück. Hier bin ich frei. „Abenteuer und Freiheit.“
Nichts vermisse ich aus der alten Welt. Nicht einmal mehr den alten Daimler. Mir fällt ein, mangels Tabak seit Wochen Nichtraucher zu sein. Ich, der nie aufhören konnte, der alles Mögliche von Tabletten über Pflaster bis Hypnose versuchte, ein Vermögen für sinnlose Therapien ausgab und ich, der keinen Tag ohne zwei bis drei Schachteln auskam, ich, ich... Nichtraucher, es ist kaum zu glauben!
Ich lache laut auf.
Lache ausgiebig und immer lauter. Nicht das Lachen eines Irren, sondern nur das einfach und ungestüme Lachen eines glücklichen und zufriedenen Kindes.
Ich glaube, nicht einmal als Kind so gelacht zu haben. Als Kind hieß es immer: »Sei nicht so kindisch!« oder »Sei nicht so albern!«, später war lautes Lachen nicht »angebracht« oder »so etwas gehört sich nicht« ich höre noch die Spötter »Der lacht ja wie ein Esel.«
Heute, in meiner neuen Welt, lache ich so lange