Ihm fiel fast die Tüte mit den Boss-Stiefeln aus der Hand. Aber wirklich, der Mantel stand ihr ausgesprochen gut und er würde gut zum Fellbesatz der Stiefel passen.
Sophie hatte den Nerz gleich anbehalten und zog dazu die neuen Schuhe an. Karl spürte Appetit auf ein Fischbrötchen und wollte zurück nach Westerland fahren. Sophie war mehr nach einem Champagner mit Hummercocktail in der Sansibar, also fuhren sie nach Rantum. Sie gingen die Holztreppe hinunter, hüllten sich draußen in Decken ein. Die tief sinkende Sonne ließ die Dünen in weichem Licht erscheinen. Das Moos schimmerte und duftete unvergleichlich, das Meer donnerte zum Flügelschlag der Möwen. Schaumkronen bauten sich auf und fielen krachend an den Strand. Sophie setzte sich in Position, um von allen Seiten gesehen zu werden, kramte ihr Buch aus der Handtasche und legte es sichtbar auf den Tisch: Aphorismen von Oscar Wilde. Am Himmel bildeten sich Wolken wie kleine Wattebäuschchen, blau, rosa und fliederfarben durchzogen.
Der Wind hatte sich mittlerweile in einen Sturm verwandelt. Nebel streiften wie Dünengespenster über den Boden, der bleiche Umriss des Leuchtturmfeuers lugte spukhaft hervor. Karl erklärte Sophie auf dem Weg zu Söl‘ rings Hof, einem Zweisternerestaurant, wie das Meer von der Hörnum Odde und dem roten Kliff in Kampten jedes Jahr große Stücke ins Meer riss. Jahr um Jahr hinterließ der Wind tiefe Furchen im Kliff. Sophie hörte nicht zu, sondern versenkte ihren Blick in die untergehende Sonne und die Holzpflöcke, die anmutig im Abendrot standen.
Am späteren Abend ging es nach Kampen ins Pony. Für den folgenden Tag waren sie zum Champagnerfrühstück im Strönwai verabredet und zum Abendessen im Gogärtchen.
Sophie schaute aus dem Fenster. Frieden in Ultramarin, Türkis, Rosa, Orange und Lila. Das schräg stehende Licht glitzerte im Meer wie flüssiges Metall zum ohrenbetäubenden Donnern der Wellen. Die gemütliche Wärme vom Kamin zog wohlig durch ihren Körper. Champagner für alle, für immer! Glitzernde Partys und hervorragendes Essen mit snobistischem Flair. Sie liebte Sylt, wäre gerne länger geblieben. Auf anderen Inseln gab es keine Fischbude oder eine kleine Bretterbude mit Piratenemblem, die jeder kannte!
FRANKFURT – ZEHN MONATE SPÄTER
(Sophie Barradon: Das Einzige, das ich jetzt tun möchte, ist, mich hinzusetzen und ein Glas Schampus zu schlürfen!.)
Sophie klemmte sich fest an Karls Arm, als sie das Restaurant im Tigerpalast betraten. Amelie saß mit ihrem Freund Nils bereits am Tisch und verzog das Gesicht. Überschwänglich überreichte Sophie ihr einen dicken Strauß roter Rosen. »Alles Liebe zum Geburtstag, mein Kind!«
Amelie entwand sich Sophies Umarmung. »Karl, du hattest versprochen, solo zu erscheinen!«, flüsterte sie leise in Karls Richtung.
Unsicher und mit einer linkischen Bewegung drückte er Amelie an sich. »Ich konnte Sophie nicht allein lassen. Seit bei den Nachbarn eingebrochen wurde, hat sie abends Angst im Appartement«, hauchte er in ihr Ohr.
Sophie schritt elegant um den Tisch herum, sich umschauend und darauf achtend, ob die anderen Gäste ihre Anwesenheit wahrnahmen. Sie schaute jedem der Männer an den umliegenden Tischen aufreizend ins Gesicht. Dann wandte sie sich zu Amelie. »Karl hat keine Geheimnisse vor mir. So langsam solltest du dich daran gewöhnen, dass ich zu ihm gehöre«, sagte sie leise und tätschelte Karls Arm. »Wir können uns doch wie Freundinnen unterhalten, du musst mich nicht als Ersatzmutter aber auch nicht als Feindin betrachten.«
Amelie stöhnte und starrte an die Decke. Sie presste ihre schmalen Lippen aufeinander. Karl bestellte Champagner und bedeutete dem Kellner, dass er ein Menü vorbestellt hatte.
Sophie plapperte munter los. »Ich hatte ja geraten, in die Villa Merton zu gehen, doch Karl meinte, du hättest auf diesen Laden bestanden, na ja.«
»Sicher habt ihr dort diese Woche schon drei Mal gespeist, ich dachte, es wäre eine Abwechslung für Karl«, entgegnete Amelie kalt.
»Was macht dein Studium?« Karl blickte Amelie warm an.
»Ha», stieß Sophie aus, »mit BWL bekommt man kaum eine gute Stelle heutzutage, alles nur Praktikantenplätze. Warum hast du nichts Anständiges studiert?« Sie zupfte ihre Haare zurecht. In diesem Augenblick reichte der Ober den Champagner.
Karl erhob sein Glas und prostete den Damen und Nils zu. Amelie, Nils und Karl ließen die Gläser zusammenstoßen, es klirrte leise. Dann zog Amelie demonstrativ ihr Glas zurück, während die verblüffte Sophie mit offenem Mund ihres in der Luft über dem Tisch hielt. Karl klapperte mit seinem Glas an Sophies. Nils, etwas verwirrt, tat es ihm gleich. »Auf einen besinnlichen Abend!« Karl hatte einen laxen, ironischen Ton anstimmen wollen. Aber die Bitterkeit, die im Unterton durchklang, war nicht zu überhören.
»Wie oft soll ich dir noch erklären, Karl, dass man nur das Glas hebt und das Anstoßen andeutet? Du machst das wie ein Prolet«, flüsterte Sophie.
Amelie stieß ihr Glas kräftig an das von Karl und sagte laut »Nastrovje!«
Der Ober servierte den Langoustino Royal mit gefülltem Romana-Salat und Morcheln, fragte nach dem Weißwein.
Genussvoll schloss Karl die Augen: »Ein Gedicht!«
»Man kann es essen«, nuschelte Sophie. Ein Gespräch wollte nicht zustande kommen, jeder konzentrierte sich auf sein Gedeck.
Sophie starrte auf den zweiten Gang, schnitt ein Stück Fisch ab, probierte das Kraut. »Bäh, mit Schweinefuß, wie passt das zusammen? Fettig, nach Sau stinkend! Schmeckt grausig.« Angeekelt schob sie den Teller von sich weg.
»Ich finde es klasse!«, meinte Amelie mit vollem Mund und aß mit sichtlichem Appetit. Das folgende Bell-Lotaschwein mit Auberginen, Blutwurst und Apfelkaramell ließ Sophie stehen. Sie erhob sich und entschuldigte sich, ihr sei vom Anblick der Blutwurst schlecht geworden.
»Wie hältst du das bloß aus, Karl?«, fragte Amelie. »Die Frau ist eine Mäkeltante ohne Ende! Da bekommt man ja Depressionen! Nichts ist ihr recht. Das hier ist ein Sternerestaurant und das Essen ist wunderbar! Ich danke dir. Aber die Schnepfe hättest du besser zu Hause gelassen!«
»Irgendwie seid ihr beide euch spinnefeind. Das geht so nicht, Amelie. Du musst dir mehr Mühe geben. Sophie ist sehr empfindsam. Sie macht derzeit einiges mit ihrem Exmann durch wegen der Scheidung. Sie ist außerordentlich bemüht um dich! Du patzt sie nur an!« Die Enttäuschung sprach aus Karls Stimme.
»Es ist unerträglich, wie du sie in Schutz nimmst!« Eine Falte hatte sich auf Amelies Stirn gebildet, die ihren Ärger zeigte. »Bemüht um mich?«, sagte sie in verächtlichem Tonfall. Ihr Mund zog sich nach oben und ihr Blick rollte demonstrativ gegen die Decke. »Sie will mich von dir wegekeln. Sie nutzt dich aus und du registrierst das nicht!«
»Was du dir zusammenspinnst!« Karl war sichtlich enttäuscht. Seine Augen signalisierten eine klare Bitte, eher einen Befehl. Amelie wusste, dass sie in diesem Augenblick verpflichtet war, dem Wunsch nachzugeben, zumindest für heute.
Sie legte ihre Hand auf Karls große Pranke und sagte leise: »Du bist so ein guter Kerl und du merkst nicht die Bohne. Wie heißt es: Nicht die Bösen kommen in die Hölle, sondern die, die es immer gut meinen.«
Sophie kehrte an den Tisch zurück und Nils verzog sich. »Na, redet ihr über mich? Hoffentlich keine schlechten Dinge.« Sie lächelte Amelie überheblich an.
»Ich habe Karl gerade gesagt, wie sehr mir dein Kleid gefällt. Wirklich elegant. Ich wünschte, ich würde deinen Geschmack besitzen«, entgegnete Amelie sanft.
»Ruf mich an, wenn du einkaufen gehst, ich begleite dich gern. Apropos Stilempfinden: Dein Freund erinnert mich an Hollywoodfilme. Er wirkt wie Leonardo DiCaprio als arbeitsloser irischer Einwanderer in den Aufbauzeiten von New York. Das sieht furchtbar aus und zeugt nicht von Stil! Diese verbeulten Hosen von Bergfabel mit schlabberigem Hemd und diesem Hafersack-Jackett! Ja, Sack ist passend! Wenigstens