Wieder betrachtete er sein Terrain. Doch, er war zu Recht stolz und zufrieden. Es würde gut werden. Er schloss die Augen und sog die abendlichen Geräusche in sich ein. Er schnippte eine Ameise, die unvorsichtigerweise an seinem Bein hochgeklettert war, mit seinem Zeigefinger weg. Er konnte Insekten nicht leiden. Langsam ging er durch die hoch stehende Wiese. Irgendetwas stach ihn, ein Dornengewächs kratzte an seinem Bein. Er trat ärgerlich dagegen. Alles nur Kroppzeug. Er horchte. Der leise Verkehr in der Ferne, ein Treckerbrummen von den Rapsfeldern im Osten, das Entengeschnatter vom See. Himmlisch. Er verscheuchte eine Mücke, die ihn umschwirrte. Er hasste diese Biester. Irgendwo am See bellte ein Hund. Dann stellte er sich sein zukünftiges Grundstück vor. Grüner Rasen, ein Pool, Mauern drum herum. Keine Bäume, die machten Dreck. Nur die Tannen würde er stehen lassen. Keine Mücken. Eine große Garage. Ein überdachter Grillplatz, neben dem ein Strandkorb stand. Er würde Ordnung in das Chaos bringen. Bald schon würde er kommen und die Bäume und das übrige Gestrüpp ausreißen. Weg mit dem grünen Dreck. Der lockte nur das Ungeziefer an, Würmer, Wespen, Wühlmause und Schlimmeres. Er würde alles roden. Dann würden auch die Insekten verschwinden. Später käme der Rollrasen. Vielleicht ein oder zwei immergrüne Koniferen. Und eine Mauer mit schmiedeeisernem Tor, auf deren Pfeiler zwei Gipslöwen thronten. Er schaute über sein Grundstück, die Wiesen, den See. Doch, dies war ein guter Ort.
10. Der juckende Heinrich
Es juckte an seinem Kinn. Heinrich der Löwe kratzte sich. Er puhlte etwas Hartes unter seinen Fingernägeln hervor. In seinem Zelt war es noch finster, aber die ersten Vögel waren erwacht und es erhob sich das frühmorgendliche Gezwitscher. Er kratzte sich noch einmal und drehte sich um. Jetzt juckte es in seinem Schamhaar. Er kratzte sich dort. Wieder blieb etwas unter seinen Fingernägeln hängen. Etwas sehr Kleines. Es war hart. Er quetsche es zwischen seinen kräftigen Fingern bis es knackte. Eine Laus. Das Bauernmädchen, die man ihm zugeführt hatte, drehte sich schnaufend auf die andere Seite. Er beugte sich zu ihr. Das Mädchen war kaum älter als 15 Jahre alt, fast noch ein Kind. Sie schnarchte leise. Er wandte sich ab, sie stank. Er mochte sie nicht, verstand von ihrem ängstlichen Gebrabbel kein Wort. Sie hatte schiefe Zähne und ihre ungekämmten, verfilzten Haare schienen ein Eigenleben zu führen. Sie hatte sich nicht gewehrt, sondern nur teilnahmslos auf der Bettstatt gelegen und gewartet, bis er fertig war. Sein Vergnügen war von sehr kurzer Dauer. Anschließend weinte sie leise vor sich hin, bis sie endlich in den Schlaf fiel. Grübelnd lag Heinrich noch lange wach und beobachtete die Schatten, die das Feuer der Wachen an die Zeltwand warf. Er vermisste seine anderen Gespielinnen, besonders die blonde Gertrud aus Sachsen, aber die hatte sich schlicht geweigert ihm in dieses kalte, nasse Land zu folgen. Vor drei Jahren, beim ersten Feldzug, war es anders. Da kannte sie diese Gegend noch nicht und hatte ihn bereitwillig auf den Kreuzzug begleitet.
Jetzt juckte es auch auf seinem Kopf. Er kratzte sich, wälzte sich fluchend von seiner Bettstatt und schlurfte an den dösenden Wachen vorbei nach draußen. Die Dämmerung zog herauf. Es war kühl, er fröstelte. Er wollte zurück unter sein Fell, aber er musste pinkeln. Er ging zum Rand des Lagers. Vor dem Zwinger mit den gefangenen Abodritenkriegern saßen Wachen am Feuer und dämmerten im Halbschlaf. Sie erkannten ihn, nahmen Haltung an und grüßten ihn mit einem Nicken. Die Gefangenen waren sitzend an die Holzstämme der Palisade gefesselt. Viele hatten blutige Wunden an Armen und Beinen, Kopfverbände. Einige stöhnten. Sie hatten die Schlacht verloren, vielleicht den ganzen Krieg, ihre Freiheit, ihr Land, ihre Familien. Es waren einfache Männer, die nur um ihre Freiheit kämpften. Heinrich der Löwe hätte es auch getan und selbst zum Schwert gegriffen. Er verspürte einen Moment lang Mitleid mit ihnen. Aber er wollte das Land, er stand mit seinem Wort in der Schuld des Papstes, Mitleid konnte er sich nicht leisten. Außerdem waren das Slawen und keine Christen. Wie lautete der Schlachtruf dieses Kreuzzuges? Taufe oder Tod!
Heinrich der Löwe pinkelte an einen Baum. Ein Gefangener erkannte ihn und lachte gackernd. Heinrich kratzte sich im Schritt. "Verdammte Bauernschlampe!", dachte er und durchfurchte mit den Fingern sein Schamhaar, aber das Jucken wollte genau so wenig aufhören wie das Lachen des Gefangenen, das immer schriller wurde. Es klang absurd in dieser Stille und dem frühen Vogelgezwitscher. Das Lachen hörte immer noch nicht auf. War der Slawe irre? Er lachte ihn aus, ihn, den König! Einer der Wachen schaute ihn fragend an und Heinrich nickte. Die Wache erhob sich, griff sich eine Lanze und umrundete den Palisadenzaun bis zum verrückten Abodriten. Heinrich der Löwe drehte sich um und betrachtete den See. Er konnte Blut nicht ausstehen. Das Lachen wurde lauter und ging plötzlich in einen lang gezogenen Schrei über, der in seinen Ohren immer noch wie Gelächter klang, bis es schließlich erstarb. Das Todeslachen des sterbenden Slawen hallte einen Moment lang wider über den leeren See, über den ein dünner Nebel aufstieg. Heinrich der Löwe zog seine Decke fest um seine Schultern. Das irre Gelächter klirrte immer noch in seinen Ohren, als er sich wieder in seine Bettstatt rollte und ließ ihn keinen Schlaf mehr finden.
11. Bürgermeisterflirt
"Ein schönes Örtchen haben Sie hier, Herr Bürgermeister!"
"Ja, da gebe ich ihnen recht." Bromberger hasste es, von fremden Leuten angesprochen zu werden, aber er hatte gelernt, den Leuten recht zu geben und nicht zu widersprechen. Das verlängerte nur das Leiden.
"Vielleicht dürfen Sie uns als neue Bürger begrüßen?", fuhr Katharina fort.
"Haben Sie ein Grundstück gekauft im neuen Wohngebiet?", wollte Bromberger wissen und hoffte, dass es so wäre. Ein weiterer Erfolg für seine Ansiedlungspolitik.
"Nein, wir interessieren uns mehr für alte Objekte mit eigener Geschichte und historischem Wert."
Bromberger ließ sein Auge über den Dorfanger gleiten. "Welches davon haben Sie denn im Auge?"
"Die alte Schule." Stolz schwang in ihrer Stimme.
"Oha." Der Bürgermeister nahm einen Schluck Bier. "Da haben Sie sich ja was vorgenommen!"
"So schlimm ist es auch wieder nicht. Mein Mann glaubt, das kriegen wir hin."
Bromberger dachte über den Unterschied zwischen begründetem Optimismus und grenzenloser Naivität nach.
Das eine war nützlich, das andere war gefährlich. Diese Frau war eindeutig gefährlich. "Sie sind aber mutig, Respekt!", sagte er und biss in seinen Kalbsbraten.
"Ja, das stimmt. Aber mein Mann hat Erfahrung und hat auch die nötigen Kontakte", antwortete Katharina eifrig.
"Kontakte sind nur so gut wie die liquiden Mittel reichen", dachte Bromberger und sagte: "Dann werden Sie es sicher schaffen."
"Bestimmt. Die Schule soll auch wieder zu einer Bildungseinrichtung werden", ereiferte sich Katharina.
"Nein, wirklich?" Das Gespräch nahm eine unerwartete Wendung. "Was kommt jetzt?", dachte Bromberger und nahm wieder einen Happen vom Kalbsbraten.
"Ja, ich will sie zu einem Bildungszentrum machen. Ökologie, Kultur, Sprachen und Ethik", erklärte Katharina.
"Auch das noch!", dachte Bromberger und sagte: "Das klingt aber interessant. Aber was genau meinen Sie mit Ethik?"
"Vielleicht nicht wirklich Ethik, eher Spiritismus im anthroposophischen Sinne. Eine Begegnungsstätte zwischen Natur und Religion. Eine Art spirituelles Zentrum für die Gemeinde. Was ich hier über die Rolle der Kirche gehört habe, das macht nicht viel Mut."
"Bestimmt hat die keine Kinder. Denn mit Kindern kommt man gar nicht erst auf so einen Scheiß", dachte Bromberger und fragte: "Wir sind ein kinderfreundliches Dorf. Haben Sie eigentlich Kinder?"
Katharina war sichtlich verblüfft und schüttelte den Kopf.
"Wusste ich es doch!", dachte Bromberger