Katharina zuckte zusammen: "Ich bin Vegetarierin und trinke keinen Alkohol, aber mein Mann isst auch manchmal Fleisch und trinkt auch mal ein Bier." "Oder auch zwei", fügte sie in Gedanken hinzu.
"Mein Gott, wie langweilig", dachte Bromberger und erklärte jovial: "Macht nichts, ich grille auch Grünzeug. Meine Paprikaschoten sind äußerst delikat. Und erst die Steinpilze ..." Er geriet ins Schwärmen.
Sie lachte und gab ihm die Hand.
"Arme Irre", dachte Bromberger während Katharina abdampfte. Trotzdem war er froh über diese Begegnung, so konnte er dem Dorfarzt ausweichen, denn der war mittlerweile gekommen und Bromberger war überfällig mit seiner jährlichen Routineuntersuchung. Leberwerte, Blutdruck, Blutzucker, Cholesterin. Gerade jetzt war auch noch Grillsaison. Der Besuch bei Dr. Hofkrampe musste warten.
12. Dorfarztnöte
Dr. Ralph Hofkrampe saß in seinem verdunkelten Behandlungszimmer. Das Wartezimmer war leer, die Sprechstundenhilfe hatte er nach Hause geschickt, niemand war an so einem Nachmittag krank. Morgen würde er wieder Sonnenbrände löschen müssen.
Um die Hitze auszusperren hatte er die Fenster geschlossen und die Jalousien heruntergelassen. Durch die schräg gestellten Lamellen drang gestreiftes Tageslicht in dem Staubflusen plötzlich auftauchten, dann verschwanden, nur um an anderer Stelle wieder unvermutet zu erscheinen. Der Doktor beobachtete eine schwirrende Fluse, die im gefächerten Licht hin und her gewirbelt wurde. Das Ballett der Staubflocken beruhigte ihn. Langsam bekam er seine Wut in den Griff. Auch die Valuron-Tablette, die er vor einigen Minuten in einem Anfall von Panik geschluckt hatte, begann zu wirken. Die Dinge verloren ihre harten Konturen und das Ende des Behandlungszimmers verschwamm in einem milchig-weißen Tunnel.
Vor ihm lag ein geöffneter Brief. Die Anwältin seiner Exfrau forderte einen zusätzlichen Unterhalt von eintausend Euro. Das hätte sie ermittelt und drohte schon einmal mit einer Klage. "Woher hat diese Furie die Zahlen?", fragte er sich. Er vermutete, dass sie bloß bluffte. Das machten Anwälte gerne. Er hasste Streit, aber er würde gezwungen sein, sich streiten zu müssen. Er hatte das Geld nicht. Er war Arzt. Aber das allein reichte nicht. Als Dorfarzt stand man nicht an der Spitze der Nahrungskette. Beileibe nicht. Es reichte noch nicht mal für ein neues Motorboot. Geld war der Ausweg für alles. Er brauchte zusätzliche Einnahmen. Er atmete ruhig, die roten Flecken in seinem Gesichtsfeld verschwanden endgültig. Er liebte Valuron.
Er fuhr seinen Rechner hoch und googelte ein paar alte Bekannte. Dann loggte er sich bei "Stayfriends" ein und begann nach ehemaligen Studienkollegen zu suchen. Was machte eigentlich dieser snobistische Saufkumpan aus dem Anatomie-Grundkurs, wie hieß er noch einmal, Klaus? Ja, wie weiter? Klaus ... nee, Sommertal? Nein, auch nicht, Klaus Sommerfeldt, genau so hieß sein alter Kumpel. Er hackte den Namen in das Suchfeld und Sekunden später wurden ihm die Ergebnisse angezeigt. Über 12.000 Einträge. Respekt, der Mann war inzwischen eine kleine Berühmtheit in der Schönheitschirurgie. Damit ließ sich Geld verdienen. Ralph Hofkrampe griff zum Telefon, überlegte sich einen Vorwand und rief ihn an.
13. Luftgeld
"Wie, Du weißt nicht, ob du Geld hast oder nicht?", meckerte Katharina und knallte die Kaffeetasse auf die hölzerne Tischplatte, so dass der ganze Tisch vibrierte und der Kaffee über den Tassenrand schwappte. So kannte Wulf Lindau sie nicht. Katharina war eher der ruhige Typ, dachte er, und in den letzten zehn Jahren war auch nicht viel passiert um ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Das heute war eine Premiere. Jetzt kamen ihre andalusischen Wurzeln zum Tragen. Das Blut ihres Großvaters väterlicherseits, der als Tuchhändler aus Barcelona das kaiserliche Heer mit Stoffen beliefert hatte, pulsierte in ihren Adern und machte aus ihr einen Vulkan, der kurz vor der Explosion stand. Jetzt hieß es Druck aus der Sache zu nehmen.
"Ja, genau so ist es. Ich erkläre es dir."
Skeptisch zog Katharina ihre Augen hoch.
"Du weißt doch von dem Teichmann-Problem?" Sie nickte. Er hatte jahrelang die Messeauftritte des Baukonzerns Teichmann gestaltet und war in Folge der Liquiditätsprobleme des Konzerns auf einigen größeren Rechnungen sitzen geblieben. Die hatte er mit Hilfe seines Anwalts gerichtlich durchgesetzt und mittels Zwangsvollstreckung eingetrieben. Vor einigen Wochen hatte er dann endlich eine hohe Zahlung erhalten. Als einer der letzten Gläubiger, denn kurz danach kam das riesige Konzernschiff Teichmann ins Schlingern. Damals hatte er sich gefreut. Er konnte wieder durchatmen, die offenen Forderungen begleichen, fällige Steuern an das Finanzamt überweisen und sich selber einen kleinen Batzen Geld auf das Rücklagenkonto packen. Aber jetzt war der Baukonzern endgültig untergegangen und der Insolvenzverwalter hatte sich bei ihm gemeldet. Dieser forderte nun die gesamte, hart erkämpfte Summe von ihm zurück. "Gläubigerbevorzugung" war das Stichwort. Anfangs, als er das Schreiben des Insolvenzverwalters las, hielt er das noch für einen Witz. Aber sein Anwalt hatte ihn schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Der Insolvenzverwalter hatte Recht, zumindest teilweise. Alle Gelder, die sich Gläubiger innerhalb eines Zeitraums von zwei Monaten vor Gericht erstritten und vollstreckt hatten, konnten von ihm zurück gefordert werden, denn sie hätten sich so einen erheblichen Vorteil gegenüber den anderen Gläubigern verschafft, die auf den Klageweg verzichtet hatten. Die volle Summe - inklusive aller Steuern - sollte er zurück zahlen. Nach Abschluss der Insolvenz in einigen Jahren würde er nur die Quote bekommen, die alle Gläubiger erhielten. "Vielleicht zehn oder zwanzig Prozent", erklärte sein Anwalt. "Und wenn ich dadurch selber Pleite gehe?", fragte Wulf Lindau. Der Anwalt zuckte nur mit den Schultern. "Das interessiert keinen. Dann kommt nur der nächste Insolvenzverwalter und wickelt dann Ihren Laden ab."
"Ach du Scheiße!", stöhnte Wulf Lindau. "Das heißt, ich kann mich nicht dagegen wehren? Ich muss das zurück zahlen?"
"Im Prinzip: ja. Wenn Sie nicht zahlen wird Sie der Insolvenzverwalter von Teichmann verklagen. Darüber freut der sich auch noch, denn dann verdient er noch einmal daran. Er ist ja schließlich Anwalt und Anwälte verdienen immer", sagte er, zuckte mit den Achseln und grinste entschuldigend.
Wulf Lindau stieß einen Laut hervor, der an ein Röcheln erinnerte. "Sie können allenfalls mit Ihm verhandeln und eine Stundung des geforderten Betrages vereinbaren - wenn er sich darauf einlässt." Der Anwalt machte eine kurze Pause und vergewisserte sich mit einem Blick, dass Wulf Lindau bereit war weitere schlechte Informationen zu verdauen.
"Ich glaube, Sie haben das Geld gar nicht mehr oder haben es bereits verplant, richtig?" Wulf Lindau nickte. "Das war also nur Luftgeld?" "Ja. Sie sollten ab jetzt ganz vorsichtig vorgehen, mit dem Insolvenzverwalter reden, Zahlungspläne vereinbaren etc." Lindau nickte bloß. "Und wenn Sie in größere Schwierigkeiten geraten sollten, dann kann es auch für Sie persönlich eng werden", führte der Anwalt aus. "Wieso?" "Sie wissen, für die Lohnsteuer und den Anteil der Umsatzsteuer an den offenen Forderungen haften Sie auch privat." Wulf Lindau blieb das sarkastische Lachen im Halse stecken. Eine volle Stunde lang hatte er auf einer Bank an der Außenalster gesessen und auf die stahlgraue Wasserfläche gestarrt, auf der sich ein paar Möwen langweilten. Dann hatte er sich wieder gefasst, hatte einen groben Kassensturz gemacht und sich nach Hause gewagt.
Und jetzt saß er mit seiner normalerweise recht friedfertigen Frau an einem Tisch und musste sich beschimpfen lassen. Er erklärte ihr die Sachverhalte noch einmal.
"Das bedeutet, du bekommst gar kein Geld, sondern musst alles wieder zurückzahlen, richtig?"
Er nickte.
"Und Steuern musst du darauf auch noch zahlen, obwohl du gar nichts eingenommen hast?"
"Richtig."
"Blödsinn!"
"Nein, das heißt ja. Das ist Blödsinn, aber dieser Blödsinn entspricht der Gesetzeslage. Leider."