Erben der Macht. Christine Stark. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Stark
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742777645
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konnte ich noch nie.“

      Sebastian grinste zuerst. Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Er wirkte kurz abwesend. Eine Falte bildete sich zwischen seinen Augenbrauen.

      „Aber du hast mich doch schon einmal gemalt. Und zwar ziemlich gut.“

      Maya verstand nicht. „Hab ich?“

      „Das Bild in deinem Café“, sagte Sebastian bestimmt.

      Maya holte tief Luft. Verdammt! Was jetzt?

      „Das…“ sie stockte, wusste einfach nicht, was sie sagen sollte.

      „Du hast es nicht gemalt.“ Sebastians Stimme klang seltsam gedämpft. Blitzschnell griff er sich eines der zerknüllten Porträtversuche, faltete es auseinander und betrachtete Mayas verunglückte Linien.

      „Das heißt, du hast jemanden gedeckt.“ In seine Stimme mischte sich ein harter Unterton.

      „Ja“, bestätigte Maya leise. Was hatte es jetzt schon für einen Sinn, auszuweichen?

      „Wen?“, hakte er sofort nach. Und als Maya nicht antwortete, schnaubte er verächtlich. „Diesen Kerl, hab ich Recht? Den, der bei dir wohnt.“ Sein Ärger reizte sie.

      „Na und?“

      Hilflos warf Sebastian die Hände in die Luft. Die Zeichnung segelte über den Rand der Couch, doch Maya blieb keine Zeit, ihren Fall weiter zu verfolgen.

      „Na und? Sag mal, tickst du noch richtig? Du lässt dich beinahe töten…“ Sebastian schluckte und senkte seine Stimme wieder. Sie klang heiser, als er weitersprach. „Wieso hast du das getan?“

      Maya dachte an Rocco. An den wütenden, verletzten Achtzehnjährigen. Daran, wie er sie einen Feigling genannt hatte. Und mehr als fromme Wünsche hast du nicht, hatte er gesagt.

      „Weil dieser Mensch jung ist und dumm und impulsiv. Zornig und leichtsinnig und weil ich mich für ihn verantwortlich fühle.“

      „Verantwortlich?“, Sebastian blinzelte verwirrt.

      „Er ist Achtzehn.“ Sie sah förmlich, wie es hinter Sebastians Stirn arbeitete.

      „Achtzehn… wow… das ist jung… ich dachte nicht, dass du…“

      Maya verdrehte genervt die Augen. „Ja und du denkst in die ganz falsche Richtung. Er ist eher so etwas wie mein kleiner Bruder.“

      „Oh.“ Sebastian verstummte. Maya schüttelte den Kopf. Wie konnte er nur eifersüchtig auf Rocco sein? Das war kaum vorstellbar.

      „Mit kleinen Brüdern kenne ich mich aus“, begann Sebastian schließlich erneut. „Und ich kann dir sagen, sie sind für ihr Handeln ganz und gar selbst verantwortlich.“ Sein Blick war dunkel und schien durch sie hindurch zu gehen.

      „Und selbst wenn, es ist ja nicht so, als hättet ihr mich gehen lassen - in dieser Nacht vor meinem Laden - wenn ich euch erzählt hätte, von wem das Bild stammt. Zumindest habt ihr nicht so ausgesehen.“

      Schlagartig war er wieder im Hier und Jetzt. In seinen Augen lag etwas Flehendes, als er ihr mit seinen großen Händen sanft über die Wange strich.

      „Maya, es tut mir so leid.“

      Es war das erste Mal, dass er sich für diesen schrecklichen Überfall entschuldigte. Maya kam es so sinnlos vor.

      „Schon vergessen? Kleine Brüder sind für ihr Handeln ganz und gar selbst verantwortlich“, zitierte sie ihn und lächelte.

      „Außerdem“, ergänzte Maya und dachte an Rocco, der sie einen Feigling genannt hatte. „Nur weil dieses Bild von jemand Anderem gemalt worden ist, heißt das noch lange nicht, dass ich die Meinung, die es abbildet, nicht teile.“

      Sebastian blinzelte. „Du hältst uns für blutrünstige Monster.“ Es war keine Frage.

      „Nicht alle“, antwortete sie trotzdem und sah Sebastian fest in die Augen. „Aber ich halte dieses System für ein Monster.“ Sie sah, wie er sie aufmerksam musterte. So, als wollte er abschätzen, was sie als Nächstes sagen würde.

      „Diese Aura aus Druck und Angst, die ihr verbreitet. Die Macht, die euch euer Geld und eure Brutalität verleiht, ist degeneriert und falsch. Sie macht euch zu Herrschern über diese Stadt. Ihr stellt euch über das Gesetz und kauft euch eure Lebensweise. Aber das sollte so nicht sein. Es ist nicht richtig!“

      Maya verstummte abrupt und sah Sebastian forschend an. Hatte sie zu viel gesagt? Einige Sekunden rührte er sich nicht. Dann nickte er langsam.

      „Und du willst das ändern?“ Seine Stimme klang völlig neutral, so als hätte er sie nach der Uhrzeit gefragt.

      „Das kann ich nicht ändern“, antwortete sie resigniert.

      „Kannst du, oder willst du nicht?“ Immer noch war sein Tonfall lediglich interessiert.

      „Ich würde nicht die sein wollen, die es ändert. Ich wüsste auch nicht wie. Aber ich wäre definitiv auf der Seite des Widerstands“, gab sie nach längerem Überlegen zur Antwort.

      „Dann sollen sich die anderen für dich die Hände schmutzig machen?“ Jetzt konnte Maya die Herausforderung deutlich hören.

      „Niemand muss sich meinetwegen die Hände schmutzig machen“, antwortete sie gereizt und plötzlich sprudelte es aus ihr heraus. „Aber ich bin nicht diejenige, die andere anführt. Das war ich noch nie. Das können andere besser. Nach allem was ich gesehen und erlebt habe, graut mir vor Blutvergießen und Chaos. Seit Jahren versuche ich, dem zu entkommen. Ich passe mich an, ich falle nicht auf. Nur deshalb bin ich noch am Leben!“ Maya holte schluchzend Luft. „Und ich will leben!“, brachte sie noch hervor, ehe ihre Stimme versagte.

      Sebastian sah sie aus seinen blaugrauen, ruhigen Augen an. Die Zeit verstrich, doch keiner rührte sich. Schließlich brach er das Schweigen.

      „Vielleicht sollten wir einfach abhauen.“ Er meinte es ernst, das konnte sie in seinen Augen sehen. „Lass uns weggehen von hier. Und alles hinter uns lassen.“

      »Als ob es in diesem Land in einer anderen Stadt anders wäre«, antwortete sie automatisch. »Mit dem einen Unterschied, dass die, die mit Geld und Druck diese Städte beherrschen, nicht Mocovic heißen.«

      Sebastian zuckte für einen Moment unter ihrem bissigen Tonfall zusammen. Doch er ließ sich nicht beirren.

      »Ich meinte auch nicht, in eine andere Stadt. Ich meinte, in ein anderes Land. Weit weg.«

      Für einen Augenblick – und später sollte sie sich dafür geißeln, dass sie nicht länger darüber nachgedacht hatte – zog sie diesen Vorschlag tatsächlich in Erwägung. Mit Sebastian an ihrer Seite in Sicherheit. Nur sie beide. Doch im nächsten Augenblick dachte sie an Rocco, an Lisa und Mia. Und sie dachte an Victor, der Sebastian niemals aus den Augen lassen würde. Außerdem war sie eine Stratov. Und was würde er tun, wenn er das herausfand? Tränen rannen ihr über die Wangen und sie wischte sie nicht fort.

      „Das geht nicht, Sebastian.“

      „Doch, wenn wir…“

      „Nein, es geht nicht.“ Maya dachte an die Frau in ihrem Café. Es schien Ewigkeiten her zu sein. „Du sitzt hier genauso fest wie ich.“

      Unruhig stand Sebastian auf dem Gehsteig vor seinem Haus. Es war ein hektischer Sommernachmittag. Autos verstopften die Straßen auf ihrem Weg in den Feierabend und verdichteten den Smog, der über der Stadt hing. Die Wodrows waren spät dran. Wahrscheinlich steckten sie ebenfalls im Verkehr fest. Doch das war nicht der Grund, warum Sebastian sich fühlte, als hätte er mehrere Tassen Kaffee zu viel getrunken. Es war etwas in Elias‘ Blick gewesen – gerade eben, als Sebastian sich von Maya verabschiedet hatte. Eine Strähne ihres Haares hatte sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst und er hatte nicht widerstehen können, sie ihr zurück hinters Ohr zu schieben. Es war nur eine kleine Bewegung gewesen, doch sie