Auf jeden Fall war ich fest entschlossen, als ich kurz nach dem Angriff die Fähre zur Raumstation bestieg, nochmals um effektivere Waffen zu bitte und keine weiteren Ablehnungen der Bakarer mehr hinzunehmen.
Als sich die Fähre der Station näherte, konnte ich erkennen, dass diese stark beschädigt war. Große Teile schienen einfach aus ihr herausgerissen worden zu sein, überall klafften Löcher. Einige kleinere Raumschiffe der Bakarer schwebten in der Nähe der Aufbauten und schienen mit Reparaturen beschäftigt zu sein.
Meine Fähre legte an einem unbeschädigt wirkenden Teil der Raumstation an. Die Bakarer, die sonst für die Angelegenheiten unserer Siedlung zuständig waren, sah ich nicht. Ich fragte mich, ob sie die Ereignisse, die sich hier abgespielt hatten, überhaupt überlebt hatten. Ein automatisches Wegweisungssystem brachte mich gleich zu Kando, den ich bis zu diesem Zeitpunkt nur flüchtig kannte. Er nahm das Gerät entgegen, mit dem ich weisungsgemäß den Klumpen aus dem All abgetastet hatte und leitete es über irgendein internes Transportsystem unverzüglich weiter. Dann bot er mir einen Platz an und setzte sich mir gegenüber. Höflich erkundigte er sich nach der Siedlung auf Zwielicht und fragte, ob es irgendwelche Probleme gäbe. Ich berichtete von den zunehmend schlimmer werdenden Angriffen der Hornteufel und wiederholte meine Forderung nach wirkungsvolleren Waffen. Er sah mich an. „Vor knapp zwei Erdenjahren waren doch Besucher von der Erde bei Ihnen. Würden Ihnen Waffen der Art, wie diese bei sich trugen, genügen?“ Freya sah Angelika und mich an. „Ich hatte Eure Waffen ja nicht in Aktion gesehen, aber auf Grund der Berichte in Fernsehaufzeichnungen der Erde, die wir von den Bakarern ja von Zeit zu Zeit erhalten, wusste ich, dass sie unseren jetzigen Bogenwaffen auf jeden Fall weit überlegen sein mussten. Also bejahte ich seine Frage. „Würden Ihnen hundert Gewehre und eine entsprechende Menge an Munition genügen?“ Ich war verwirrt. Hatten sich die Bakarer bisher strikt geweigert, überhaupt über bessere Waffen zu diskutieren, boten sie mir jetzt gleich einhundert Gewehre an. Ich hatte im günstigsten Fall mit ein paar einzelnen Exemplaren, bestenfalls zehn Stück, gerechnet. Was war der Grund für diesen Meinungsumschwung? Ich überlegte nur kurz. Dann nickte ich. „Für den Anfang sollte das genügen, sofern sie die Munition nicht zu knapp bemessen.“ - „Sie werden eine ausreichende Menge erhalten. In spätestens einer Woche.“ Damit schien das Thema für ihn erledigt zu sein. Er kam wieder auf Euren Besuch zurück. „Wie sind sie eigentlich mit dem unverhofften Besuch von der Erde ausgekommen?“ - ‚Gut. Am Anfang haben wir uns zwar fürchterlich erschrocken, weil wir nie mit anderen Menschen außerhalb der Siedlung gerechnet haben und wir haben sie mit unseren Waffen bedroht. Aber nachdem wir sei dann kennen gelernt hatten, waren wir traurig, weil die Beiden gleich weiter mussten. Ich möchte mich übrigens noch bei Ihnen bedanken, dass sie die Botschaften und die Geschenke der Erdenbewohner an uns weiter geleitet haben. Darüber haben wir uns sehr gefreut. Als sie bei uns zu Gast waren, haben sie übrigens vor allen Bewohnern über das Leben auf der Erde erzählt und viele Fragen von uns zu diesem Thema beantwortet. Es war ein großartiges Erlebnis für uns.“ - „Möchten Sie die Beiden nicht einmal auf der Erde besuchen?“ Diese Frage kam für mich total überraschend. Dieser Tag hatte es wirklich in sich. Spontan und ohne weiter nachzudenken sagte ich ja. Kando sah mich an: „Gut. Sie werden in zwei Tagen zur Erde gebracht. Alles, was sie wissen müssen, werden Sie während der Reise erfahren. Ich werde mich jetzt unverzüglich dorthin begeben. Wir brauchen die Beiden noch einmal auf Zwielicht. Darüber hinaus auch seine erste Frau, die für die Offiziellen auf der Erde tot ist. Besuchen Sie die drei und bereiten Sie sie darauf vor, dass sie ihre schöne Erde für ein paar Tage verlassen müssen. Sie werden mit ihnen zurückkehren und ich bitte Sie, diese auf Zwielicht nach Ihren Möglichkeiten zu unterstützen. Ich werde kurz nach Ihrer Ankunft die Runde komplett machen.“ Danach verschwand Kando. Ich blieb noch zwei Tage auf der Raumstation und wurde dann zu einem Raumschiff gebracht. Nachdem ich in einer Raumstation innerhalb dieses Sonnensystems umgestiegen war, landete ich in einem Raumschiff namens Wotan hier ganz in der Nähe unter dem Eggegebirge. Unauffällige Leuchtzeichen haben mich dann bis hierher geführt.“ - „Habe ich das richtig verstanden, Kando will uns hier aufsuchen?“ - „Genau so hat er sich ausgedrückt. Bei seinem Aussehen wird er sich allerdings irgendwie tarnen müssen.“ - „Die Bakarer müssen schon öfter hier gewesen sein, trotzdem kenne ich keine Berichte, die auf Außerirdische hinweisen, die so aussehen wie die Bakarer. Die werden das problemlos schaffen.“ - „Wenn ich an das Chaos denke, was er bisher schon angerichtet hat, “ sagte Angelika und schoss einen nicht gerade freundlichen Seitenblick auf Christine ab, „was passiert wohl erst, wenn er hier erscheint? Übrigens, ich habe jetzt trotz allem Hunger. Wer möchte etwas essen?“ - „Das ist eine gute Idee. Ich habe auch Hunger.“ Ich blickte zu Freya. Die lehnte jedoch ab. „Danke. Ich habe meine eigene Kost mitgebracht.“ - „Und Sie, möchten Sie etwas essen?“ fragte Angelika Christine. „Ja“, sagte diese einfach. Angelika ging in die Küche. Ich ging hinüber zu der Wiege, in der unsere Tochter schlief. Sie hatte sich bisher durch unsere Unterhaltung nicht stören lassen. Ich hob sie auf uns sie wurde wach und brabbelte fröhlich vor sich hin. „Freya, guck mal, die große Frau mit den roten Haaren heißt genau wie Du“, sagte ich zu ihr. Während die kleine Freya einen kleinen Schrei von sich gab, sah die große Freya durchaus erfreut aus. „Wie Du siehst, hast Du einigen Eindruck bei uns beiden hinterlassen, wir haben ihr ganz bewusst Deinen Namen gegeben.“ - „Das freut mich.“ Christine machte ein eher grimmiges Gesicht. „Wenn dieser Außerirdische, Kando oder wie er auch immer heißt, nicht wäre, wäre dies jetzt unser Kind. Zum Teufel mit diesem Kerl.“ - „Ja, er hat in der Tat einiges durcheinander gewirbelt.“ - „Er hat mir meinen Mann weggenommen und diesen mit einer anderen Frau verkuppelt. Und dieser Mann weigert sich jetzt, zu mir zurück zu kommen.“ - „Du bist erst seit zwei Stunden wieder hier. Ich habe schrecklich unter Deinem vermeintlichen Tod gelitten. Glaub mir, es war die schlimmste Zeit meines bisherigen Lebens. Auch wenn ich es zuerst nicht wahr haben wollte, aber Angelika hat diese Wunde geheilt. Sie hat mir mein Leben zurückgegeben. Du hast jetzt fast zwei Jahre mit einem anderen Mann zusammengelebt. Du weißt wahrscheinlich im Moment gar nicht, wie gut dieses Leben war.“ Sie sah mich an. Ihr Blick drückte Trotz und Ärger aus. „Christine“, Freya mischte sich ein, „dies ist keine Angelegenheit, in der Du ein einfaches Schwarz-Weiß-Schema anwenden kannst, hier die armen Betrogenen, da die bösen Betrüger. Es handelt sich hier um eine komplexe Situation, in der eine andere, uns technisch weit überlegenen Macht, die primär um ihr eigenes Wohlergehen besorgt ist, die Fäden zieht. Aber auch wenn die Bakarer ihre eigenen Belange in den Vordergrund stellen, haben sie noch den Anstand, uns nicht nur rücksichtslos als Werkzeug zu benutzen. Um diese Situation zu klären und zu einem für uns allen akzeptablen Ergebnis zu bringen, brauchen wir Zeit. Außerdem müssen wir vor Allem wissen, was dieser Kando jetzt mit uns vorhat. Du solltest jetzt nicht über das Knie brechen.“ Ich wunderte mich wieder einmal. Obwohl Freya auf einem Planeten tausende von Lichtjahren von der Erde entfernt lebte, war ihr Deutsch auf der Höhe der Zeit, selbst allgemeine Redewendungen waren ihr nicht fremd. Christine warf ihr einen dankbaren Blick zu. „Vielleicht ist mein Benehmen ein wenig merkwürdig. Aber ich bin total verwirrt. Bis eben habe ich gedacht, wir hätten den 10. Juli 2013, dann komme ich nach Hause, mein Mann hat eine andere Frau und eine kleine Tochter von ihr und wir haben den 19. Mai 2015. Bis vor gut zwei Stunden dachte ich, ich wäre glücklich verheiratet und jetzt stehe ich auf dem Abstellgleis. Weißt Du, was das für ein Alptraum ist?“ - „Ich kann es Dir nachempfinden, aber gerade deshalb müssen wir jetzt besonnen bleiben. Schuldzuweisungen und Forderungen sind in dieser Situation nicht sinnvoll.“ Christine nickte. „Also warten wir auf den Mistkerl, der uns alles eingebrockt hat. Was bildet der sich bloß ein?“ - „Dummerweise hat er weitaus mehr Macht als wir alle“, sagte ich, „einmal habe ich mit ihm angelegt, ich hatte jedoch keine Chance. Christine senkte den Kopf. „Verdammte Scheiße“, sagte sie und begann lautlos zu weinen. Freya und ich sahen uns an. Wohl fühlten wir beide uns auch nicht. Ihr Bericht über die Zerstörungen an der Raumstation beunruhigte mich mehr, als ich es vor mir selber zugeben wollte. War das eine interstellare Auseinandersetzung zwischen zwei außerirdischen Rassen, in die wir mit hineingezogen würden? Ich wünschte mich weit weg von alledem und dabei stolperten meine Gedanken