Der Kruse. Burkhard Simon. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Burkhard Simon
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752977813
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dass der unsympathische Typ im Spiegel kein Anderer war, als ich selbst. Damit würde ich halt leben müssen, auch wenn es mir noch so sehr gegen die Ehre ging.

      Der Fettsack war ich.

      In diesem Moment beschloss ich, ich wolle verdammt sein, wenn es mein beginnendes Doppelkinn jemals zu einem vollendeten Doppelkinn bringen würde. Ich würde etwas dagegen unternehmen. Und zwar sofort. Ich schüttelte ungläubig den Kopf und machte einen Schritt zurück. Dann grätschte ich leicht die Beine, um meinem mittlerweile recht wackeligen Stand eine etwas zuverlässigere Statik zu verleihen.

      Wie war das nochmal, damals im Sportunterricht? Die Arme ausbreiten und dann versuchen, mit der rechten Hand an den linken Fuß zu gelangen? Ja, das klang richtig. Ich versuchte es, gelangte aber nur bis auf Kniehöhe an mein Ziel heran, denn ich war in etwa so elastisch, wie eine ICE-Trasse. Mein missglückter Versuch amüsierte mich auf eine peinliche, fremdschämerische Art und Weise. Eine Art kranke Belustigung, so etwas, wie Schadenfreude, weil ich es so weit hatte kommen lassen.

      Ich ging einen Schritt nach vorn. Der Schlaffsack im Spiegel auch. Wir standen uns jetzt ganz dicht gegenüber. Unsere Nasenspitzen berührten sich fast.

      Ich raunte: »Sieh dich doch bloß an.... ekelhaft.«

      Der Spiegelkruse bewegte seine Lippen synchron zu meinen und schaute mir tief in die Augen. Sein Blick war ziemlich abwertend. Außerdem schien der Typ besoffen zu sein. Für eine Minute standen wir nur da und starrten uns an. Ich kam mir saublöd vor. Außerdem wurde mir langsam kalt.

      »Dann beweg den Hintern, du fauler Hund«, feuerte ich mich an, »Dann wird dir auch warm!«

      Als ich einen Schritt zurück machte, um mehr Platz für meine geplanten Übungen zu haben, fiel mir auf, dass der Typ im Spiegel (Du, Kruse!) schon wieder den Bauch eingezogen hatte. Ich hatte schon wieder vor mir selbst den Bauch eingezogen, und ich hatte es noch nicht einmal bemerkt! Wie nannte man das noch mal? Einen Automatismus? Ich hatte mich darauf trainiert, vor mir selbst den Bauch einzuziehen und diese Konditionierung hatte so hervorragend funktioniert, dass ich es nicht mal mitbekam!

      Ich kam mir vor, wie Pawlows Hund! Der Hund bekam bei irgendeinem Experiment immer dann Futter, wenn im Hintergrund eine Glocke läutete. Irgendwann reichte es dann aus, eine Glocke ertönen zu lassen, um bei dem Hund den Speichelfluss zu steigern, auch, wenn gar kein Futter in Sicht war. Er war darauf konditioniert worden, beim Klang der Glocke seinen Speichelfluss zu erhöhen. Und Robert Kruse, Lohnbuchhalter und neuerdings selbstkritischer Beobachter körperlicher Verfallserscheinungen, hatte sich darauf konditioniert, vor Spiegeln den Bauch einzuziehen.

      Das war der Hammer! Aber ich würde mir das ganz schnell wieder abautomatismussieren! Vorbei! Aus und vorbei! Ab sofort würde Schluss sein mit dem Selbstbetrug, mit der Sauferei, mit dem ganzen verdammten alten Kruse. Es würde nie wieder zu einer solchen Erniedrigung kommen, wie ich sie heute im Laufe des Abends vor mir selbst hatte erfahren müssen. Ich würde Dinge ändern. Ich würde mich ändern. Und ich würde es jetzt tun. Warum warten? Warum nicht gleich mit dem Training beginnen und die Energie, die ich sonst dazu benötigte, vor mir selbst die Wampe einzuziehen, positiv nutzen? Ich beschloss, mit Rumpfbeugen anzufangen. Hier und jetzt.

      Eins...

      und zwei... (Na, also! Geht doch!),

      und dreiii...,

      und viiieeeerr..............,

      und füüüüüüünnf...............,

      und seeeeeeeeechssss.......................,

      und sieeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeben.....................,

      »Robert!«

      (Nein! Oh großer Gott, nein! Bitte, bitte nicht! Nein!)

      »Robert, kannst du mir mal sagen, was das hier werden soll, wenn´s fertig ist?«

      Es war zurück.

      Mitten in der Nacht stand ich, in einem Meer leerer Bierflaschen, splitternackt und sturzbesoffen im Keller vor einem mannshohen Spiegel und streckte meiner verloren geglaubten Ehefrau im kalten Licht der Neonröhre den blanken Arsch entgegen.

      Es gibt Momente, denen kannst du einfach keine Würde einhauchen. Ich versuchte es trotzdem. Eigentlich war die Situation nicht zu retten, aber ich versuchte, die Tatsache, dass ich nackt vor einem Spiegel stand, all die leeren Flaschen und meine Überraschung über die Rückkehr meiner Gattin, möglichst nonchalant zu übergehen.

      »Robert! Ich rede mit dir!«

      »Ach, hallo Karin! Wie geht´s deiner Mutter?«

      »Entschuldige... mit welchem deiner Enden rede ich denn im Moment?«

      Ich versuchte, mich möglichst leise und ohne knackende Geräusche wieder zu voller Größe aufzurichten. Mein Rücken tat weh, aber ich hätte mich in diesem Moment lieber mit benzingetränkten Hosen auf einen Grill gesetzt, als mir die Schmerzen anmerken zu lassen. Warum war sie nicht bei der ersten oder zweiten Rumpfbeuge aufgetaucht? Musste sie unbedingt bis zu achten oder neunten warten?

      Typisch Karin.

      »Robert, ich frage dich, was du hier für eine Nummer abziehst! Und ich verlange eine Antwort! Das ist noch immer auch mein Haus!«

      Sie stand auf der obersten Stufe der Kellertreppe und schaute so interessiert auf mich herab, wie sich ein Professor, das muntere Treiben irgendwelcher Einzeller in einer Petrischale anschauen mag. Ich stand nackt inmitten des Gerümpels vor einem großen Spiegel und hielt mir reflexartig die Hände zwischen die Beine. Ich spürte das Blut hinter meinen Schläfen pochen und ein unangenehmes Kribbeln im Nacken. Noch dazu spürte ich, dass ich heftig errötete. Und das vor meiner eigenen Frau.

      Meine neu gewonnene Männlichkeit sagte leise „Servus“, griff sich ihren Mantel und und verpuffte in einem Wölkchen aus Testosteron und Wunschdenken.

      Im Flur, oben im Erdgeschoss, hörte ich, wie die Eingangstür zugeschlagen wurde. Dann Schritte im Flur.

      »Karin, kann ich den Wagen gleich vor der Tür parken? Ich glaube nämlich, vor eurer Tür ist Parkverbot, und ich... großer, allmächtiger Gott!«

      »Hallo, Margot! Schön, dass du auch mal reinschaust!«

      Ich versuchte, ein wenig zu winken, verwarf den Gedanken aber gleich wieder, da ich gerade keine Hand frei hatte. Außerdem hatte ich das sichere Gefühl, dass Margot Hauser ohnehin keinen besonders freundlichen Empfang erwartet hatte.

      Karin zeigte mit dem Finger auf mich. »Mama, da unten steht der Mann«, bei dem Wort Mann verzog sie verächtlich das Gesicht, »dem ich vor vielen Jahren die Treue schwor!«

      »Reg´ dich nicht so auf, mein Kind. Das ist es nicht wert. Und es ist ja jetzt auch vorbei.«

      Das Schwiegermonster schaute auf mich herab und schüttelte leicht den Kopf. Die für die Ewigkeit konservierte Dauerwelle bewegte sich keinen Millimeter. Es war schon irgendwie interessant, die beiden da oben zu sehen. Die Eine in Haltung und Gesichtsausdruck eine perfekte Kopie der Anderen.

      »Mama, es tut mir leid, aber ich glaube, ich habe damals auf dem Standesamt noch nicht gewusst, was für ein Mensch da eigentlich vor mir stand!«

      Sie schaute mich, den Spiegel und all die leeren Bierflaschen an. Dann ging ihr Blick wieder zurück zu dem Spiegel.

      »Perverses Schwein!«

      Danach drehte sie sich um, stieß ihre Mutter zur Seite und verschwand durch die Kellertür aus meinem Blickfeld. Mama blieb noch ein paar Sekunden auf der obersten Stufe in der offenen Tür stehen. Jetzt zu gehen wäre für sie gewesen, als würde man bei der Oscar-Verleihung die Preisträgerin für die beste weibliche Hauptrolle bitten, ohne Dankesrede die Bühne zu räumen.

      »Wir alle machen Fehler, Schatz«, sagte sie gönnerhaft, löschte mit einer lässigen Handbewegung das Licht im Keller, warf die Tür hinter sich zu und ließ mich in der schwarzen Finsternis zurück. Das Knallen der Tür hallte noch einen kurzen Moment von den kahlen Kellerwänden zurück, dann war es still.