Der Kruse. Burkhard Simon. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Burkhard Simon
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752977813
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die man nicht haben möchte, kosten ein Schweinegeld. Sie schaute mich an und ließ mir ein erfrischendes Lächeln zukommen, verbunden mit der Frage, ob ich nicht vielleicht jemanden kannte, der an meiner Stelle die Reise antreten könne. Sie betonte, dass die Kreuzfahrt – gerade mit dem gebuchten Komfortpaket – sicherlich ein besonderes Erlebnis werden würde und das es wirklich eine Schande sei, das alles abzusagen, gerade wo das Wetter in Bonn gerade wieder so eklig sei. Bei dem Wort „eklig“ rümpfte sie ganz hinreißend die Nase, nur so, dass sie sich ein klein wenig kräuselte.

      Hatte ich Freunde, die die Reise an meiner Stelle antreten konnten? Das hätte Karins Fanclub so passen können... Ich erklärte der Reisebürofrau, dass ich mir die Sache vor dem Hintergrund dieser Informationen noch einmal kurz durch den Kopf gehen lassen wolle und verabschiedete mich vorläufig.

      Die Kneipe hieß Kalle's Zapfhahn.

      Ich zog meine klatschnasse Jacke aus, hängte sie unter ein Messingschild, auf dem stand, dass der Wirt (vermutlich Kalle) keine Haftung übernähme, wenn Manteldiebe in seinem Etablissement ihr Unwesen trieben und setzte mich direkt an die Theke. Ich krempelte meine Hemdärmel ein wenig hoch, lehnte mich nach vorn, um die Aufmerksamkeit des Wirts zu erlangen und stellte fest, dass meine Unterarme in Sekundenschnelle eine feste Bindung mit der Platte eingegangen waren. Kalle nutzte, wie mir schlagartig klar wurde, die Theke offenbar auch als Ausstellungsfläche für Salzstangenkrümel, klebrige Feuchtigkeitsringe, säuerlich müffelnde Reste von Krautsalat, sowie halb angetrocknete Senfkleckse. Eine dreidimensionale Speise- und Getränkekarte, die den Gast auf eine Zeitreise durch die letzten drei bis vier Tage in der Geschichte dieses Thekenabschnittes einlud, und dem interessierten Neugast so manche launige Geschichte zum Besten geben konnte.

      Ich wischte angeekelt mit der flachen Hand die größeren Rückstände fort, was mir schließlich auch die Aufmerksamkeit des Thekenpersonals einbrachte.

      „Wollense ne Lappen?“

      „Ich... äh... nein. Hier lag nur irgendwie...“

      „Oda soll vielleesch de Putzmarie noch ins flott nass dürschwische?“

      Die Stammkundschaft von Kalle's Zapfhahn gluckste vergnügt in die Gläser. Offensichtlich war der Wirt ein echtes Original. Einer der überraschend häufig anzutreffenden Typen, die sich für die größte Bonner Attraktion seit der Bundesgartenschau 1979 halten.

      „Tut mir leid. Ich wollte nicht den Eindruck erwecken, dass...“

      Er ließ mich nicht ausreden.

      „Watt willste trinken, Kollege?“

      Über der Theke war eine Tafel mit Speisen und Getränken, sowie den entsprechenden Preisen angebracht. Ich studierte sie kurz und versuchte angestrengt, die staubigen Spinnweben zwischen deren oberem Rand und der Zimmerdecke nicht zu bemerken.

      „Tja, ich denke, dann nehme ich wohl...“

      „Enn Gläschen Meister Propper? Oda doch leever der General?“

      „Nein, ich...“

      „Isch hann och den mit Frühlingsfrische!“

      Die Stammgäste lachten jetzt schon fast anzüglich, offenbar in Erwartung einer Lokalrunde, sollte es ihnen gelingen, sich ausreichend bei Kalle einzuschleimen.

      Ich bestellte ein Bier und einen Korn.

      Ich hatte noch nie in einer Kneipe ein Bier und einen Korn bestellt, weil das wahrscheinlich die onkeligste Bestellung der Welt ist, und ich wunderte mich ein wenig über mich selbst. Schnaps war und ist mir zuwider, aber etwas in mir schien heute Lust auf Neuland zu haben.

      Dreißig Prozent Rückerstattung für die Tickets. Nur dreißig Prozent... Unfassbar.

      Ich trank meinen Schnaps und hoffte, dass es dem hochprozentigen Zeug gelingen würde, den Rand des Glases zu sterilisieren, denn was die Hygiene von Kalle's Zapfhahn anging, war ich – auch und speziell nach den bislang gemachten Erfahrungen in dieser Kaschemme – eher skeptisch.

      Dreißig Prozent. Das war so gut wie nichts.

      Trotzdem würde ich die Tickets wohl zurückgeben müssen. Ich meine, was sollte ich denn sonst tun? Sie einfach verfallen lassen? Dadurch würde der Verlust von siebzig Prozent sogar zu einem hundertprozentigen Fiasko anschwellen. Und Karin würde, selbst wenn sie in den nächsten Tagen doch noch nach Hause käme, sicherlich nicht mit mir auf eine Kreuzfahrt gehen. Nicht, ohne mir vorher noch ein paar Monate lang ein schlechtes Gewissen zu machen, mich zu jeder sich bietenden Gelegenheit katzbuckeln zu lassen und mich zu erniedrigen, oder (wie sie solche Dinge gern nannte) Beziehungsarbeit zu leisten. Und ein paar Monate hatten wir nicht mehr, bevor der Pott ins Paradies auslaufen würde.

      Nein, ich würde die Tickets schweren Herzens wieder an die Dame mit dem süßen Lächeln zurückgeben müssen.

      Ich zahlte, gab Kalle ein stattliches Trinkgeld und kam mir rückgratlos und mies vor.

      Was war eigentlich mit mir los? Warum konnte ich dem eingebildeten Arsch hinter der Theke nicht einfach die Getränke bezahlen und ihm sagen, dass er kein Trinkgeld bekäme, weil ich die Kohle dringend benötigte, um mir dafür Desinfektionsmittel zu kaufen, um meine Hände darin zu baden, nachdem ich in seinem versifften Drecksloch die Türklinke in der Hand gehalten hatte?

      Warum war ich eigentlich immer so nett?

      Mit diesen Überlegungen trat ich wieder hinaus in den Regen und machte mich auf den Weg zurück zum Reisebüro. Irgend ein Witzbold hat mal gesagt, dass man den Sommer im Rheintal am besten daran erkennen könne, dass der Regen ein wenig wärmer würde. Das mochte ja witzig sein, entsprach aber leider nicht den Tatsachen. Der Regen war kein bisschen wärmer als noch im letzten Herbst. Es war einfach zu kalt, zu windig, und viel zu... wie war das noch?

      Zu „eklig“.

      Ja, das Wort war nicht schlecht gewählt. Es war eklig. Einfach eklig.

      Ich fand meine Zigarettenpackung zerknüllt in der Hosentasche. Meinen Kragen gegen den „ekligen“ Wind hochgestellt, blieb ich vor dem Reisebüro stehen und versuchte, wohl um noch ein paar Minuten Zeit zu schinden, in dem windgeschützten Hauseingang einen Glimmstengel anzuzünden. Während die Flamme hinter meiner vorgehaltenen Hand den Tabak in Brand setzte, wanderte mein Blick von der Glut nach oben und blieb an einem Plakat hängen, das hinter der gläsernen Eingangstür befestigt war.

      Es zeigte ein wunderschönes, weißes Passagierschiff.

      Am unteren Bildrand konnte man die letzten Ausläufer des Sandstrandes sehen, von dem aus das Foto aufgenommen worden war. In der oberen rechten Ecke des Bildes sah man die spitz zulaufenden Blätter einer Palme, die vom Seewind in den Einzugsbereich des Objektives geblasen wurden. Doch das Schönste, das wirklich Umwerfende an diesem Bild, war das Wasser. Es war... na ja... es war eben genau so, wie das Wasser im Rhein nicht ist.

      Es war klar! So unglaublich klar, dass man nicht sagen konnte, wo der Strand aufhörte, und wo das Wasser anfing. In Ufernähe war es so weiß, wie der Korallensand, den es umspülte. Etwas weiter draußen ging es dann in das satteste Grün über, das man sich nur vorstellen kann und hinter diesem grünen Streifen, der den Strand vom offenen Meer trennte, war das Wasser blau. Und ich meine BLAU. Es war so blau, wie es nur das Wasser in der Karibik sein kann. Und auf diesem tiefblauen Meer schwamm, was rede ich, thronte wie eine gottgleiche Gestalt, dieses weiße, weiße Schiff.

      Es war wunderschön.

      Am Bug des Luxusliners konnte man seinen Namen erkennen. Der Schriftzug war klein, überhaupt nicht protzig, aber ein solches Wunderwerk der Technik hat es auch nicht nötig, mit verschnörkelten Schriftzügen zu protzen. Trotzdem konnte ich den Namen auf dem gestochen scharfen Foto gut lesen: »Sonne des Südens«, murmelte ich mir zu, »Ich geh kaputt.«

      Es war mein Schiff.

      Mittig über dem Bild des Schiffes standen neben dem Logo des Reiseveranstalters drei kurze Worte:

      NICHTS WIE WEG.

      Ja. Nichts wie weg. Ich wollte weg.