Wut brandete hoch in mir auf. Ich fühlte mich betrogen, wenn ich auch noch nicht wusste, durch wen oder was. Ehe ich davonstürzen konnte, um in der alten Bibliothek nach dieser Weissagung zu suchen, trafen die ersten Krieger ein. Sie eilten herbei und warfen sich Wuldor zu Füßen.
Ich presste die Zähne fest aufeinander, um nicht loszubrüllen. In meinen Augen funkelten winzige helle Punkte inmitten des klaren Blau. Nichts stimmte mehr, alles lief völlig falsch! Es tat so unglaublich weh, sie vor seinen Füßen zu sehen. Vor meinen Füßen sollten sie liegen!
„Krieger!“ Machtvoll ertönte Wuldors Stimme. „Jagt die Wölfe und treibt sie zurück in ihr Dorf. Zeigt ihnen, dass sie sich von den anderen Dörfern fernhalten müssen.“
„Ja, mächtiger Gebieter“, antworteten die Männer und erhoben sich. Weitere Krieger kamen herbei, warfen sich vor Wuldor nieder, ehe sie sich erhoben und zu den anderen gesellten. Elf, zwölf, noch immer kamen neue hinzu. Zuletzt waren es fünfundzwanzig Krieger, große, muskulöse Männer, die mit grimmigem Blick vor Wuldor standen, jeder mit einer gefährlichen Waffe in der Hand und der Bereitschaft auch zu töten, wenn es verlangt wurde.
Ich zwang mir ein Lächeln ins Gesicht, obwohl ich innerlich vor Wut tobte. Diese Männer hatte ich gerufen. Sie sollten mir dienen und nach der erbärmlichen, jungfräulichen Seele suchen. Stattdessen würden sie gleich losmarschieren und irgendwelche dummen Wölfe jagen! Aber vor Wuldor durfte ich meinen Zorn nicht zeigen. Ich musste mich beherrschen, neue Wege überlegen, wie ich den Kriegern den Zusatzauftrag geben konnte.
„Krieger, sucht die Wölfe! Wir beherrschen sie – nicht sie beherrschen uns!“ Wuldors Stimme klang fast so wie früher. Voller Macht, Enthusiasmus und Feuer. Der Funke sprang über. Die Männer hoben ihre Waffen und brüllten lautstark: „Für Wuldor! Jagd auf die Wölfe!“
„Mein Segen ist mit euch!“ Wuldor hob beide Hände und Sprühregen aus Eiskristallen fielen auf die Häupter der Krieger nieder, belebten sie und trieben sie an, ihren Auftrag perfekt zu erledigen.
Ein Segen für den falschen Auftrag, dachte ich und presste die Lippen fest zusammen. In meinen Augen funkelte es. Wie lange musste ich meinen Zorn noch beherrschen? Alles in mir drängte danach, vor Wut zu schreien, meine Niederlage hinauszubrüllen und auf die Suche nach der Schuldigen zu gehen. Fort von Wuldor, dem erbärmlichen Gott, der wider Erwarten erneut erstarkte.
So lange hatte ich mich abgemüht. Gestern noch schien der Sieg meiner. Doch heute war alles anders. Es sah gar nicht gut aus für mich. Kaum nahm ich wahr, wie die Krieger den Burghof verließen und sich auf die Suche nach Wölfen machten. Wuldor drehte sich um und blickte zu mir hinab. Mit einem Mal wirkte er müde, erschöpft. Seine Schultern hingen herunter und der lebendige Glanz war aus seinen Augen gewichen. Hoffnung keimte in mir auf. Ein kleines Fünkchen nur. Aber es sollte mir genügen.
„Eisblume, ich ziehe mich zurück. Achte auf meine Krieger, dass sie ihre Aufgabe gut bewältigen. Die Nacht bricht herein, sei bei ihnen.“
Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. „Mein Gebieter, sobald die Sonne den Horizont verlassen hat, werde ich deinen Kriegern folgen.“ Ehrerbietig senkte ich mein Haupt und jubilierte innerlich. Mit diesem Auftrag von ihm konnte ich mühelos den ausgeschickten Männern meinen eigenen Auftrag bringen. Ich hatte noch einmal Glück gehabt. Vielleicht war es gar nicht die frische Seele gewesen, die Wuldor mit neuer Kraft erfüllt hatte. Vielleicht war es meine Unvorsichtigkeit, die ihn wachgerüttelt hatte, als ich den Spruch der Macht ausgeschickt hatte.
Wuldor streckte seine Hand aus und legte sie auf meine silbrig glänzenden Haare. Ein Strom an kalter Energie drang in mich. So belebend, erfrischend. Ein herrliches Prickeln fuhr durch all meine Glieder und unbändige Sehnsucht nach mehr wuchs in mir heran. Ich wollte mehr, so viel mehr, als er mir geben konnte!
„Ich geleite dich noch in deine Gemächer, mein Gebieter“, sagte ich in demütigem Ton. Doch Wuldor lehnte ab. „Nein, meine kleine Eisblume, wache bei meinen Kriegern. Ich gehe allein.“
Ärger wob seine dunklen Bahnen in mir. Wut, Enttäuschung und das bittere Gefühl einer Niederlage verknoteten sich in meinem Bauch und gaben der Erfrischung durch Wuldor einen üblen Beigeschmack. Ich sollte entscheiden, wann und wohin ich ihn begleitete. Er sollte zu schwach sein, um sich gegen mich durchsetzen zu können.
Musste ich wieder ganz von vorn anfangen, um seine Kraft zu brechen?
Ich hoffte nicht.
Lange hielt ich mich nicht mit meinem Ärger auf. Wozu auch? Ärger zerfraß nur das Innere, trübte die Gedanken und verhinderte gute Entscheidungen. Doch genau die brauchte ich nun, sogar sehr gute Entscheidungen.
Kaum war Wuldor aus meinem Blick verschwunden, huschte ich in die Bibliothek, die seit Jahrhunderten ungenutzt in einem Teil der Burg lag. Wer sollte dort auch lesen? Wuldor und ich lebten allein im Palast. Die Krieger, die zu den Festgelagen kamen und mir huldigten, interessierten sich für Alkohol und Fleisch, aber nicht für Bücher und Worte.
Ich betrat den Raum, der muffig roch. Die Fenster waren mit dunkelroten Vorhängen verhüllt, ein wenig frische Luft würde sicher nicht schaden. Aber wer sollte hier sauber machen, lüften, Staub entfernen? Es gab keine Diener. Ein Gedanke von Wuldor genügte und alles war perfekt.
Ich presste die Luft heraus, so dass es wie das Zischen einer Eisnatter klang. Diese überreichliche, natürliche Magie trug ich nicht in mir. Ich musste meine Hände nutzen, um Vorhänge und Fenster zu öffnen oder Staub zu entfernen. Allzu viel Magie konnte ich nicht einsetzen, sie raubte mir Kraft, die ich mühselig von Wuldor abziehen musste. Wie ich zudem vorhin bemerkt hatte, warnte sie auch Wuldor, der sofort zu spüren schien, wenn ich Magie einsetzte.
Wieder einmal runzelte ich meine helle, hübsche Stirn. Ohne Magie konnte ich die Bücher nicht lesen.
„Oh Eisfunken!“, schimpfte ich und stampfte mit meinem zierlichen Fuß auf. Woher hätte ich denn wissen sollen, dass ich irgendwann einmal Bücher lesen musste? Bücher! Ich war nicht einmal sicher, ob es noch irgendjemanden in ganz Eilifuris gab, der lesen konnte. Wahrscheinlich war Wuldor der einzige und letzte, der die Kunst beherrschte.
Mein Blick glitt über die Regale, die an den Wänden standen und voller Bücher waren. Nutzlos. Sinnlos. Niemand konnte sie lesen. Auf die Weise würde ich nichts über die Prophezeiung erfahren. Es musste einen anderen Weg geben.
Seufzend drehte ich mich um und verließ den Raum. Meine Pantöffelchen glitten fast schwebend über den eisigen Boden. Meine zierliche Gestalt konnte überall umherhuschen und niemand ahnte, welche Macht in meinem jungfräulichen, kleinen Körper steckte. Jetzt musste ich mich auf den Weg zu den Kriegern machen. In mir reifte ein Gedanke heran, wie ich die Wolfsjagd mit der Suche nach der unberührten Seele verbinden konnte.
Als ich nach draußen trat, wo mich die Dunkelheit des Abends umfing, atmete ich tief ein. Langsam schloss ich meine Augen und konzentrierte mich auf die verschiedenen Gerüche. Ein sanfter, betörender Hauch drang an meine Nase und zauberte ein Lächeln auf mein Gesicht. Die Jungfrau war nicht in der Geborgenheit eines Heims. Sie streifte irgendwo draußen herum, als ob sie von mir gefunden werden wollte.
Der Duft verflog und ich öffnete irritiert die Augen.
„Wie kann das sein?“, murmelte ich. „Wie kann der Duft immer wieder verschwinden?“
Ich verstand es nicht. Aber das war gleichgültig. Sie war da draußen. Irgendwo jenseits des Fjalldom. Wenn mich nicht alles getäuscht hatte, so war die Duftspur aus dem Svartskog gekommen, genau aus dem Gebiet, in dem die Krieger nun nach den Wölfen suchten.
„Gut, sehr gut“, kicherte ich und atmete noch einmal tief ein. „Dann sollen die Krieger nach einem Mädchen suchen und es vor den Wölfen schützen und zu mir bringen. Besser kann es gar nicht kommen.“
Ich schloss erneut die Augen, um die Wandlung zu vollziehen. Diese Magie würde Wuldor nicht aufschrecken. Immerhin hatte er mir den Befehl gegeben, über seine Krieger zu wachen. Deshalb musste ich mich wandeln und zu ihnen eilen. Dieses