„Oh, was für ein liebes, schönes Scheiß-Pärchen!“, blaffte der Erste und grinste doof. Die zwei Sitzenden standen auf, schwankten dabei bedenklich.
„Schön“, lallte ein anderer, dessen viel zu kleiner Kopf unter einer speckigen, roten Kappe steckte. „Ihr habt euch aber eine beschissene Gegend für nen Mondscheinspaziergang rausgesucht. Ist unser Territorium.“
„Echt?“, fragte der Dritte und erntete höhnisches Gelächter.
„Klar“, bestätigte dann wieder der mit der roten Kappe. „Kostet euch was. Zufälligerweise genau so viel, wie ihr gerade dabeihabt.“ Wieder dummes Gelächter.
Die vier bauten sich breitbeinig vor Viktoria und Maus auf. Die meinten es ernst. Und erfüllten dabei so ziemlich alle Klischees, die Maus aus billigen Filmen kannte. Das Ding war nur: Maus hatte keinen Bock. Dafür hatte er in den letzten Monaten einfach zu viel mitgemacht.
„Jetzt ehrlich, Leute“, sagte er. „Ihr solltet euch mal anschauen. Harmlosen Bürgern auflauern und Geld abknöpfen? Das ist grotesk. Sorry, ich würde ja gerne ein Wort nehmen, das ihr auch versteht. Es gibt nur leider kein treffenderes.“
Die vier Kerle schauten sich ein wenig verwirrt an.
„Spinnt der Monster-Arsch?“, fragte einer von denen, die bisher noch nichts gesagt hatten, und sah dabei seine Kumpels Hilfe suchend an. Er konnte wohl noch immer nicht so ganz einordnen, warum sein Gegenüber mit Fremdwörtern um sich warf, anstatt panisch in seiner Umhängetasche nach Geld zu wühlen.
Viktoria ging es da offenbar nicht viel anders.
„Maus. Ich kann dein Bedürfnis nach Zoff nachvollziehen. Trotzdem glaube ich, dass die Variante mit dem Geld-rausrücken für uns besser ist.“
Höhnisches Gelächter.
„Maus!“, wiederholte der mit der roten Kappe. „Dein Mäuschen hat verdammt recht. Wäre echt gesünder für euch.“
Maus nickte verständnisvoll, öffnete den Reisverschluss seiner Umhängetasche und ließ die rechte Hand darin verschwinden.
„Leute, ich will echt keinen Ärger“, sagte er. „Und ihr wollt einerseits Geld, andererseits weiterleben, unterstelle ich mal.“
Jetzt holte er die kleine Walther CCP hervor, die er von Natalie bekommen hatte - heimlich natürlich, denn Viktoria hatte nach dem Überfall auf Bens Anwesen im Chiemgau eine Abneigung gegen Schusswaffen entwickelt. Sie hätte ihm das Ding eiskalt abgenommen.
Zum Glück war sie cool genug, ihn in der gerade aktuellen Situation damit in Ruhe zu lassen.
„Scheiße“, schimpfte einer der Typen. „Mist“, ein anderer. Der mit der roten Kappe hob beschwichtigend die Hände und taumelte ein paar Schritte rückwärts.
„Ich schlage euch einen Deal vor“, sagte Maus und wunderte sich selbst darüber, wie herrlich sachlich seine Stimme dabei klang. „Ersten: Ich lass euch leben. Zweites: Ihr verzichtet dafür darauf, uns feige auszurauben. Was den dritten Punkt angeht, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder ich rufe die Polizei und lasse euch einbuchten. Oder aber ihr arbeitet künftig für mich und bekommt sogar ehrliche Kohle dafür. Was wählt ihr?“
Der mit der roten Kappe überlegte nicht lange. Ihm war der Ernst der Lage offenbar ziemlich klar.
„Schon gut. Arbeiten, Alter. Aber steck das Ding weg!“
„Vergiss es!“, erwiderte Maus. „Damit würde ich ja meinen strategischen Vorteil bei unseren Verhandlungen aufgeben.“
Die vier Kerle nickten eifrig. Die nackte Angst stand ihnen in den Gesichtern.
„Also der Deal wäre der: Ihr sucht für mich nach Verwandelten, die sich versteckt halten. Für jeden, den ihr findet, gibt es 100 Euro.“
„Mutanten klatschen!“, jubelte einer. „Das ist geil!“
„Wenn ihr sie auch nur am Ohrläppchen zupft, gibt es keine Kohle, dafür mach ich euch den Ärger, den ihr verdient. Ihr sagt mir nur, wo ich sie finde, mehr nicht.“
„Geht klar“, sagte der mit der roten Kappe. „Hoffe, du bist richtig reich, Mann. Denn wenn jemand die guten Verstecke in der Stadt kennt, dann wir. Wie erreichen wir dich?“
„Gar nicht. Ich bin nicht so bescheuert, euch Halsabschneidern auch noch meine Adresse zu geben. Ich bekomme von euch einen Kontakt. Insta, What’s App, was ihr wollt. Und ich melde mich regelmäßig. Drauf könnt ihr eure hässlichen Tattoos verwetten.“
Keine zwei Minuten später saßen Viktoria und Maus im Auto auf dem Weg nach Hause. Sie schwiegen eine ganze Weile, dann machte Maus den Anfang.
„Tut mir leid, Süße. Ich hätte dir das mit der Walther sagen müssen.“
Viktoria lachte. „Kein Ding, Dicker. Ich hab längst mitbekommen, was du da in der Tasche hast.“
„Du hast ... was?“
„Klar. Bin ja nicht ganz blöd. Seit wann schleppst du spießige Umhängetaschen mit dir rum? Sagen wir: Ich war neugierig.“
Maus nickte. Alles klar, dachte er. Ihre Angst war offenbar größer als ihre Abneigung gegen Schusswaffen. Er fragte sich allerdings, ob das jetzt gut oder eher schlecht war.
„Larinil würde jetzt vermutlich so was sagen wie: Wir haben den Krieg nicht gesucht, aber er hat uns gefunden.“
„So etwas in der Art“, bestätigte Viktoria. „Vielleicht noch ein bisschen schwulstiger.“
„Jep.“
„Du warst übrigens gerade richtig gut, Dicker. Hat nur noch der Satz 'Nimmt das, ihr Finsterlinge' gefehlt. Richtig cool!“
„Danke“, sagte Maus und war erleichtert. Dann seufzte er.
„Süße. Wir machen das noch ein bisschen weiter. Ein bisschen jedenfalls noch. Aber Geysbin und die anderen sollten gefälligst schleunigst diesen albernen Krieg gewinnen.“
„Und dann?“, fragte Viktoria. In ihrer Stimme klang Hoffnung mit - so als wäre alles doch in Wahrheit ganz einfach.
„Dann geht es ab auf die Insel - für den ganzen Rest unserer irdischen Tage.“
Sieben Festungen
Kristin hatte schlecht geschlafen. Nein. Sie hatte genau genommen überhaupt nicht geschlafen. Ihr war natürlich inzwischen klar, dass Alben - und sie war schließlich eine von ihnen - viel weniger Schlaf brauchten als Menschen. Zwei bis drei Stunden pro Nacht reichten in ihrer neuen Existenz völlig. Dass sie aber in dieser Nacht überhaupt kein Auge zugetan hatte, sagte ihr vor allem eines: doch nicht so cool. Die Ereignisse des vergangenen Tages hatten ihre Spuren hinterlassen. Natürlich. Wie denn auch nicht? Silke war tot. Das traf sie, auch wenn Kristin nie wirklich zu ihr hatte durchdringen können. Dazu war Silke zu verschlossen gewesen, zu anders. Vermutlich wären sie auch in einer normalen Welt und in einem normalen Leben niemals Freundinnen geworden.
Aber nichts war schließlich normal. Sie waren beide Verwandelte. Leute, die man am liebsten zusammenschlug oder ins Gefängnis steckte. Oder beides. Das hatte sie verbunden. Kristin hatte sich für Silke verantwortlich gefühlt. Und jetzt war Silke tot. Ihr Leben ausgelöscht von albischen Soldaten mit Spießen und Armbrüsten in einer Welt, die abseits dessen existierte, was Kristin bisher als Realität verstanden hatte.
Ben hatte sich entschuldigt, nachdem sie die Ungeheuer, die er Gorgoils nannte, gerettet hatten. „Wir haben nicht mit einem Angriff gerechnet. Jedenfalls nicht hier und so bald.“
Wie surreal war das alles! Kristin musste an ein paar einschlägige Fantasyfilme denken. In „Narnia“ waren Kinder durch einen Kleiderschrank in eine Fantasiewelt gelaufen. Wissenschaftlich betrachtet natürlich völliger Unsinn. Aber