Raniten in der Furt. Frank Bartels. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Frank Bartels
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742793676
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der meilenweit entfernt einer Stadt oder eines Dorfes lag. Die Sonne blinzelte durch das Blätterdach und wärmte die Gesichter der Wanderer und das ausgelassene Zwitschern der Vögel begleitete ihren Weg.

      Alexander wusste nicht recht, was er von diesem Abenteuer halten sollte, war er doch eben noch der zwölfjährige Junge, der eine Brille trug und dem nie etwas Aufregendes passierte. Er war keine Sportskanone und etwas kurzatmig. Abenteuer fanden für ihn lediglich in seinen zahlreichen Büchern statt und nun marschierte er mit einem seltsamen, kleinen Mädchen durch einen dunklen Wald direkt zu einem alten Drachen.

      Lilu ging ein paar Schritte voraus und obwohl der Junge wesentlich längere Beine hatte, musste er sich mühen, Schritt zu halten. »Nun trödle nicht so, mein Lieber. Wir haben noch einen langen Weg vor uns und wir sollten ein sicheres Plätzchen gefunden haben, bevor sich die Sonne verabschiedet und die Wesen der Nacht erwachen«, mahnte sie.

      Er schenkte ihren Worten keine Beachtung und fragte: »Woher kennst du den Weg, wenn du noch nie bei dem Drachen warst?«

      »Man sagte mir, er solle sich im Norden aufhalten. Dort, wo die Berge hoch in den Himmel ragen. Es gibt hier nur einen Waldweg, der nach Norden führt. Wenn wir diesen nicht verlassen, werden wir keine Mühe haben, an das Ziel unserer Reise zu gelangen und einen Berg werden wir ja wohl nicht übersehen oder was meinst du?«

      Ohne darauf zu antworten fragte der Junge: »Und wie lange werden wir brauchen?«

      »Bis wir da sind, piep, piep«, lächelte Lilu.

      »Ich meine, einen Tag oder eher eine Woche?«

      »Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht, mein Lieber. Ich vermute aber drei oder vier Tagesmärsche werden es schon sein«, schätzte sie und wog dabei ihren Kopf von links nach rechts.

      »Haben wir denn genug Proviant?«

      »Ich habe ein Bündel an meiner Seite und sollte das nicht reichen, werden wir am Wegesrand Beeren und Pilze sammeln.«

      »Auch das noch, Pilze«, maulte Alexander und trottete weiter hinter ihr her.

      ¤

      Er konnte nicht sagen, wie lange oder wie weit sie gegangen waren aber seine Füße taten ihm bereits weh. Lilu blieb unvermittelt stehen, legte ihren Kopf weit in den Nacken, schaute in die Höhe und beschloss: »Es ist Zeit, nach einem sicheren Plätzchen für die Nacht Ausschau zu halten.«

      Sie ging langsam weiter und musterte dabei die Baumkronen. Da Alexander ja bereits auf einem Baum übernachtet hatte, war er der Meinung, über genügend Erfahrung zu verfügen. »Hier. Was ist mit diesem?«

      Lilu schüttete nur den Kopf und ging wortlos weiter. All seine Vorschläge blieben unberücksichtigt, bis sie abermals stehen blieb, auf einen hoch gewachsenen Baum mit mächtigen Ästen zeigte und sagte: »Hier ist ein gutes Plätzchen. Der alte Herr Eichenmann wird uns sicher für eine Nacht Schutz und Obdach gewähren.«

      Alexander wollte gerade die Äste des Baumes erklimmen, als Lilu lachend fragte: »Was hast du vor? Willst du etwa schon wieder auf einem Baum schlafen? Hi, hi. Das ist aber nicht sehr gemütlich.«

      »Ich dachte …«, stammelte er und ohne den Satz zu beenden kletterte er wieder hinunter.

      Lilu sammelte ein paar trockene Zweige zusammen, die unter dem Baum lagen, und entzündete ein wärmendes Lagerfeuer. Alexander hatte zwar nicht genau aufgepasst, doch ihm schien, dass sie dazu weder Feuerzeug noch Streichhölzer benutzt hatte.

      »Hast du Hunger? Lass uns etwas essen«, schlug sie vor und zog zwei dicke Rosinenschnecken aus ihrem Bündel. »Wenn du im Wald Schutz suchst, solltest du sehr gewissenhaft bei der Wahl deines Gastgebers sein. Die meisten Bäume und Pflanzen sind freundlicher Natur«, sagte Lilu zwischen zwei Bissen.

      »Was heißt die meisten?«, hakte der Junge nach.

      »Nächtige niemals auf oder unter einer Weide«, antwortete Lilu. Ihre Stimme klang dabei geheimnisvoll. »Weiden sind hinterhältig und verschlagen. Es soll sogar Weiden geben, die kleine Tiere mit Haut und Haar fressen aber ganz sicher bin ich mir damit nicht. Und lasse dich auf keinen Fall in Fingerhut nieder. Dieses Kraut beschert dir böse Träume, deine Zunge wird pelzig und es wird deinen Geist verwirren. Und jetzt versuch ein wenig zu schlafen.«

      Misstrauisch blickte Alexander sich um. »Und du bist dir sicher, dass keine Weide in der Nähe ist?«

      »Lieber Freund, sei beruhigt. Dieser Baum wird uns ein guter Wirt sein. Hier wird uns kein Unheil widerfahren.«

      Obwohl Alexander keineswegs beruhigt war, versuchte er es sich, so gut es eben ging, gemütlich zu machen. Er legte sich flach auf den Boden, um ein paar Sekunden später wieder hochzuschnellen, da er viel zu ängstlich war, auch nur ein Auge zu schließen. »Ich hab‘s versucht.«

      Lilu lächelte ihn an. »Versuche es noch mal. Ich werde die erste Wache halten.«

      Durch das Blätterdach leuchtete der Mond hell und freundlich und es schien, als sei dieser ebenfalls heller und vor allem viel größer als der Mond daheim. Oder war das der gleiche Mond? Alexander hatte eigentlich nie sonderlich auf den Mond geachtet. Der war halt da. Einmal zunehmend und einmal abnehmend. Die Sterne und das Weltall interessierten ihn schon mehr, allerdings wohl eher aus dem Grunde, dass er von jeher Astronaut werden wollte, sobald er groß genug wäre. Oder Forscher.

      So nach und nach wurden ihm die Augenlider schwer, doch plötzlich vernahm er ein leises, kaum hörbares Rascheln, das sicher nicht von den sich im Abendwind wiegenden Blättern kam. Undeutlich erkannte er die Umrisse einer Gestalt, die in der Dunkelheit auf sie zu krabbelte. Diese war ungefähr so groß wie ein ausgewachsener Schäferhund, hatte aber mindestens sechs oder acht krumme Beine. Fast lautlos schlich sich das Wesen näher und immer näher. Es bestand kein Zweifel mehr, dass sie das Ziel dieser Kreatur waren. Alexander war für einen Moment wie gelähmt, doch dann flüsterte er: »Lilu, aufwachen. Da ist irgendwas Unheimliches.«

      Mit diesen Worten bemerkte er, dass sie verschwunden war – ausgerechnet jetzt.

      Langsam kroch das Wesen näher. In der Zeit, die Alexander brauchte um sehr, sehr panisch zu werden, sprang Lilu mit einem Satz aus der Dunkelheit in den Widerschein des Lagerfeuers und trat dem Wesen gekonnt gegen die Unterseite, dass es nur so krachte. Nun lag es wie ein Maikäfer auf dem Rücken und strampelte hilflos mit all seinen sechs oder acht Beinen in der Luft herum und schien sich glücklicherweise nicht mehr aufrichten zu können.

      »Hab ich dich, du unglückseliges Ding«, rief Lilu triumphierend.

      »Lass mich in Ruhe. Du tust mir weh, weh sag ich«, jammerte das Wesen mit kehliger Stimme. Alexander wunderte sich nur ein wenig, dass dieses sprechen konnte und fragte: »Lilu, was ist das?«

      »Das, mein lieber Freund, ist ein Mirgos. Es ist sehr dumm und nicht sonderlich gefährlich.«

      »Bin nicht dumm, nicht dumm«, krächzte das Wesen. Seine großen, schwarzen Glupschaugen versuchten die Angreifer zu erblicken, doch seine Rückenlage ließ dies kaum zu.

      »Sag, was hast du hier zu suchen?«, fragte Lilu in strengem Ton.

      »Nichts, gar nichts. Es spricht die Wahrheit.«

      Lilu trat einen bedrohlichen Schritt näher.

      »Hunger, so ein Hunger«, krähte das Tier hastig. »Habe dieses leckere Zweibeiner gewittert, von weitem schon gewittert. Ist es deins? Gib mir etwas, nur etwas.«

      ›Oh Gott, es wollte mich fressen‹, durchfuhr es Alexander und dabei wurde ihm ganz mulmig zumute.

      »Das ist nichts zu Fressen. Er steht unter meiner Obhut und du solltest wissen, was das bedeutet«, erwiderte Lilu erbost.

      »Du willst es allein. Ich biete dir einen Tausch«, versuchte das Wesen zu verhandeln, doch Lilu erwiderte: »Du kannst mir nichts bieten, woran ich interessiert wäre.«

      »Die garstigen Raan es sowieso erwischen. Sind überall, überall, kommen aus ihren Löchern.