Raniten in der Furt. Frank Bartels. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Frank Bartels
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742793676
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schlagen wäre sicher sehr schmerzhaft. Um wenigstens etwas Halt zu bekommen, zog er seinen Gürtel aus den Schlaufen seiner Hose, legte ihn um einen Ast und steckte seinen Arm hindurch.

      Obwohl er noch nie auf einem Baum geschlafen hatte, und begründete Angst hatte herunterzufallen und sich wenigstens das Rückgrat zu brechen, schien ihm ein Baum die bessere Wahl zu sein, als sich wie ein Reh in einem Erdloch zu verstecken und darauf zu hoffen, nicht entdeckt zu werden. Hätte er sich für ein Erdloch entschieden, und da war er sich sicher, wäre er in Mitten eines Verfolgungstraums, in dessen Verlauf er von irgendjemanden (wahrscheinlich Gruseligem) verfolgt und gehetzt würde. Er würde laufen und laufen und doch nicht von der Stelle kommen. Und sobald er von hinten gepackt würde, zöge es ihm durch Mark und Bein und er würde aufwachen - ebenfalls schweißgebadet und ebenfalls täten ihm alle Knochen weh. Beide Traumvarianten mochte er nicht.

      »Wenn alles so dunkel ist, kann man die Sterne viel besser erkennen und es sind so viele. Ob die jemals gezählt wurden?«, sagte der Junge leise zu sich selbst; einerseits, weil es so war und andererseits, um sich ein wenig abzulenken. Je länger er in den Sternenhimmel starrte, desto tiefer drang er vor. Vorerst sah er lediglich die hellsten Sterne, die den Sternbildern ihre Namen gaben, aber er erkannte nicht ein einziges. Nur den Kleinen Wagen konnte er bestimmen, aber das war ja kein Sternbild. Oder war es der Große Wagen? Dann entdeckte er, zuerst verschwommen und im Hintergrund, unendlich viele winzige Lichtpunkte am Firmament und je länger er schaute, desto mehr wurden es. Es mussten Millionen sein, oder mehr. Er fragte sich wie weit er wohl mit bloßem Auge in das Weltall vordringen könnte, als er überrascht bemerkte, dass er seine Brille nicht trug. Ohne Brille konnte er sonst nicht einmal die Schilder der Bushaltestelle erkennen, es sei denn, er stand direkt davor. Lesen konnte er zwar ohne Brille, aber er konnte nicht sehr weit sehen und wusste nicht, ob er sich nun wundern oder freuen sollte.

      Die Sternenguckerei machte ihn fast schwindelig, als plötzlich, weit entfernt, eine leuchtend gelbe Kugel mit langem Schweif aus goldenem Regen seinen Blick auf sich zog. Sie kam aus dem Nichts, aus den schwarzen Tiefen der Nacht und verschwand ebenso plötzlich, wie sie erschienen war. Er hatte zwar schon von Sternschnuppen gelesen, aber noch nie eine mit eigenen Augen gesehen und so groß und hell leuchtend hatte er sich sie nicht vorgestellt. Er wusste, dass Sternschnuppen eigentlich nur Steine oder Eisklumpen waren, die von anderen Planeten auf die Erde fielen und meistens in der Erdatmosphäre verglühten. Ebenso war er sich gewiss, dass diese nichts mit Glück oder Magie zu tun hatten. Doch man konnte nie wissen. Er saß mutterseelen­allein auf einem Baum in einem unbekannten Wald und in dieser Situation wollte er einfach jede ihm gebotene Möglichkeit nutzen, um aus diesem Schlamassel herauszukommen. So murmelte er kaum hörbar seinen Wunsch in den Abendhimmel. Sehr leise, denn sonst würde der Wunsch nicht in Erfüllung gehen. Sicher ist sicher. Und wer sollte ihn schon hören?

      In diesem Moment bebte die Erde. Die Bäume des Waldes tanzten und zitterten, als ob eine Heerschar wütender Riesen gleichzeitig an ihnen gerüttelt hätte. Vögel stoben aus den Wipfeln dem Nachthimmel entgegen und ein beängstigendes Konzert erfüllte die Luft. Dem Jungen kroch es eiskalt den Nacken herauf. Er klammerte sich panisch an einen stabilen Ast. Nur wenige Augenblicke dauerte der Spuk, dann war alles vorüber. Die Eiche, auf der er hockte, hatte zwar gewackelt, aber nicht nachgegeben.

      Wie viel Zeit vergangen war, vermochte er nicht einzuschätzen, aber er schien eingeschlafen und dann von seltsamen Geräuschen aufgeschreckt zu sein. Es hörte sich an wie ein Klickern. So, als ob jemand sehr laut mit der Zunge geschnalzt hätte. Er spitze die Ohren und da hörte er es wieder. Es schien ihm, als würden die Geräusche aus verschiedenen Richtungen gleichzeitig kommen und sich von allen Seiten auf ihn zu bewegen.

       Klick klack, klick klack.

      Er lag auf seinem Ast und wagte nicht zu atmen. Dann raschelte es unter ihm im Geäst. Dunkle Schatten huschten eilig über den Boden. Die Tiere des Waldes brachen durchs Unterholz; Wildschweine, Rehe, Dachse und andere Viecher. Doch nicht diese Tiere machten ihm Angst. Es war vielmehr das, wovor sie flüchteten.

      Danach war es totenstill und nicht einmal die knorrigen Äste der Bäume wagten es, sich im Wind zu wiegen. Der verängstigte Bursche hielt die Luft an. Sein Herz raste und dann vernahm er ein leises, weit entferntes Jammern.

       Brötchenmeister

      Das ausgelassene Zwitschern der Vögel weckte den Jungen und weil die Sonne bereits aufgegangen war, kletterte er vorsichtig von dem Baum. Er hatte nur wenig geschlafen und ihm taten alle Knochen weh. Als er den rechten Fuß auf den Boden setzte, rief hinter ihm eine Stimme: »Ach, hier steckt Ihr! Hat der alte Herr Eichenmann Euch einen schönen Schlaf beschert?«

      Da stand wieder dieses eigenartige, kleine Mädchen in seinem schneeweißen Kleidchen und den roten Lackschühchen. Bei hellem Morgenlicht sah es nicht mehr ganz so unheimlich aus, nur eben sehr, sehr klein. Seine feuerroten Locken glänzten im Sonnenlicht und jetzt trug es einen Kranz aus geflochtenen Gänseblümchen auf dem Kopf.

      »Ihr habt gut daran getan, auf einem Baum zu schlafen, obwohl ich mir das nicht gerade gemütlich vorstelle«, sagte es. »Ich denke, damit dürftet Ihr die erste Prüfung bestanden haben. Ich freue mich, Euch heil und gesund wieder zu sehen, Herr Schmutzfink.«

      »Was meinst du mit Prüfung? Welche Prüfung? «, fauchte der Junge, denn er hatte sich ziemlich erschrocken. »Und außerdem heiß’ ich nicht Schmutzfink.«

      »So? Und wie ist Euer werter Name?«, fragte das Mädchen dieses Mal sehr höflich.

      »Ähm, Alex… Alexander.«

      Zweifelnd fragte es: »Seid Ihr sicher? Für mich seht Ihr eher nach einem Wolfgang aus. Oder Kasper. Ja, Ihr könntet auch ein Kasper sein.«

      Ganz sicher war er sich zwar nicht, aber eines war sonnenklar: »Nein, Kasper heiße ich bestimmt nicht und Wolfgang schon gar nicht.«

      Es schaute ihn lange an und neigte den Kopf abermals zur Seite. »Sagt, Herr Alexalexander, warum seid Ihr so voller Dreck? Ihr haltet wohl nicht viel von Reinlichkeit.«

      Der Junge blickte auf seine Hände und dann an sich herab. »Das würde ich auch gerne wissen. Aber mein Name ist nur Alexander.«

      »Hm, wie Ihr meint. Obwohl ich den Namen Kasper besser finde. Ich heiße übrigens Lilu, falls Ihr es wissen möchtet«, antwortete die Kleine. »So, nun haben wir uns offiziell vorgestellt. Eigentlich hätten wir einander von Dritten vorgestellt werden müssen, weißt du? Es schickt sich für ein ehrbares Mädchen nicht, mit jedem dahergelaufenen Schmutzfink zu sprechen. Sag, hast du vielleicht Hunger?«

      Alexander schüttelte verständnislos den Kopf. Er wurde nicht so recht schlau aus diesem Kind, aber irgendwie war es ihm auch vertraut. Er war in einem Alter, in dem Jungen nicht viel von Mädchen halten und hätte er nur eine Wahl gehabt, wäre er ihr sicher nicht gefolgt. Doch er hatte keine Wahl und außerdem tatsächlich Hunger. Das Mädchen hüpfte über die Wiese, Alexander folgte ihm zögernd.

      Es bückte sich mal hier und mal da, dann nahm es vorsichtig eine Blumenblüte zwischen ihre kleinen Finger und sagte: »Na meine Liebe, ausgeschlafen? Geh auf, geh auf – es ist Zeit, den neuen Tag zu begrüßen. Hi, hi, hi.«

      Alexander stand dicht bei ihm und fragte: »Sprichst du etwa mit den Blumen?«

      »Natürlich, ich muss sie doch wecken, sonst verschlafen sie noch den ganzen Tag und das wäre nicht gut für sie«, antwortete sie, ohne ihn anzuschauen. »Ich weiß, was gut für meine Lieben ist. Piep, piep.«

      ›Die ist doch nicht normal im Kopf‹, dachte er und fragte etwas spöttisch: »Und? Antworten sie dir denn auch?«

      »Du Naseweis, natürlich nicht. Blumen haben doch keinen Mund.«

      »Aber sie haben auch keine Ohren, oder? Also können sie dich auch nicht hören.«

      Sie winkte ab. »Ach, was weißt du denn schon von Blumen? Meine Lieblinge können auch ohne Ohren hören und sie verstehen mich sehr gut. Sie sind manchmal nur etwas … verträumt.«

      Sie