Diese Wesen schienen weder von Alexander noch von Lilu Notiz zu nehmen und machten sich emsig an ihr Tagewerk.
»Lilu! Schau mal! Was sind denn das schon wieder für putzige Tierchen? Hast du die schon mal gesehen?«, flüsterte Alexander sie aus den Augen zu lassen.
»Ach, das sind doch nur Heberlinge. Sie sind sehr nützlich und ebenso fleißig aber leider nicht sehr unterhaltsam. Ihre Sprache ist schwer verständlich und ich bin mir nicht sicher, ob sie alle die gleiche Sprache sprechen, was eine Unterhaltung umso schwieriger gestaltet«, erklärte Lilu ohne ihren Blick zu erheben.
»Und was machen die da?«
»Sie sammeln nur Beeren. Erdbeeren, Himbeeren, Heidelbeeren und Johannisbeeren für unsere köstliche Konfitüre. Sie machen nichts anderes. Sie sammeln immerzu und haben niemals Zeit zum Spielen. Die Beeren tauschen sie dann mit dem Brötchenmeister gegen irgendetwas ein. Ich weiß nicht genau was aber sie sind ganz versessen darauf.«
»Die sehen mit ihren Körbchen irgendwie aus wie Osterhasen auf einer Grußkarte«, stellte Alexander fest. »Nur die Ohren sind kleiner.«
»Das sind weder Hasen noch Kaninchen«, gab sie zurück.
Noch ein Weilchen beobachtete Alexander diese putzigen, flinken Tierchen und war erstaunt über ihr Geschick. Es dauerte nicht lange und alle Weidenkörbchen waren bis oben gefüllt mit Beeren; hauptsächlich Himbeeren und Brombeeren. Dann schulterten sie wieder ihre Körbchen, stellten sich in eine Reihe und marschierten singend in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
Alexander legte sich wieder ins Gras, genoss das warme Sonnenlicht auf seinem Gesicht und seine Augen wurden immer schwerer.
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Etwas kitzelte ihn und winzige Füße schienen seine Nase zu erkunden. Ohne die Augen zu öffnen versuchte er das lästige Insekt loszuwerden. Mit fahrigen und wenig gezielten Handbewegungen fuchtelte er in der Luft herum, doch es ließ sich nicht vertreiben. Er öffnete seine Augen und direkt vor ihm stand das Mädchen. Es hielt seine Arme auf dem Rücken verschränkt, ließ einen Weizenhalm durch ihre Finger gleiten und lächelte ihn an. »Guten Morgen, mein Lieber. Hast du gut geschlafen?«
Alexander reckte und streckte sich. »Und wie.«
»Es wurde höchste Zeit, dass du aufwachst. Ich habe mir schon Sorgen gemacht.«
»Wieso? Ist es denn schon so spät?«, fragte er schläfrig und schob eine viel zu kleine Decke beiseite.
»Nein, es ist früher Morgen, doch bereits der zweite. Piep, piep.« Lilus anfänglich schwer verständliche Aussprache schien sich entweder verbessert zu haben oder er konnte plötzlich schwedisch verstehen. Sie sprach nun mit heller, deutlicher und freundlicher Stimme und er freute sich, sie zu sehen.
»Wie?«
»Du hast einen ganzen Tag lang geschlafen. Ich wusste gar nicht, dass das geht.«
»Einen ganzen Tag?!«
»Jupps«, lächelte sie. »Aber nun musst du deine müden Knochen in Bewegung setzen. Wir haben noch einiges zu erledigen.«
Alexander setzte sich auf, blickte sich um und musste zu seinem Bedauern feststellen, dass er dem Traum selbst nach so langem Schlaf nicht entkommen war. »Also träume ich immer noch.«, murmelte er und schaute sie resigniert an. »Und was haben wir zu erledigen?«
Lilu trat einen Schritt näher, bückte sich zu ihm herab und erklärte: »Hör zu. Während du so selig geschlafen hast, haben sich Dinge ereignet, die nicht gut sind für unseren Wald. Ganz und gar nicht gut, und wenn ich mich nicht täusche - und ich täusche mich nie - wirst du mir helfen können. Ich benötige einen treuen Freund, mehr denn je. Bist du bereit für ein Abenteuer?«
Alexander verstand überhaupt nichts von dem, was sie ihm zu erklären versuchte. »Abenteuer? Was für ein Abenteuer? Jetzt mal der Reihe nach. Wovon redest du?«
Lilu neigte ihren Kopf auf die Seite, grinste und sagte: »Bei ein oder zwei Rosinenschnecken und dazu einem Kräutertee im Schatten der Linde wird die Sache sicher den geeigneten Rahmen finden. Komm mit.«
Sie drehte sich um, streckte ihm gleichzeitig ihre kleine Hand entgegen und lächelte vertraut. Ohne zu zögern ergriff er diese. Für einen Moment hatte er das Gefühl, dass entweder Lilu etwas gewachsen, oder er etwas geschrumpft war. Sie erreichten das Tischchen mit den vier Strohgraskissen und dieses Mal stand, statt des Weidenkörbchens mit Brötchen, ein Körbchen gefüllt mit Rosinenschnecken darauf.
Sie zeigte auf das gedeckte Tischchen und sagte: »Die hat der Rosinenschneckenmeister für uns gemacht, toll was?«
»Der schrumpelige Kerl? Ich dachte, der heißt nur und ausschließlich Brötchenmeister«, entgegnete Alexander etwas verwirrt. »Oder ist das ein anderer?«
»Nein, es ist derselbe. Aber das war, als er für uns Brötchen gebacken hatte. Nun hat er Rosinenschnecken für uns gebacken und besteht darauf Rosinenschneckenmeister genannt zu werden. Er ist, was er ist und heißt, wie er will. Piep, piep«, antwortete Lilu und setzte sich auf eins der Strohgraskissen.
»Und wo bekommt er das ganze Mehl her? Ich meine, wir sind doch hier im Wald, oder nicht? Dann muss es doch hier irgendwo ein Dorf ganz in der Nähe geben.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, hier gibt es weit und breit kein Dorf. Ich habe ihn nie gefragt doch ich glaube, das stibitzt er irgendwo.«
»Der klaut?«
»Jupps, davon kannst du mal ausgehen«, grinste sie. »Immerhin ist er ein Gnom.«
Kapitel II
Eine Reise
Alexander schaute auf die Rosinenschnecken vor sich und zog eine Grimasse. Sie dufteten köstlich, doch Rosinen konnte er nichts abgewinnen. Wegen ihrer schrumpeligen Form erinnerten ihn vertrocknete Weintrauben an riesige Popel und allein die Vorstellung fremde Popel im Mund zu haben, fand er ekelig. Bei den eigenen war das natürlich etwas anderes. »Jetzt erzähl mal, aber der Reihe nach. Was ist denn passiert?«
»Lecker, diese Rosinenschnecken; solltest du auch mal probieren. Mhhh, köstlich«, schwärmte Lilu und biss ein großes Stückchen ab.
Vom Hunger und dem verlockenden Duft nach Zimt und Mandeln getrieben, nahm Alexander sich doch ein Stück. »Weißt du, wann Rosinenschnecken noch besser schmecken?« Er pulte die größten Rosinen mit spitzen Fingern heraus und schnipste sie achtlos fort. »Wenn man statt Rosinen Mandelstückchen nimmt.«
»Aber dann wären es doch keine Rosinenschnecken mehr.«
»Eben …«
Nachdem die allerletzte Rosinenschnecke verputzt war, war es an der Zeit, sich ernsthaften Dingen zuzuwenden und so wischte Lilu sich den Mund mit einem Zipfel ihres Kleides und fragte: »Hast du des Nachts zufällig die Sternschnuppe gesehen, die über den Himmel gehuscht ist?«
Der Junge schaute sie erwartungsvoll an, da er dachte, dass noch eine Erklärung folgen würde. Dann antwortete er: »Zufällig? Die war ja wohl nicht zu übersehen. Die Erde hat sogar gebebt. Das war ganz schön unheimlich.« Da Lilu daraufhin nichts erwiderte, fuhr er fort: »Irgendwann bin ich eingeschlafen; dann habe ich von einem Klicken geträumt und jemand hat gejammert und geschrien.«
Sie stocherte mit einem Stöckchen im Boden herum und weckte kleine, lichtscheue Käfer, die wie aufgezogene Blechfiguren losmarschierten. »Diese Sternschnuppe scheint ein Uranolith gewesen zu sein.«
»Ein was? Unsinn, das war eine Sternschnuppe oder ein Meteorit.« Seine Neugierde war geweckt und er rutschte mit seinem Strohgraskissen näher an sie heran. »Ist der etwa irgendwo eingeschlagen und hat Häuser zerstört oder einen gewaltigen Krater hinterlassen?«
Lilu zog ihre schmalen Schultern fast bis an die Ohren und antwortete: