„Diese Runde findet nun ihr Ende.“ sendete er die restlichen hohen Mitglieder der Menschen und Elfen, welche die meiste Zeit über gedankenverloren geschwiegen hatten, hinaus. Wieder alleine mit sich und seinen Gedanken, blieb Torabur noch eine Weile sitzen.
XI
Lannus stand lange Zeit wie versteinert inmitten der fremdartigen Antlitze und starrte sie der Reihe nach an. Er wusste es nicht. Alles hatte sich plötzlich subtil überschlagen, sich ungewollt auf den Kopf gedreht. Diese Entscheidung würde sein Leben für immer verändern.
Er wusste es nicht.
„Es muss bessere Räuber als mich geben.“ konstatierte Lannus bedächtig.
„Nun, Lannus, ich habe viel von dir gehört. Meine Informanten berichten mir, du seist ein gerissener Verbrecher; du gehst ohne Gewalt vor. Und ohne Spuren zu hinterlassen. Das gefällt mir; es gibt immer Arbeit für Talente wie dich. Unser Zirkel zählt hunderte Mitglieder, doch wie du siehst, haben lediglich zwölf es geschafft, in diese Runde zu gelangen. Alle, die hier sitzen, haben Großes für uns geleistet. Sie alle haben da angefangen, wo du anfangen wirst. Es wäre erfreulich, einen Dreizehnten an der Tafel zu sehen.“ lächelte Teranon offen, falsch.
Lannus verfluchte sich für seine ungeheure Dummheit. Er hatte das Innere des Seraphen gesehen. Wenn er ihnen nicht beitrat, würde er sterben.
Der Meister hielt Lannus seine Hand hin. Mit zusammengebissenen Zähnen akzeptierte er sie. Der Greis lächelte ihn mit hervorragend gespielter Freundlichkeit an, bevor er sich wortlos umdrehte und den Gang entlangschlurfte. Lannus hatte keine andere Wahl, als ihm zu folgen.
Fremde Symbole und Zeichen, welche Lannus beim besten Willen nicht entziffern konnte, säumten die Wände und als hätte Teranon seine Gedanken gelesen, versprach er beiläufig,
„Das wirst du auch bald lesen und schreiben können.“
Lannus nickte im Weitergehen. Der Gang machte eine Biegung nach links und führte sie geradewegs auf eine massive Holztür zu. Sie blieben kurz vor ihr stehen, als Teranon Lannus fest in die Augen blickte, um etwas Wichtiges anzumerken, sich jedoch dagegen entschied und sich mit einem leichten Kopfschütteln zur Tür drehte. Er steckte einen merkwürdig-geformten Schlüssel aus Rubinen und Diamanten in das Schloss, welcher vermutlich mehr wert war, als alles, was Lannus jemals besessen hatte, inklusive dem Gold in seiner Tasche.
Neugier stach leicht nach seinen Innereien.
Die Tür glitt auf, der Anblick wurde freigegeben.
„Grundgütiger.“ staunte der junge Dieb.
Die restliche Reue verflog in einem einzigen Augenblick, als er die Masse der Schätze erblickte. Hiermit konnte man sich die Festung Eisenturm aneignen, da war sich Lannus sicher.
XII
Ein schwaches, rasselndes Klopfen weckte den jungen Zwerg aus einem unruhigen Halbschlaf und zwang ihn aufzustehen, um sich, nur in ein knielanges Nachthemd gekleidet, mit schleifenden Schritten auf den Weg zur Tür seines gemütlichen Gemachs zu begeben, ohne sich vorher seine Rüstung überzuziehen. Er konnte sich nicht vorstellen, wer ihn zu dieser Zeit wecken würde. Sich die Augen reibend, zwang er den schweren Türknauf mit einer Hand zur Aufgabe und die Tür schwang nach innen auf. Garandor wäre umgefallen, stünde das niedrige, kastanienbraune Tischchen nicht als rettende Stütze neben dem Eingang.
„Mein König – verzeiht bitte – ich habe Euch nicht erwartet.“ Der Zwerg ging auf die Knie um seinen König zu würdigen – eine Geste die ihm im Nachhinein lächerlich vorkam, da er um die Bodenständigkeit seines Herrschers wusste – doch dieser packte ihn mit einem festen Griff an den Schultern und hob ihn auf die Beine.
„Ein Held sollte sich nicht vor einem müden, grauen Zwerg auf die Knie werfen.“ Garandor setzte bereits zu einer Antwort an, wurde jedoch durch eine scharfe Handgeste unterbrochen.
„Ich sollte mich auf die Knie fallen lassen, nur befürchte ich, danach nicht mehr aufstehen zu können.“ Ein sympathisches Lächeln umspielte die Lippen des Königs. „Du wirst, wenn du wieder zurückkehrst, weitaus mehr für dieses Land getan haben, als ich in meiner gesamten Zeit als Herrscher.“ fuhr er aufmunternd fort.
Torabur hatte die Gabe, Leute in seiner Umgebung fröhlich zu stimmen, befand Garandor respektvoll. Torabur glich keinem König der vergangenen tausend Zyklen. Er war nicht so unnahbar, so kalt und distanziert. Vielmehr verströmte er eine Wärme, eine Herzlichkeit die Garandors Nervosität verfliegen ließ. Der Steinmetz wusste, dass der weise König nicht auf Etikette bedacht war, wie es sich für einen wahren Herrscher aus den Legenden gehörte. Er hatte es in seinen Zyklen unter Torabur häufig miterlebt.
„Garandor, deine Reise wird eine unvorstellbar beschwerliche werden.“ begann Torabur gewichtig. „Es gibt kaum behagliche Wörter, welche auf deiner Reise von Bedeutung sind. Sie prallen entweder an deiner greifbaren Furcht ab, oder werden entlang des Weges liegen gelassen. Worte sind nicht mutiger als der, der sie bei sich trägt, Garandor. Behalte das im Kopf. Lediglich Erinnerungen verfügen über eine solche Macht. Und Freundschaft, Liebe. In deinen Fieberträumen hast du häufig von Balira gesprochen. Du weißt, es geht ihr gut und ich weiß, ihr gehört zusammen. Sie ist jedoch eine heranwachsende Zauberin – sie wird einmal über Macht verfügen, die jenseits deiner Vorstellungskraft liegt und wird diese im Krieg gegen die Schatten entfesseln – doch im Festsaal vermochte sie es noch nicht, den Angriff der Mönche abzuhalten. Sie konnte sich lediglich mit einem geschickten Zauber verstecken.
Mein einziger Hinweis ist folgender. Wenn du in einer Situation bist, aus der es keinen Ausweg gibt, denke daran, dass du sie wiedersehen kannst, sobald du zum Eisenturm zurückkehrst. In Gedanken vermag es keine Macht der Insel, euch zu trennen.“ Er ließ die Worte einsinken und fuhr, verschwörerisch lächelnd, fort.
„Da fällt mir ein, ich möchte dir noch eine Kleinigkeit mit auf den Weg geben. Mardor, bring sie herein.“ tönte seine tiefe Stimme.
Einen Augenblick später flog die Tür auf und ein schmächtiger Zwerg trat ein. Er trug ein voluminöses Samtkissen, auf welchem sich eine atemberaubende, purpurne Brustplatte befand. Nachdem Mardor das Kissen mitsamt Rüstung abgestellt hatte, bekam Garandor die Möglichkeit, sie zu begutachten. Er hatte noch nie etwas Vergleichbares gesehen. Seine funkelnden Augen konnten sich beinahe nicht satt sehen an der Pracht dieses Meisterwerks. Ihm entging dennoch nicht, wie das zufriedene Lächeln sich tiefer in die Mundwinkel seines Herrschers grub.
„Nun, da du über die passende Rüstung verfügst, fehlt lediglich noch ein Streithammer, der eines Helden würdig ist.“ Der Satz hing noch an den Lippen Toraburs, als sich Mardor aus der Kammer begab, um den versprochenen Hammer hereinzubringen.
Garandor wusste nicht, wie er sich fühlen sollte. Einerseits wurden ihm Rüstungen, die eines edlen Herrschers würdig waren, übergeben und andererseits wollte er das alles nicht. Fürchtete sich vor der bevorstehenden Reise. Er wollte sich nicht von seiner geliebten Heimat verabschieden, um womöglich niemals wiederzukehren. Er wollte nicht von Baliras stiller Seite gerissen werden. Und er konnte es kaum ertragen, dass die Hoffnung dreier Völker auf seinen breiten Schultern ruhte. Sein Gefühl jedoch sagte ihm, dass er nicht ablehnen durfte. Dass er nicht konnte.
„Mein König, ich – ich danke dir.“ stotterte Garandor verlegen.
„Nicht doch. Die Hoffnung des gesamten Ostens ruht auf deinen Schultern.“
Die Tür öffnete sich und herein spazierte Mardor, einen gigantischen, mit transparenten, rostroten Diamanten besetzten Hammer in seinen für zwergische Verhältnisse wahrlich winzigen Armen balancierend. Toraburs Blick versprühte sichtbaren Stolz.
„Ich werde dich nun alleine lassen, Garandor. Ruhe dich aus; schon bald wirst du dich nach ihr sehnen.“
Der König