Die Pferdelords 08 - Das Volk der Lederschwingen. Michael Schenk. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Schenk
Издательство: Bookwire
Серия: Die Pferdelords
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750222465
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Gast auf den Turm hinaufzubitten.

      Als Daik ta Enderos die Plattform betrat, konnte er den wachhabenden

      Schwertmännern und Bulldemut nur ein knappes Nicken schenken. Keuchend

      rang er nach Atem, und die Luft war eisig und brannte in seiner Kehle. Der

      Pferdefürst stand an der Brüstung, zwischen zwei der ungewohnt geformten

      Zinnen, und winkte seinen Gast zu sich heran. Der umrundete den

      Lampenspiegel, der das alte Signalfeuer ersetzte, und hüllte sich enger in den

      Umhang, der ihn nur unvollkommen gegen die schneidende Kälte des Windes

      schützte.

      »Ihr kommt gerade noch rechtzeitig, um es zu sehen«, brummte der

      Pferdefürst.

      »Um was zu sehen?« Ta Enderos lächelte schwach. »Wollt Ihr mir die

      Schönheit des Sonnenaufgangs zeigen?«

      »Glaubt Ihr, dafür hätte ich mich hier heraufgequält? Schaut nach Osten, ta

      Enderos. Was seht Ihr?«

      Hinter der Frage des Pferdefürsten steckte eine besondere Absicht, aber der

      Alnoer wusste nicht, welche. »Nun, ich sehe im Südosten die Schwarzen

      Berge von Uma’Roll und im Nordosten das Gebirge von Noren-Brak. Und

      direkt vor unseren Nasen liegt der Pass, der die Gebirge teilt.«

      »Der Pass von Merdoret, genau«, stimmte Bulldemut zu. »Und davor die

      Weißen Sümpfe. Nun, ich vermute, es fällt Euch nicht auf, da Ihr die Sümpfe

      noch nicht kennt.«

      »Ich habe sie noch nie gesehen und kenne nur die alten Legenden. Dass

      dort einst eine furchtbare Schlacht tobte und der Sumpf die Toten

      verschlungen hat.«

      Bulldemut nickte bedächtig. »Nicht wie ein gewöhnlicher Sumpf, ta

      Enderos. Die Weißen Sümpfe sind verflucht. Sie nehmen die Toten nicht auf

      und geben sie auch nicht frei. Die Kämpfer liegen noch immer dort, wo sie

      gefallen sind. Menschen, Elfen und Orks. Was in das verfluchte Wasser

      taucht, kann nicht zerfallen, doch was aus ihm emporragt, hat sich aufgelöst.

      Es ist ein entsetzlicher Anblick, Alnoer. Ein einziges Mal habe ich es mit

      eigenen Augen gesehen, und Ihr könnt mir glauben, dass ich es nicht auf ein

      zweites Mal anlege.«

      »Und was sollte mir nun auffallen, Hoher Lord Bulldemut?«

      »Seht hinunter.« Bulldemut deutete in Richtung der verwunschenen

      Sumpflandschaft. »Sie sind zugefroren, die Sümpfe. Zum ersten Mal, seit wir

      Pferdelords in diese Mark kamen. Ich weiß nicht, woran das liegt. Wir hatten

      schon kalte und unbarmherzige Winter, und dennoch waren sie nie von Eis

      bedeckt. Doch in diesem Jahr ist es anders. Dabei hat der Winter noch nicht

      einmal begonnen. Es ist mir ein Rätsel, ta Enderos, ein wahres Rätsel.«

      »Zugefroren«, murmelte der Gardekommandeur und stützte sich auf eine

      der Zinnen. Hastig zog er die Hände zurück, denn der Stein war

      außergewöhnlich kalt. Während er seine Hände aneinanderrieb, überlegte er

      fieberhaft. »Ich verstehe. Sie sind passierbar, nicht wahr? Das Eis würde

      Männer mit Waffen tragen können.«

      »Wir treiben ein paar schwere Hornviehbullen in die Sümpfe«, brummte

      Bulldemut. »Dann werden wir es erfahren.« Er seufzte. »Wahrscheinlich

      tauen sie rasch wieder auf. Bedenkt, es ist noch nicht richtig Winter.«

      »Eben.« Ta Enderos lächelte. »Doch wenn sie im Winter zugefroren

      bleiben, dann hätten wir einen Weg ins Reich der Finsternis. Einen Weg nach

      Cantarim, nicht wahr, Pferdefürst Bulldemut?«

      Kapitel 5

      Showaa war unbestreitbar jung und auf jene Art verspielt, wie es für die

      Lederschwingen typisch war. Schwingenführer Mordeschdar hatte Anschudar

      darauf vorbereitet und ihm geraten, Showaa ihren Willen zu lassen, solange

      dies die Mission nicht gefährdete. »Sie wird sich austoben wollen,

      Anschudar«, hatte Mordeschdar gesagt. »Lass sie gewähren. Wenn sie ihrem

      natürlichen Trieb nicht folgen kann, wird sie übellaunig, und du weißt ja, wie

      störrisch eine Lederschwinge werden kann. Nimm sie nur an den Lenkstab,

      wenn es nicht anders geht. Und halte immer die Augen auf. Showaa hat gute

      Anlagen, aber ihr fehlt es an Erfahrung. Lass dich also von ihr nicht ablenken,

      und achte auf alles, was um dich herum geschieht. Doch das Wichtigste ist,

      dass ihr Gelbstein für den Horst findet. In dieser Hinsicht kannst du dich auf

      Showaas Instinkte verlassen. Sie ist jung und gierig, denn sie muss noch

      wachsen. Da wird sie auf das feinste Anzeichen von Gelbstein reagieren.«

      Also ließ Anschudar seiner Showaa ihren Willen. Zumindest

      weitestgehend. Die Lederschwinge genoss den langen Flug und versuchte

      sich in den verschiedensten Flugmanövern. Für Anschudar war es nicht

      besonders angenehm, wenn die junge Schwinge abrupt abtauchte, sich in

      rasendem Sturzflug dem Boden näherte und sich dann nach einer Rolle

      wieder hinauf in den Himmel schwang. Allmählich begann sein Magen auf

      diese Bewegungen zu reagieren, und er war froh, zuvor nicht viel gegessen zu

      haben, denn es wäre verschwendet gewesen.

      Nach einer mehrfachen Seitenrolle hatte Anschudar genug und setzte nun

      doch den Lenkstab ein. »Langsam, Showaa, langsam«, sang er in der

      typischen Weise der Schwingenreiter. Der Befehl glich einer sanften Melodie,

      doch das Volk der Lederschwingen reagierte instinktiv auf diese Lautfolgen.

      Showaa mochte die Worte ihres menschlichen Reiters noch nicht ganz

      verstehen, aber die Abfolge der Töne, mit denen sie ausgesungen wurden,

      machte ihr sofort deutlich, was Anschudar von ihr erwartete. Die junge

      Schwinge stieß ein missbilligendes Zischen aus, ging aber gehorsam in einen

      langsamen Flug über, bei dem sich ihre riesigen dreieckigen Schwingen nur

      träge bewegten.

      Anschudar wartete, bis sich sein Magen beruhigt hatte, und strich seinem

      Reittier