„Ich brauche deine Hilfe, Chloe“, begann Alpina bittend.
Chloe wirkte ratlos. „Wie sollte ich Euch helfen können?“
„Es ist kein großes Geheimnis, wie Glycera und du euer Geld verdient. Ich weiß, dass Ihr eine ganze Reihe von Rezepten kennt, eine Schwangerschaft zu verhindern oder ein Kind abzutreiben. Meine Aufgabe als Obstetrix ist es, Kindern auf die Welt zu helfen, nicht sie abzutreiben. Aber heute brauche ich genau dieses Wissen. Die Frau, der ich helfen will, hat es bereits mit einem Trank aus Artemisia und Poleiminze versucht, dennoch hatte sie keinen Erfolg – im Gegenteil, außer Übelkeit und Erbrechens ist keine Änderung ihres Zustandes eingetreten.“ Alpina sah die Sklavin eindringlich an.
Chloe nickte. „Ich kenne das. Mir ging es letztes Jahr genauso. Deine Mutter hat mir erklärt, dass ich zu spät dran war. Bei einem früheren Versuch hatte es noch funktioniert, und auch Glycera hat das Rezept bereits erfolgreich benutzt.“
„Gibt es noch andere Tränke oder Methoden? Ich hörte von Pessaren oder Spülungen, wie ist es damit?“ Alpina blieb hartnäckig.
„Kretischer Diptamus hat einen guten Effekt, als Trank, aber auch als Spülung“, sagte Chloe leiernd. „Aber die wirkungsvollsten Mittel bekommt man hier gar nicht. In meiner Heimat gibt es eine Pflanze, die Eselsgurke genannt wird. Sie wirkt hervorragend.“
Chloe blickte durch Alpina hindurch wie in die Ferne ihrer Heimat.
„Du hast noch nichts über Pessare gesagt, Chloe. Welche Möglichkeiten gibt es da?“
„Harze wirken oft abortiv. Galbanum, Myrrhe, Mastix und das Harz einer Winde aus dem Mittelmeerraum, die Scrammonium genannt wird. Und viele der gefährlichen Gifte wirken tödlich für das Kind, sie sind aber auch für die Mutter gefährlich. Aber ein ganz einfaches Rezept wäre Butter mit Alaun, das kann man hier sicher bekommen!“
„Alaun, natürlich!“ Alpina war überrascht, dass sie daran nicht gedacht hatte. Elvas hatte bereits davon gesprochen, dass Spülungen und Einläufe damit nach dem Geschlechtsverkehr eine Schwangerschaft verhindern konnten.
„Danke, Chloe!“ Sie lächelte die Dienerin an, doch diese erwiderte das Lächeln nicht. Es war müßig, sie zu fragen, wie es ihr ging. Man konnte erkennen, dass sie noch immer unter dem Verlust ihres Kindes litt. Als wenn sie Alpinas ungestellte Frage geahnt hätte, sagte Chloe: „Glycera verzichtet momentan darauf, mich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Sie sagt, ich müsse erst wieder lachen lernen. Aber ich kann nicht lachen! Ich kann nicht so tun, als ginge es mir gut. Wenn ich nur wüsste, wie es der Kleinen geht! Ob sie lebt?“ Fragend blickte sie Alpina an.
„Ich weiß es leider auch nicht, Chloe! Meine Schwester Ilara hat nichts herausfinden können. Die Tempeldiener der Iuno haben sie nicht gefunden. Es scheint sie also jemand aufgehoben zu haben, um sie aufzuziehen. Man kann nur hoffen, dass es ihr gut geht.“
Chloe nickte. „Ich werde es wohl nie erfahren, oder?“
Alpina schüttelte den Kopf. „Nein, Chloe, ich fürchte nicht.“
Dann bedankte sie sich bei der Dienerin für ihre Auskünfte und machte sich auf den Weg zu Ilara.
***
Claudius zog warme Stiefel an, als er sich zum Praetorium begab, um die Briefe der Caecina zu lesen. Fortunatus lieh ihm seinen Kapuzenmantel, damit die frische Toga nicht gleich wieder nass würde. Der Schneeregen war in Regen übergegangen und da die meisten Geschäfte und Marktstände heute geschlossen blieben, waren nur vereinzelt Menschen unterwegs. Die meisten Männer der Stadt dürften ohnehin jetzt in einer der Thermen sein und sich aufwärmen.
Als Claudius an Glyceras Haus vorbei kam, wäre er um ein Haar mit einer Gestalt zusammengestoßen, die ihre Kapuze so tief ins Gesicht gezogen hatte, dass sie ihn offenbar übersehen haben musste. Sie war geradewegs aus der Haustür der Schauspielerin gestürzt. Als eine leise Stimme eine Entschuldigung murmelte, hielt Claudius die Kapuzengestalt auf. Er kannte die Stimme.
„Alpina?“, fragte er ungläubig.
Sichtlich erschrocken sah das Mädchen zu ihm auf. Die Kapuze rutschte ein wenig zurück, so dass der Ritter das sorgenvolle Gesicht des schönen Mädchens sah.
„Was machst du denn hier?“ Seine Neugierde schien Alpina in Erklärungsnot zu bringen.
„Ich habe es eilig, Claudius!“, stammelte sie. „Ilara wartet auf mich. Sie ist krank. Ich musste nur rasch noch etwas besorgen.“
Sie zog die Kapuze wieder tiefer ins Gesicht und wollte gleich weiter.
„Sehen wir uns heute Abend? Ich habe einige Fragen an deine Mutter und dich. Bei Caecina wurden zahlreiche Kräuter gefunden und eine schriftliche Anleitung zur Herstellung eines Trankes. Ich wollte euch bitten, die Kräuter zu identifizieren. Ihr wisst bestimmt, welche es sind.“
Alpina nickte. „Gut, dann komm gegen Abend zu uns. Mein Vater wird aber nicht da sein. Er ist wegen der Feierlichkeiten im Palast.“
Claudius wusste das. „Er ist nicht der Anlass meines Besuches, auch wenn ich seine Meinung immer sehr schätze, aber diesmal bin ich an eurem Fachwissen interessiert.“
Alpina verabschiedete sich und hastete weiter. Claudius blieb einen Augenblick lang nachdenklich stehen. Was war mit Alpina los? Warum war sie bei Glycera gewesen? Noch dazu allein! Wäre eine Schwangere im Haus, hätte Elvas ihre Tochter sicherlich begleitet. Ihn plagte das schlechte Gewissen. Schließlich war auch er einer der Liebhaber der schönen Schauspielerin. Was, wenn Alpina von seinem letzen intimen Zusammentreffen mit Glycera erfahren hatte? Aber woher? Sein Sklave Silvanus, der Zeuge seines Fehltritts geworden war, würde sicher nichts erzählen. Was, wenn es Glycera gewesen war, die ihren schönen Mund nicht halten konnte oder wollte? Claudius hatte sich fest vorgenommen, den erotischen Reizen der Schönen zu widerstehen. Doch es war ihr erst kürzlich wieder gelungen, ihn zu verführen. Er wollte auf keinen Fall, dass seine Verlobte davon erfuhr. Das zarte Band, das Alpina und ihn verband, war noch nicht fest geknüpft. Claudius zog den Mantel wieder enger und eilte seufzend weiter.
***
Als Alpina völlig durchnässt das Haus des Luxuswarenhändlers betrat, wurde sie von einer erleichterten Celsa empfangen. Es ging es Ilara besser. Die Sklavin nahm Alpina den Mantel ab und führte sie zu Ilara, die unruhig im Triclinium auf- und abging. Ihre Haare hatte sie inzwischen zu einem langen Zopf geflochten und wirkte auch sonst nicht mehr so aufgelöst wie zuvor.
„Da bist du ja endlich! Was war los? Warum hat das so lange gedauert?“
„Ich habe nicht nur bei Hippokrates nachgelesen, sondern noch einen Abstecher zu Chloe gemacht. Ich dachte mir, dass sie mir ein paar gute Ratschläge geben könnte.“
Ilara blieb wie angewurzelt stehen.
„Du warst in Glyceras Haus? Bist du wahnsinnig? Soll die ganze Stadt wissen, dass ich versuche, ein Kind abzutreiben, während mein Mann auf einer Geschäftsreise ist?“ Wütend stampfte sie auf und schrie Alpina an: „Du glaubst doch nicht, dass Chloe dicht hält! Die wird Glycera brühwarm berichten, dass die Gattin ihres Geliebten einen Bastard abtreiben will!“
„Wenn du weiter so laut brüllst, werden es bald alle in der Stadt wissen, ganz ohne Glyceras Zutun! Ich habe dich mit keinem Wort erwähnt und, ehrlich gesagt, glaube ich nicht einmal, dass Chloe Glycera von meinem Besuch berichten wird. Sie ist in erschreckend schlechter Verfassung.“
Alpina packte die Holzkiste aus, in der sie die Kräuter transportiert hatte. Daneben legte sie den Papyrus, auf dem sie sich die Angaben des Hippokrates notiert hatte.
„Hippokrates hat neben Tränken auch Rezepturen für Pessare überliefert. Leider sind viele der Zutaten hier schwer zu bekommen. Schließlich lebte der Mann in Griechenland. Wir können mal nachsehen, ob das ein oder andere nicht sogar in den Schubfächern des Ladens deines Mannes schlummert.“
Ilara sah skeptisch auf die Utensilien, die ihre Schwester