Raetia. Melissa Jäger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Melissa Jäger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738012699
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Schwiegermutter vor Gericht kaum verwenden kann, auch wenn ich ihre Expertenmeinung schätze. Die Einzige, die uns helfen könnte, wäre die Kräuterhexe, die die Rezeptur ausgestellt und die Kräuter verkauft hat. Sie ist, vermute ich, auch für das Fluchtäfelchen verantwortlich. Sie allein könnte Caecina retten, würde dabei aber ihr eigenes Leben ausliefern. Sehr unwahrscheinlich, dass sie das freiwillig tun würde.“

      Claudius grübelte noch darüber, wie man die Kräuterfrau ausfindig machen könnte, als der Ädil bereits das nächste Thema auf den Plan brachte.

      „Wir müssen über den weiteren Verbleib von Caecina beraten. Sie ist eine ehrwürdige Matrone, die bis zum Beweis ihrer Schuld oder Unschuld ein Anrecht auf Freiheit hat. Sie hat bereits eine Nacht ohne jeglichen Komfort in der Obhut der Statthaltergarde verbracht. Morgen ist die Vorverhandlung, und wenn es zu einer Hauptverhandlung kommt, wovon ich ausgehe, dann wird diese wohl erst nach Rufus‘ Reise nach Germanien stattfinden. Wir müssen also einen Bürger finden, der Caecina bei sich aufnimmt. Ihr Gatte wird sich zu Recht weigern, die potentielle Giftmischerin weiter bei sich zu beherbergen, auch wenn sie seine Frau ist.“

      Claudius zog die Augenbrauen hoch. Daran hatte er noch gar nicht gedacht.

      „Ich glaube“, sagte Vindelicus, „wir besprechen das gleich heute morgen mit den Männern des Stadtrates.“

      Sie betraten das Vestibül des Praetoriums. Vindelicus winkte mit seinem Rutenbündel die wartenden Menschen beiseite. Nur wenig später hatte Claudius alle wichtigen Häupter der Stadt in einen der Versammlungsräume bestellt. Als alle anwesend waren, räusperte sich Vindelicus und lieferte eine Kurzfassung der Geschehnisse und der Ermittlungsergebnisse. Mit einem erlaubnisheischenden Blick auf Essimnus las er auch den Anklagetext, den der Advocatus Gallus verfasst hatte. Neben einigem dumpfen Gemurmel herrschte betretenes Schweigen. Vindelicus schloss damit, dass die Vorverhandlung für den kommenden Tag anberaumt sei.

      Er lenkte seinen Blick in die Runde und fragte dann gerade heraus: „Wer von Euch wäre denn bereit, Tenatia Caecina bis zur Hauptverhandlung eine Unterkunft zu gewähren? Unser verehrter Tenatius Essimnus möchte nicht länger unter einem Dach mit seiner Gattin leben und da, wie Euch vielleicht bekannt ist, Tenatia Caecina keine lebenden Verwandten mehr in Augusta Vindelicum hat, brauchen wir einen Freiwilligen. Wir können sie nicht wochenlang in den Carcer sperren.“

      Die meisten der Angesprochenen blickten zu Boden. Keiner von ihnen wollte es sich mit Essimnus verscherzen. Da meldeten sich sowohl Claudius als auch Caius Iulius Achilleus mit einem vorsichtigen Handzeichen.

      Der Ädil lächelte dankbar. „Es ist sehr ehrbar von Euch, das Ihr der Frau des ehemaligen Quaestors ein Quartier bieten möchtet. Ich bitte zu erinnern, dass sie bis zur Verurteilung eine freie römische Bürgerin ist. Ich schätze dein Engagement, Claudius Paternus Clementianus, aber ich denke, dass es keine gute Idee ist, Tenatia Caecina in den Haushalt eines unverheirateten Mannes zu geben. Das könnte zu Gerüchten führen, die weder dir noch der Gattin des ehemaligen Quaestors gut zu Gesicht stünden. Vielleicht ist es besser, wenn Caius Iulius Achilleus die Frau aufnimmt. Er hat Frau und Tochter und wird in den kommenden Wochen den Statthalter auf seiner Reise in die germanischen Provinzen begleiten. Da kann es nicht zu Gerüchten kommen. Außerdem ist Iulia Elvas eine erfahrene Obstetrix, sie kennt sich mit Kräutern aus und wird also keine Angst vor einer eventuellen Giftmischerin haben.“

      Er lächelte Caius dankbar zu, und das zustimmende Gemurmel der Umstehenden, machte eine Abstimmung unnötig. Der Centurio nickte. Er ging jedoch davon aus, dass Elvas nichts dagegen hatte, Caecina bis zur Hauptverhandlung aufzunehmen.

      ***

      Glycera war wütend. Sie riss Chloe die Decke weg.

      „Steh auf, du faules Weib!“, brüllte sie die Sklavin an. „Ich habe wirklich viel Geduld mit dir gehabt. Seit Wochen verkriechst du dich in diesem Zimmer und dämmerst vor dich hin. So geht das nicht weiter! Heute ist das Fest der Anna Perenna, die Männer wollen ihren Spaß haben! Ich erwarte von dir, dass du dich hübsch herrichtest. Außerdem musst du noch zum Laden des Soterichus, einige Duftöle, Harze und Balsam besorgen. Dann brauche ich noch Schminke, und zu dieser Kräuterhexe gehst du gleich auch noch, der Balsam zur Steigerung der Liebesleidenschaft und die errektionsfördernde Salbe gehen aus.“

      Chloe stand mühsam auf. Sie schwankte, und ihre Hände zitterten, als sie nach ihrer Tunika griff. Ihr war übel, und als sie sich auf den Weg zum Balneum machte, hatte sie das Gefühl, dass ihre Beine sie kaum trugen. Myrtale war bereits fertig mit der Morgentoilette. Sie betrachtete ihre farbig geschminkten Augen in dem schönen Silberspiegel, den Glycera im Balneum liegen hatte. Dann legte sie Perlenohrringe an und steckte sich geschickt die Haare hoch. Mit geübten Handgriffen nahm sie die Lockenzange aus der Glut eines kleinen Beckens und ondulierte ihre Stirnhaare in ebenmäßige Locken.

      Seufzend betrachtete Myrtale den ausgezehrten Körper ihrer Freundin und Mitsklavin. Seit der Geburt ihres Kindes war Chloe abgemagert. Die ausgeleierte Haut ihres Bauches hing faltig über die Beckenknochen, Schwangerschaftsstreifen überspannten wie ein Spinnennetz den Unterleib, und die Rippen traten deutlich hervor. Die einst so schönen Haare wirkten stumpf und waren ohne Glanz. Durch das viele Liegen hatten sich dichte Nester in Chloes rotem Haar gebildet. Myrtale fluchte, und Chloe biss die Zähne zusammen, als die Freundin versuchte, mit dem Kamm Ordnung in die wirre Mähne zu bringen. Sie erzählte Chloe vom Besuch des kaiserlichen Legaten, der Statthalter und der Prätorianer. Da ahnte die leidende Chloe, was auf sie zukommen würde. Das Fest der Anna Perenna war berüchtigt für seine Ausschweifungen. Zum einen wurde unmäßig getrunken, weil jeder noch möglichst viele Jahre leben wollte, und der dumme Aberglaube, dass die Anzahl der geleerten Becher einer Vorhersage über die verbleibende Lebenszeit gleichkam, führte dazu, dass sich selbst die Greise betranken. Es war ja auch eine wundervolle Ausrede für das Saufen! Zum zweiten gehörten derbe Sprüche und anzügliche Geschichten zum Brauch des Festes. Angeblich sollte diese ominöse Anna Perenna den liebestollen Gott Mars getäuscht haben, der die jungfräuliche Göttin Minerva verführen wollte. Die alte Anna verkleidete sich als Minerva und erwartete dann in einen Schleier gehüllt den Kriegsgott in ihrem Bett. Als sich Mars über die vermeintlich schöne, jungfräuliche Göttin hermachen wollte, entdeckte er, dass er getäuscht worden war. Entsetzt floh er, und seit dem sollten die schlüpfrigen Sprüche und Zoten an die gerissene alte Anna Perenna erinnern. Im Laufe der Zeit waren die Festlichkeiten für die alte Göttin der Latiner mehr und mehr zu wüsten Sauf- und Sexorgien entartet. Je betrunkener die Kerle wurden, desto wüster wurden ihre Annäherungsversuche. Die Vorstellung, es an diesem Abend mit einer ganzen Horde Soldaten aufnehmen zu müssen, trieb Chloe den Angstschweiß auf die Stirn. Eher mechanisch tränkte sie ihr Schwämmchen mit Essig und Granatapfelsud, um einer weiteren Schwangerschaft vorzubeugen. Bei einer Nacht mit mehreren Männern würde das ohnehin nicht viel nützen.

      Glycera musterte ihre Dienerin missbilligend, als sie aus dem Balneum kam. Dann drückte sie ihr einen Korb und einen Geldbörsenarmreif in die Hand, in dem Chloe die benötigten Münzen sicher und dekorativ zugleich transportieren konnte.

      Sie sagte: „Sie zu, dass du bald wieder hier bis, ich muss mich noch herrichten, dafür benötige ich die Schminke und die Duftöle. Ich werde mit Myrtale noch nach einem schönen Haarteil suchen, um meiner Frisur den letzen Schliff zu verpassen.“

      Chloe nickte gehorsam und schob den Armreif bis nahe an den Ellbogen, damit die Klappe, die ihn auf der Innenseite verschloss, fest an den Arm gepresst wurde. Dann gingen die Frauen getrennter Wege.

      ***

      Elvas war schweigsamer als sonst, nachdem sie Ilaras Haus verlassen hatten. Sie erklärte kurz angebunden, dass sie noch einige Harze und seltene Heilkräuter brauchte, die ihr ausgegangen waren. Die Harze kaufte sie gleich im Laden der Alpii. Der Sklave Milus machte ihnen einen hervorragenden Preis, aber die anderen Kräuter wie Mandragora, Bilsenkraut und das Harz des Schlafmohns mussten sie anderswo kaufen. Mit Alpina im Schlepptau steuerte sie einen Laden in der Straße der Frauentherme an. Eine Freigelassene aus Alexandria, die auf den Namen Sitre hörte, verkaufte dort Kräuter und Zutaten für magische Rituale, Tränke, Salben und Amulette. Sie selbst war erfahren in Ritualen, Beschwörungen und den Weisheiten der Chaldäer. Ihr Herr