Raetia. Melissa Jäger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Melissa Jäger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738012699
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was dazu führte, dass Rufus‘ Miene sich zu einer eifersüchtigen Fratze verzog, wenn er versuchte, den Legaten anzulächeln.

      Nach der Darbietung bekam Claudius die Gelegenheit, mit Achilleus zu sprechen. Er erzählte dem Centurio von den Gerüchten, die in der Therme die Runde gemacht hatten. Der erfahrene Mann nickte. „Ich kenne die Gerüchte, und da ist sicher was Wahres daran. Aber wenn die Beweislast so erdrückend ist, kann Caecina wohl niemand mehr helfen.“

      Claudius bohrte nach. „Hat sie noch etwas gesagt, als du sie zusammen mit Sirus vernommen hast?“

      Achilleus kräuselte die Lippen. „Sie erklärte, dass sie die Kräuter auf Essimnus‘ Wunsch hin bei einer bekannten Kräuterfrau gekauft hätte. Diese habe auch die Dosierungs- und Zubereitungsanleitung verfasst. Caecina sagte, es habe sich um eine Rezeptur gehandelt, die „Pulver zur Kräftigung sexuell geschwächter Männer“ heißt. Essminus sei schon seit längerem seinen ehelichen Pflichten mehr schlecht als recht nachgekommen. Sowohl die Häufigkeit als auch die Standhaftigkeit seien gemindert gewesen, und Caecina vermutete, dass das nicht nur bei ihr der Fall war, was ihn offenbar bestürzte. Ich bin gespannt, ob sie das vor Gericht wiederholen wird.“ Caius lächelte spöttisch.

      Claudius amüsierte sich mit ihm. Der Fall begann ihm Spaß zu machen.

      Monat März, am Tag vor den Iden des März, Equirria

      Der Tag war denkbar ungünstig für ein Wagenrennen zu Ehren des Gottes Mars. Es hatte die gesamte Nacht über geregnet, und gegen Morgen ging der Regen sogar in Schneeregen über. Zudem war es empfindlich kalt. Claudius machte wie jeden Morgen Vindelicus seine Aufwartung. Er fand sich zur morgendlichen Salutatio ein und reihte sich in die Menge der wartenden Klienten des angesehenen Mannes ein. Die meisten von ihnen trugen die dicken Kapuzenmäntel, die hier in Raetien so beliebt waren. Claudius‘ helle Toga stach unter den einfachen Kleidern der Klienten förmlich heraus. Geduldig wartete man in der Nässe.

      Das für die römische Armee so wichtige Marsfest bedeutete für Claudius eine Behinderung seiner Arbeit. Wegen des Festessens am Abend zuvor war er noch nicht dazugekommen, die Briefe zu lesen, die bei der Gattin des Essimnus beschlagnahmt worden waren. Außerdem wollte er Elvas und Alpina um eine Identifikation der ihm unbekannten Kräuter bitten und hoffte, beides nach dem Opfer am Marstempel und dem Wagenrennen erledigen zu können. Das Rennen auf dem vor der Toren der Stadt angelegten Rennbahn würde sicher hochinteressant werden, da der Gesandte des Kaisers, Fabricius Veiento in Begleitung eines Reitertrupps der Prätorianer gekommen war, von denen mindestens einer als Wagenlenker für die Ehre des Kaisers antreten würde. Auch die beiden zukünftigen Statthalter der germanischen Provinzen reisten mit einem großen Gefolge, zu dem neben Theaterleuten und Gladiatoren sicher auch Wagenlenker gehörten. Ein solch interessantes Equirria-Fest hatte in Augusta Vindelicum bisher noch nicht stattgefunden, und es würde wohl so schnell auch keine weitere Gelegenheit für ähnliches geben.

      Vindelicus erschien spät. Er wirkte verkatert, was kein Wunder war. Rufus hatte zu Ehren seiner Gäste die erlesensten Weine ausgeschenkt, und die Gäste hatten diesen reichlich zugesprochen. Der Ädil grüßte Claudius und eine handvoll anderer Wartender persönlich, an den Rest ließ er durch seine Dienerschaft Brot verteilen. Wer keinen Sack oder Korb mitgebracht hatte, ging leer aus. Ein alter Mann, dessen zahnloser Mund weit geöffnet lächelte, versuchte den Ädil in ein Gespräch zu verwickeln. Der Alte faselte etwas von Betrügern und Dieben, doch Vindelicus wimmelte ihn ab. Er verwies auf seine Amtszeiten und zog sich dann die Toga über den Kopf, um sich vor dem kalten Schneeregen zu schützen.

      „Komm, Claudius! Wir müssen uns beeilen! Was für ein grässliches Wetter!“

      Gemeinsam steuerten sie den Marstempel an, der zwischen der Principia, dem neuen Procuratorenpalast und dem Forum lag. Sie waren spät dran, die Menschenmenge war schon so dicht, dass selbst eine geachtete Persönlichkeit wie Vindelicus Mühe hatte, zu seinem angestammten Platz in der vordersten Reihe der Magistratsbeamten zu gelangen. Die Auguren hatten längst die Zeichen gedeutet und das schöne Pferd, das für das Opfer an den Kriegsgott ausgesucht und geschmückt worden war, senkte vor dem Opferpriester willig den Kopf. Claudius wusste, dass ein Brotstück in der Hand des Opferdieners für das gute Omen sorgte. Das Opfer wurde vollzogen, das Blut des Tieres den Opferkuchen beigegeben. Einen davon bekam Mars, der Kriegsgott, dem dieser Monat und die Feste zum Beginn der Kampfsaison geweiht waren, einen weiteren erhielt Epona, die einheimische Göttin der Pferde, zu der Claudius ein besonders inniges Verhältnis hatte. Die Erbauung ihres Tempels im Tempelbezirk für die einheimischen Götter war von seinem Vater finanziert worden, und ein Weihealtar, der in seiner Widmung den Namen des Vaters trug, hielt diese Dedikation bis heute fest. Eine Tempeldienerin der Göttin nahm die Opfergabe entgegen und brachte sie zu dem kleinen Umgangstempel über dem Hochufer des Vindo.

      Die Opfergemeinde brach zur Pompa genannten Prozession zu Ehren der Götter auf. Man folgte den Priestern mit den Wagen, auf denen die Statuen des Mars und der Epona zur Rennbahn im Bereich der Flußauen des Likias gebracht wurden. Bereits zum ersten Equirriafest am vor den Kalenden des März hatte dort ein Pferderennen stattgefunden. Damals war das Wetter trocken gewesen, aber jetzt, nach den intensiven Regenfällen, würde der Boden tief und matschig sein. Es war sogar möglich, dass die Niederschläge ein Steigen des Wasserspiegels nach sich ziehen und der Rennplatz überflutet werden würde. Missmutig stapfte Claudius hinter den illustren Gästen und den Magistratsbeamten her.

      Um den Circus hatte man vor einigen Jahren einen Graben gezogen, um den drohenden Überschwemmungen des Flusses Herr zu werden. Den Aushub hatte man dafür verwendet, eine Art Wall für die hufeisenförmige Bahn und die Spina aufzuschütten. Die Wendemarken wurden von hochaufragenden Baumstämmen gebildet. Auf die Spina stellte man die Statuen der Götter, die an diesem Festtag mit dem Rennen geehrt wurden. Für die Ehrengäste war an der Längsseite eine Tribüne errichtet worden, von der aus man die Zielgerade und die Wendemarken gut überblicken konnte. Die Carceres, wie man die hölzernen Startboxen für die Gespanne nannte, lagen an der offenen Seite des Hufeisens. Claudius stand ganz nahe bei den Ehrengästen. Einige hatten sich von ihren Sklaven Klappstühle mitbringen lassen, doch viele der Nobiles standen lieber im Schneeregen.

      Die ersten Gespanne zeigten sich, der Jubel auf den Rängen brandete auf. Wie erwartet hatten sich die Gäste nicht lumpen lassen und ihre Gespanne an den Start gebracht. Sowohl die Prätorianer als auch die professionellen Wagenlenker der beiden Statthalter stellten bereits im dritten Rennen je ein Gespann. Die Wagen umrundeten die Spina und zeigten sich der Menge. Man schloss eifrig Wetten ab. Dann brachten sich die Gespanne hinter den Absperrungen des Starthauses in Position. Rufus begrüßte noch einmal seine Gäste und stellte die Wagenlenker der Gespanne vor. Er vergaß auch nicht, den Finanziers des Rennens zu danken.

      Die Spannung war beinahe greifbar, als er mit seinem Zeremonialstab das Rennen eröffnete.

      Auf dieser einfachen Bahn gab es anders als in Rom keine Delfine oder Eier als Rundenmarker. Ein Liktor des Statthalters rief die Runden aus, und man schrieb sie dann mit Kreide an ein dafür vorgesehenes Brett. Die Pferdegespanne wurden von einem einfachen Seil zurückgehalten, das zum Start schlagartig weggezogen werden musste.

      Zunächst gab es zwei kleinere Rennen mit Wagenlenkern aus dem Kreis der Statthaltergarde und einiger professioneller oder semiprofessioneller Rennpferdebesitzer. Die Sieger und die Zweiten aus diesen Rennen traten anschließend gegen die Wagenlenker der kaiserlichen Gesandten an.

      Tief gruben sich die Hufe und die Räder der Gespanne in den matschigen Untergrund, der zwischen den Rennen notdürftig mit Sägespänen befestigt wurde. Die hübsch herausgeputzten Pferde, die die leichten, eigens für die Rennen konstruierten Wagen zogen, waren schon nach der ersten der sieben Runden über und über mit Schlamm bespritzt. Im zweiten Rennen kam ein Gespann an einer der Wendemarken ins Rutschen. Der Lenker stürzte vom Wagen und musste sich mit seinem Messer aus den Zügeln schneiden, um nicht mitgeschleift und von den anderen Gespannen überfahren zu werden.

      Es war kaum verwunderlich, dass einer der professionellen Wagenlenker aus dem Gefolge des zukünftigen obergermanischen Statthalters, Lusianus Proculus, die ausgesetzte Siegesprämie und das Bronzebecken als Siegesgeschenk