Raetia. Melissa Jäger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Melissa Jäger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738012699
Скачать книгу
Lupa zu heiraten. Die scheint es noch zu schaffen, sein Pilum hart zu machen! Caecina ließ aber auch durchblicken, dass seine finanzielle Situation eine Scheidung wohl kaum zulassen würde. Schließlich war ihre Mitgift nicht unbeträchtlich gewesen, und der Wahlkampf um ein neues Amt ist kostspielig, wie jeder weiß. Allein das Ausrichten der Spiele zu Ehren des Kaisers…“

      Dolabella hielt mit gespieltem Entsetzen die Hand vor den Mund. „Wenn das wahr ist, Ilara, ist das ja schrecklich! Wenn er damit durch kommt, bringt er sie um alles: um ihr Geld, ihre Kinder und wenn es ganz schlimm kommt, sogar noch um ihr Leben!“

      Alpina schüttelte sich bei so viel Niedertracht. Ilara jedoch zuckte nur resignierend mit den Achseln und schob eine Strähne ihres dunklen Haares wieder in die Hochsteckfrisur zurück.

      „Sie wird ihm niemals nachweisen können, dass das ein Komplott ist. Es ist so einfach, Beweise zu fälschen und der eigenen Frau unterzujubeln. Ihr werdet sehen, er wird sie so auf bequeme Weise loswerden!“

      Bevor Dolabella noch irgendetwas erwidern konnte, zog Ilara ihre Schwester mit sich in den hinteren Teil des Hauses. Sie sah sich um, ob sie auch wirklich ungestört waren.

      „Alpina, ich brauche Artemisia und Poleiminze, sofort!“

      Alpina sah ihre ältere Schwester durchdringend an. „Warum? Wozu? Lucius ist nicht da, wieso willst du dann diese Kräuter?“

      Ilara wurde rot. „Das geht dich nichts an! Ich brauche sie, das muss dir reichen! Andernfalls habe ich ein großes Problem! Wie soll ich meinem Mann erklären, dass ich schwanger bin, wenn er nach über einem halben Jahr zurückkehrt?“

      Alpina wurde wütend. „Was? Du gehst fremd? Ilara! Du beschwerst dich, dass Lucius dich nicht liebt und eine andere vorzieht, und dann suchst du dir einen Liebhaber? Das glaube ich einfach nicht!“

      Ilaras Blick schien töten zu wollen. „Nun spiel hier nicht die Tugendhafte! Ich tröste mich eben. Ich bin einsam, Alpina, und sehne mich nach Liebe. Tiberius gibt mir das Gefühl, geliebt zu werden. Er ist liebevoll und zärtlich. Was soll’s? Es bleibt ohnehin in der Familie, oder?“

      Angewidert verzog Alpina den Mund. „Du schläfst noch immer mit deinem Schwiegervater? Ich dachte, das wäre nur ein Ausrutscher gewesen! Außerdem solltest du wissen, wie man eine Schwangerschaft verhindert. Schäme dich!“

      Ilara zuckte die Achseln. „Es ist halt passiert! Hilfst du mir nun oder nicht?“

      „Wie lange ist die Blutung ausgeblieben?“ Alpina kehrte zur Sachlichkeit zurück.

      „Erst wenige Tage, aber ich will es nicht darauf ankommen lassen, verstehst du?“

      Alpina nickte. Sie drehte sich um und ging in den Vorratsraum, in dem Elvas ihre Kräuter aufbewahrte. Dann stellte sie Ilara die notwendige Mischung zusammen und packte alles in eine Papyrustüte.

      „Eine Unze davon auf einen Becher kochendes Wasser, aufkochen und ziehen lassen. Drei bis viermal heute einen Becher davon. Eventuell morgen noch ein oder zwei Mal. Spätestens gegen Mittag sollte die Blutung einsetzten. Sie wird schmerzhaft, und dir wird übel sein. Vielleicht sollte ich dir auch noch Minze gegen die Übelkeit geben“, dachte Alpina laut nach.

      Doch Ilara nahm ihr die Tüte schnell aus der Hand. „Danke! Das reicht! Besten Dank, Schwesterchen!“

      Sie drückte Alpina flüchtig an sich und rauschte davon.

      ***

      Caius Velius Rufus hatte die Basilika für das Festessen herrichten lassen. Für die illustren Gäste und die wichtigsten Männer der Provinz- und Stadtverwaltung waren Klinen und Stühle vorbereitet worden, der Rest der Festgäste musste mit Klappstühlen vorlieb nehmen oder stehen. Kohlebecken auf Dreifüßen erwärmten den großen Raum nur notdürftig. Ein wahres Heer von Sklaven und Sklavinnen bewirtete die Gäste mit Köstlichkeiten.

      Fabricius Veiento, der diplomatische Gesandte des Kaisers, stand in seiner Senatorentoga auf der Tribüne für die Ehrengäste und richtete das Wort an die versammelte Menge.

      „Liebe Festgäste, liebe Bürger der Provinz Raetia, lieber Caius Velius Rufus! Ich freue mich, auf meinem Weg in die germanischen Provinzen Eure Gastfreundschaft genießen zu dürfen. Ich begleite die neuen Statthalter der beiden germanischen Provinzen, Licinius Sura und Lusianus Proculus, zu ihrem neuen Einsatzort. Wie Ihr vermutlich wisst, ist es nicht überall an den Grenzen des römischen Reiches so ruhig wie hier am raetischen Ufer des Danuvius. Vor bald zwei Jahren hat unser Herr und Gott, Kaiser Domitianus, mit Hilfe unseres verehrten Statthalters, Caius Velius Rufus, die Markomannen, Quaden und Jazygen am Unterlauf des Flusses, den man dort Istros nennt, in einem glorreichen Feldzug besiegt. Doch der Frieden in den Gebieten dort ist brüchig. Das Volk der Daker rüstet auf. König Decebalus wird mit dem ausgehandelten Friedensvertrag keine Ruhe geben, da sind wir uns sicher. Die Provinz Pannonia und das Gebiet der Daker sind Unruheherde, und dazu kommt die nach wie vor unsichere Lage an der Nordgrenze der germanischen Provinzen. Zwar scheint das Volk der Chatten durch den letzten erfolgreichen Feldzug geschwächt zu sein, doch immer wieder müssen wir von Umsturzgerüchten, Allianzen und kleinen Gefechten an der Reichsgrenze hören. Dennoch hoffen wir mit Sunnus, einem romfreundlichen Herrscher auf dem Thron der Bukterer, einen Verbündeten aufbauen zu können. Aus diesem Grund reise ich in die germanischen Provinzen. Velius Rufus wird mich mit einer Delegation begleiten, denn es geht auch um die weiteren Sicherungsmaßnahmen entlang der Limites, die Domitianus weiter ausbauen möchte. Zur besseren und schnelleren Truppenversorgung und Informationsübermittlung, und um die Kontrolle der Grenzen zum freien Germanien besser koordinieren zu können, möchte der Kaiser noch mehr Kastelle und Straßen anlegen lassen. Vor allem in den Agri Decumanes und entlang der neu geschaffenen Verbindung zwischen Mogontiacum und Grinario, die die Provinzen Obergermanien und Raetia verbindet, sollen befestigte Stützpunkte entstehen. Die Verbindungswege sollen ausgebaut werden. Dazu werden wir mit den Statthaltern beider germanischer Provinzen Lösungsstrategien entwickeln. Jede Provinz wird Teile ihrer Truppen für die Baumaßnahmen abkommandieren müssen. Nun aber lasst uns die Becher heben und auf die Gesundheit unseres Herrn und Gottes, Kaiser Domitianus, anstoßen!“

      Die bevorstehende Reise des Statthalters Rufus führte dazu, dass Claudius nur wenig Zeit blieb, um die Untersuchungen im Falle der Gattin des Essimnus zu Ende zu führen. Nur mit taktischem Geschick würde es dem Advocaten Iulianus vielleicht gelingen, die Verhandlung bis zur Rückkehr des Statthalters aufzuschieben. Es war eher anzunehmen, dass Rufus versuchen würde, die Verurteilung der Angeklagten voranzutreiben, um sie bald vom Tisch zu haben. Claudius hasste es, so unter Zeitdruck zu stehen. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass der ehemalige Quaestor nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Caecinas Äußerungen bei ihrer Festnahme, und die Gerüchte in der Therme ließen vermuten, dass Essimnus die Verurteilung seiner Gattin zustatten kam.

      Für einen Augeblick versuchte Claudius, die Ereignisse beiseite zu schieben und den guten Wein und die Köstlichkeiten zu genießen, die gereicht wurden. Als schließlich die Tänzerinnen aus Rufus‘ Gefolge auftraten, flüsterte er dem Duovir Victorinus zu:

      „Welche von ihnen ist denn diejenige, die es dem Essimnus so angetan hat? Wisst Ihr das?“

      „Die Kleine mit den dunklen Locken und der Hakennase“, sagte Victorinus.

      Claudius fand die Beschreibung mehr als ungenügend, denn von den vier Tänzerinnen waren alle klein und dunkelhaarig, was auch kein Wunder war, schließlich hatte Rufus sie aus Nordafrika mitgebracht. Bei genauerem Hinsehen konnte er jedoch feststellen, dass eines der Mädchen eine ausgeprägte Hakennase besaß. Ein weiterer Blick auf Essimnus verriet ihm, dass er die Richtige herausgefunden hatte. Der ehemalige Quaestor beobachtete jede ihrer eleganten Bewegungen, und auch sie lächelte betont oft in seine Richtung. Die Darbietung wurde ausgiebig beklatscht und nach einem weiteren Gang - Taubenflügel und -schenkel mit einer delikaten Soße aus getrockneten Feigen, Essig und Garum - trat Rufus‘ Theatergruppe auf. Sie gaben eine Kurzversion der Oedipussage zum Besten. Claudius kannte dieses Stück bereits, er hatte es bei einem Fest des Statthalters zum Jahreswechsel gesehen. Glycera, die schöne Geliebte des Statthalters, spielte die Königin Iokaste, Oedipus‘ Mutter und spätere