So geschah es, und nachdem Rufus, empört über die Dreistigkeit von Tenatia Caecina sein Einverständnis für die Aufnahme eines Prozesses gegeben und Claudius zum Curator, also zum Sonderermittler, ernannt hatte, machten sich Vindelicus und sein Adiutor auf den Weg, im Officium der Gerichtsabteilung die Formalitäten zu erledigen. Anschließend liefen sie zur Principia, um die Centurionen der Statthaltergarde mit der Festnahme der Beschuldigten zu beauftragen.
Ungläubig betrachtete Achilleus das Anklageschreiben und gab es an seinen Kollegen Sirus weiter. Auch dieser schüttelte den Kopf. Sie ließen sich von Vindelicus die ganze Geschichte erklären. Achilleus gab zu bedenken, dass Caecina die Rezeptur und die Kräuter von einer weiteren Person ausgehändigt bekommen haben musste und dass diese Person sich nach dem römischen Recht mindestens ebenso strafbar gemacht hatte wie Essimnus‘ Frau. Schließlich habe diese unbekannte Person Caecina die giftige Rezeptur verraten und wohl auch die Kräuter verkauft. Sirus ergänzte, dass auch der Tatbestand der Hexerei bzw. des Ausübens der Magie wie im Falle des Bleitäfelchens, hart bestraft würde.
Es war also schon bald die siebte Stunde, als Claudius in Begleitung eines Trupps Gardesoldaten unter Führung des Centurios Sirus vor dem Haus des ehemaligen Quaestors ankam. Als Curator war es an Claudius, die unangenehme Aufgabe auszuführen. Er klopfte und bat die verdatterte Sklavin, die öffnete, ihre Herrin zu holen. Die Präsenz der Soldaten sorgte dafür, dass das junge Mädchen in Windeseile in die Gemächer ihrer Herrin rannte. Währenddessen traten zunächst nur Claudius und Sirus ins Atrium des Hauses ein. Den Soldaten befahl Sirus, noch vor der Tür zu warten.
Caecina kam aus dem hinteren Teil des Hauses. Sie war klein und ein wenig übergewichtig. Geschickt versteckte sie ihre Körperfülle unter dem fließenden Stoff ihrer teuren Kleidung. Die dunklen Haare hatte sie hoch aufgetürmt und mit Bändern und Zöpfen kunstvoll in Form gebracht. Goldene und silberne Armreifen und Ringe spiegelten ihren hohen gesellschaftlichen Rang. Offensichtlich ahnte sie nicht, was auf sie zukommen würde, denn sie strahlte Ruhe und Würde aus. Sie betrachtete die beiden Männer in ihrem Atrium interessiert bis skeptisch.
Claudius räusperte sich. Ihm war die Situation sehr unangenehm, und obwohl Sirus der Ältere war, oblag es ihm, die Verhaftung und die Durchsuchung der Privaträume durchzuführen.
„Tenatia Caecina, ich habe hier ein Schreiben des Ädils Vindelicus, das vom Legatus Augusti pro praetore, Caius Velius Rufus und dem Princeps der Gerichtsabteilung, gegengezeichnet wurde. Es betrifft Euch.“
Damit reichte Claudius der Frau die versiegelte Papyrusrolle. Caecina öffnete das Siegel, ihre Armreifen klimperten dabei leise. Dann las sie das amtliche Schreiben. Ihre Gesichtszüge entgleisten. Die eben noch so gefasste, würdevolle Matrone brach förmlich in sich zusammen. Sie murmelte: „Das kann er doch nicht machen!“ Tränen traten in ihre Augen. „Nach all den Jahren…“
Claudius wusste nicht recht, wie er reagieren sollte. Am Liebsten hätte er die Frau getröstet, doch das war angesichts der schweren Anschuldigungen undenkbar. Stattdessen begann er, die Hausherrin aufzuklären.
„Ich bin von Caius Velius Rufus als Curator in dieser Angelegenheit eingesetzt worden. Das bedeutet, dass ich mit den mir zur Verfügung stehenden Soldaten Eure persönlichen Gemächer und das restliche Haus durchsuchen muss, um Beweismittel sicherzustellen. Der Centurio wird Euch mitnehmen und im Praetorium an den Princeps der Gerichtsabteilung übergeben. Dieser wird Eure Aussage aufnehmen und einen Advocatus für Euch suchen, der Euch vor dem Praetor vertritt. Wenn Ihr ihm einen Vertreter nennen könnt, wird Eure Wahl berücksichtigt werden.“
Caecina hatte ihre Fassung zurückgewonnen. Sie sah Claudius fest an und bat ihn dann, Septimus Iulianus, den Advocatus, zu dessen Schülern ihr Sohn Cnaeus gehörte, zu informieren. Eine Sklavin brachte die Palla ihrer Herrin, dann führte Sirus mit zwei seiner Soldaten die Frau des Essimnus ab.
Claudius hatte die verbliebenen Soldaten ins Haus gelassen und ihnen befohlen, die Privaträume der Hausherrin, ihrer Dienerschaft und die Wirtschaftsräume des Hauses gründlich zu durchsuchen. Er legte vor allem Wert auf Kräuter, Tränke oder Reste von Tränken, Briefe oder weitere Rezepturen und Bleitäfelchen. Eine Sklavin beauftragte er damit, ihm einen Korb zu bringen, damit er die Beweismittel abtransportieren konnte.
Die Ausbeute war eher mager. In der Kammer einer Sklavin fand sich ein Bleiplättchen, das offensichtlich als Amulett getragen werden konnte. Es war ein griechischer Vers gegen Herzbeschwerden eingeritzt. Dazu fand sich eine Kiste mit Kräutertütchen und Rezepten. Beim Überfliegen der Rezepturen muteten die Ingredienzien völlig harmlos an, und Claudius vermutete eher medizinische als magische Wirkung hinter den Zusammenstellungen. Natürlich waren auch in den Vorratsräumen im Keller und in der Küche diverse Gefäße mit Kräutern aufgefunden worden, doch etwas Auffälliges war nicht darunter. Ein Kästchen in der Kammer Caecinas enthielt Briefe. Claudius ließ es einpacken. Auch wenn es ihm peinlich war, musste er doch die private Post einer angesehenen Matrone lesen, um sich ein Bild von der Angeklagten machen zu können. Vielleicht brachten sie ja Licht ins Dunkel der Vorwürfe.
Auf dem Weg in die Therme kam Claudius am Haus des Advocatus Septimus Iulianus vorbei. Selbstverständlich war er bereits informiert worden. Die Nachricht von der Festnahme Caecinas hatte schnell die Runde gemacht. Selbst in der Therme, wo sich er am Nachmittag ein wenig erholen wollte, wurde Claudius sofort mit Fragen zu dem spektakulären Fall bestürmt. Gerüchte und wilde Vermutungen kursierten, und Claudius war überrascht, dass die wispernde Göttin Fama selbst hier von Ohr zu Ohr huschte und die abenteuerlichsten Geschichten verbreitete. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als die Fakten darzulegen und einigen Gerüchten vehement zu widersprechen. Dann verlegte sich Claudius aufs Zuhören, denn was er so an Geschichten über den ehemaligen Quaestor und seine Frau zu hören bekam, war durchaus interessant: Caecina kam aus einer angesehenen Familie. Beide Eltern waren bereits tot, und auch der einzige Bruder war im vergangenen Jahr gestorben. Ihre Ehe mit Essimnus war, wie üblich, von den Eltern arrangiert worden, und da Essimnus schon bald eine Magistratslaufbahn anstrebte, schien das Glück der beiden perfekt. Seit dem Tod des jüngsten Sohnes war Caecina jedoch zunehmend melancholisch geworden. Sie hatte sich zurückgezogen und mehr gegessen, als ihrer Figur gut getan hatte. Essimnus hatte sich wohl einige Male wenig charmant über die Rundungen seiner Frau geäußert. Was Claudius zudem erfuhr, war, dass der ehemalige Quaestor seit etwa einem Jahr ein Verhältnis mit einer der Tänzerinnen aus Rufus‘ Gefolge unterhielt, der er teure Geschenke machte.
Interessiert lauschte der frisch ernannte Curator den Äußerungen der Männer, die alle Zutaten der Gerüchteküche zu einem dicken Brei vermengten. Und über allem saß lachend Fama in ihrem Palast mit den tausend Öffnungen, durch die Wahres mit Lügen vermengt widerhallte.
***
Das Haus ihres Vaters summte von dem Geschwätz der Frauen als Ilara es betrat. So konnte sie ihre Schwester in der Menge der Besucherinnen zunächst gar nicht ausmachen. Ilara gab ihrer Sklavin Celsa den Mantel und mischte sich unter die aufgeregt diskutierende Menge. Alpina stand nicht weit vom Tablinium ihres Vaters entfernt. Sie war mit Dolabella ins Gespräch vertieft. Als sie Ilara sah, lächelte sie. Dolabella begrüßte die Tochter des Hausherren überschwänglich. Sie war ebenso wie Ilara im Collegium der Göttin Iuno aktiv.
„Ilara, wie gut, dass du auch da bist! Was sagst du denn dazu? Ist das nicht unglaublich?“
Ilara würgte Dolabellas Redefluss ab. „Ein abscheuliches Spiel ist das! Der Mistkerl! Wo doch jeder weißt, dass Essimnus dieses kleine Flittchen liebt! Wenn du mich fragst, will er sich nur die Scheidung und die damit verbundene Rückzahlung der Mitgift sparen, der Geizhals!“
Dolabella sah Ilara entsetzt an. „Das traust du ihm zu? Denkst du wirklich?“
„Ja, das denke ich! Caecina hat sich