Endlich es klopfte. Ross stand im Zimmer. Er hatte eine rote Rose in der Hand. Rose kam es vor wie ein Zeichen. Das ganze Zimmer war eine Symphonie in Rosarot. Ross schien davon beeindruckt. Er wankte etwas und war fast in ihren Fängen. Draußen unter der warmen und hellen New Yorker Sonne wurde er geweckt und hatte die Situation wieder im Griff. Sie gingen durch die Stadt. Mehr und mehr begannen Roses Augen in allen Blautönen zu leuchten. Schließlich saßen sie im Central Park auf einer Blumenwiese an einem Seerosenteich und verschnauften. Rose himmelte ihn ein wenig zu sehr an und Ross dachte für einen Moment an seine Chancen. Die Stunde für dieses Paar hatte einfach noch nicht geschlagen. Ross war auf Eroberung aus, Rose auf Bestätigung. Und innerlich fühlte sie Ross‘ Beweggründe. Er musste noch wachsen, mehr in sich hineinschauen; dann würde er auch erkennen, was er wirklich brauchte. Dass auch er nach Liebe suchte, es nur nicht wahrhaben wollte. Und Rose, sie war auf einem guten Weg, sich von Bestätigung freizumachen. Dann würde die Liebe eine Chance haben. Ross begann Rose zu küssen. Seine Küsse schmeckten nach sahniger Schokolade. Ihre beiden Körper zogen sich an wie Magnete. Sie gingen. Ross brachte Rose ins Hotel zurück. Natürlich blieb er noch.
Während die Musik spielte, war Rose schüchtern geworden; sie hatte Schwierigkeiten, sich fallen zu lassen, Ross zu vertrauen, auch wenn die Chemie zwischen Frau und Mann stimmte. Etwas störte sie. Immer noch. War es fehlendes Urvertrauen in sich, in ihren Körper? War es die Angst, sich selbst zu erkennen, dass sie gar nicht so brav war, dass sie wild und gierig war, hemmungslos? Vielleicht war es von beiden etwas. Solange sie es nicht ausprobierte, würde sie es nicht wissen.
Heute Nacht war es noch nicht so weit. Noch musste Rose darauf warten, an sich arbeiten, die innere Grenze im Kopf selbst zu überwinden. Ross ging und ließ eine Rose zurück, die voll von Eindrücken war, aber auch unzufrieden mit sich selbst, weil sie nicht so konnte, wie sie wollte. Die Dinge auf sich zukommen lassen, ja schon, aber auch auf alles gefasst sein, sich die Dinge im Kopf ausmalen, was passiert, vorbereitet sein. Seine Wünsche äußern können, miteinander sprechen. Das alles ging Rose in dieser Nacht noch im Kopf herum. Zufrieden sein mit dem, was man erlebt, was man erreicht hat. Genießen können. Roses Karussell begann sich immer schneller zu drehen. Die Musik wurde immer schneller, der Leierkasten überschlug sich fast. Was sich am Ende vor dem Einschlafen formte waren die Worte: „Sage, was du willst, und stelle dich darauf ein!“
Kapitel 10: Wünsche formen und äußern
Rose wachte mit einem Schmunzeln im Gesicht auf. Die Sonne schien auf ihr Bett. Der Mann im Radiowecker verkündete Traumwetter. Was für ein Tag. Rose war beschwingt und heiter. Alles würde schon werden, dachte sie bei sich. Es war gut, wie es lief. Wann die Zeit reif war, würde sie bestimmen. Es würde sich alles einfach ergeben. Dieses positive Denken war für Rose neu und beeindruckte sie sehr. Sie beeilte sich, sie war spät dran. Im Büro war viel zu tun. Der Portier hinter seiner Theke lächelte ihr aufmunternd zu: „Sie sehen heute zauberhaft aus, Rose.“
Draußen rannte sie fast in ein Taxi, so abwesend war sie. Der Fahrer stieg aus, er hatte stoppelkurze, feuerrote Haare. Er war etwa in Rose Alter und sprach mit englischen Akzent: „Sind Sie verletzt? Ich habe Sie gar nicht gesehen. Heute sind aber auch alle sehr in Eile. Kann ich Sie vielleicht mitnehmen auf meine Kosten?“ Rose sah den Fahrer ganz verwundert an, stieg ein und musterte ihn weiter. Er kam ihr sehr bekannt vor. „Entschuldigen Sie, aber woher kommen Sie?“ „Ich bin aus einem kleinen Ort im Süden Englands.“
Rose sagte lange Zeit gar nichts. Wie in einem Schnelldurchlauf streiften die Erlebnisse ihrer Kindheit durch ihren Kopf. Baumhaus, Zeitreisen, Gespräche über Gedanken und Gefühle, Heimat, Vertrauen. Der Fahrer machte seine Arbeit. Sehr konzentriert lenkte er den Wagen durch den Verkehr von Manhatten und erzählte wie nebenbei von seiner Einreise und seinen ersten Jahren. Wie er als Kind bei seinem Onkel unterkam. Wie er es sehr schwer bei ihm hatte. Und wie er mit 16 auf der Straße landete und sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt. Seine Stimme war etwas monoton, als hätte er diese Geschichten schon öfter erzählt. Da war auch Traurigkeit. Seit Jahren war er Taxifahrer und fuhr Manager, Touristen, Inder, Schwarze und Muslime durch den Dschungel von New York. Dieser Job war oft gefährlich und immer ermüdend. Sicher es gab sehr nette Fahrgäste. Doch nachts chauffierte er meistens Betrunkene, Nachtschwärmer, Liebespärchen, Junkies und verlorene Seelen. Er hatte nie den Absprung geschafft. Einmal Taxifahrer, immer Taxifahrer - so lautete der Spruch.
Selten sah er in den Rückspiegel, und wenn, dann nur flüchtig. Irgendwie musste sich Rose sehr verändert haben, denn der Taxifahrer wollte sie einfach nicht erkennen. Oder anders ausgedrückt, er war so sehr mit sich und dem Verkehr beschäftigt, dass er Rose nicht in die Augen sah. Denn wenn er es getan hätte, hätte er sie erkennen müssen. Das Taxi näherte sich seinem Ziel. Rose war unschlüssig. Vielleicht war es nicht Malcom. Der Taxifahrer hielt an. Rose stieg aus. Sie ging um den Wagen herum und wollte dem Fahrer noch einmal dankend winken, da raste ein Fahrradkurier an ihr vorbei und riss ihre Handtasche herunter. Rose schwankte, knallte gegen das Taxi und schließlich auf den Boden. Was war das nur für ein Morgen? Rose rappelte sich wieder hoch. Der Fahrer stieg nun aus, half Rose hoch und endlich sahen sie sich an.
Es war, als verschwömme alles um sie herum. Der Horizont kippte leicht und die hetzenden Menschen wurden zu fahrigen Figuren, die ineinander zu verschmelzen schienen. Sie blickten sich noch immer an, ihre Pupillen weiteten sich, dann stand alles ruhig, es bewegte sich nichts mehr. Alles war wie angehalten, die Zeit, die letzten Jahre, ausgelöscht, nicht existent. Rose und Malcom waren gebannt. Rose versuchte, den Mund zu öffnen, irgendetwas zu sagen, aber es kam noch kein Laut. Dann löste sich etwas, eine Taube bereitete ihre Schwingen über die beiden aus, und dann geschah etwas Wunderbares. Die Taube gurrte ganz leise in diese Stille hinein, und dann kamen Dutzende, Hunderte von Tauben auf diesen Ruf und flogen die 5th Avenue entlang, umkreisten Rose und Malcom und stiegen dann nach oben in die Lüfte. Alles begann sich wieder zu bewegen. Schließlich lagen sich die beiden in den Armen. Das Hupen der Autos weckte sie, und sie gingen endlich von der Straße runter. „Komm lass uns zu mir fahren, nehme dir heute frei, wir haben uns so viel zu erzählen.“ „Okay, es ist ein wundervoller Tag, wie sehr habe ich geträumt, dich wieder zu treffen, Malcom.“
Das Taxi fuhr wieder los, in Richtung Brooklyn. Rose lehnte sich zurück, sie fühlte sich absolut geborgen. Sie hatte ihr starkes Ich gefunden. Konnte es fühlen. Die Lederbezüge waren schon abgenutzt. So viele Menschen waren bereits in diesen Sitzen gesessen. Rose nun auch. Sie war in der Ferne und doch ganz bei sich. Wie waren ihre Wünsche? Konnte sie sie formulieren? Gleich würde sie bei Malcom sitzen. Konnte alles erzählen, was sie bedrückte. Sie fuhren gerade über die bekannte Brooklyn-Bridge. Die Sonne blendete sie ein wenig, aber nur so leicht, dass die Wärme und Helligkeit noch als angenehm empfunden werden konnte. Das war Glück. In dieser großen Stadt. Rose konnte es einfach nicht glauben. Die Straßen wurden verwinkelter, durch die Malcom den Wagen geschickt steuerte. Die Gegend setzte sich aus Läden, Restaurants und Wohnhäusern zusammen. Rose blickte aus dem Fenster. Die Menschen hier wirkten gelassener, weniger geschäftig, weniger wichtig. Sie hielten vor