In einer fernen Zeit. Elena Risso. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elena Risso
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738001594
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ihr saß. Weil es leicht abschüssig ging, konnte Rosa die bunt gekleideten Menschen sehen, die sich wie ein Meer vor ihr ausbreiteten. Dann erblickte sie erstmals das Wasser, auf dem kleine Lichter funkelten. Sie bekam Angst. Was machte sie hier eigentlich? Hinter ihr die Menschenmassen und vor ihr die schlammigen Fluten des Ganges. Die Realität kam ihr immer stärker ins Bewusstsein. Rosa blickte zu ihrem Begleiter. Sie sah ihn fest an. Dieser Mann war Shakhil; sie hatte die ganze Fahrt über daran gezweifelt, dass er es sein könnte, aber er war es, und er war bei ihr. Warum brauchte sie seinen Zuspruch? - sie hätte gerne selbst die Stärke und Sicherheit gehabt. War dies schon ein erster Weg zu Erkenntnis? Shakhil schien ihre Gedanken zu lesen. „Lasse dich noch einmal fallen und vertraue deinem Körper. Werde eins mit dem heiligen Wasser.“ Rosa sah wie die Menschen sich ins Wasser stürzten; manche übergaben sich vollkommen unbekleidet und schreiend dem Fluss. Würde das Wasser sie von negativen Gedanken und Handlungen reinigen, es ihr Mut und Hoffnung machen für die Zukunft? „Denke nicht weiter darüber nach, tu es einfach.“

      Klein und unsicher stand sie da mit gesenktem Kopf. Sie sah auf das Wasser. Es war wunderschön geschmückt mit roten Blüten und kleinen schwimmenden Kerzen. Dazwischen die Freudenrufe der Pilger. Rosa war soweit; sie trat etwas nach vorne, ihre Füße berührten den feuchten Sand des Ufers. Sie duftete die starke Essenz der Blüten und nun war kein Halten mehr für sie. Sie zog das Kleid aus zartem Stoff aus, reichte es Shakhil. Sie verschränkte kurz die Arme und hielt sie schützend vor ihre Brust. Sie wollte sich dem Wasser so geben wie sie geschaffen war. Nachdem sie Shakhil die Jeans übergab, öffnete sie sich und ging mit kleinen Schritten in das heilige Wasser. Als sie stolperte und ganz ins Wasser tauchte, jauchzte sie vor Entzücken auf. Sie war außer Kontrolle. Das Wasser war warm. Sie fühlte sich eins mit dem Universum. Fülle und Leere umgaben sie gleichzeitig, und um sie herum war nur noch Stille. Sie nahm es nicht mehr war, als Shakhil zu ihr kam und sie aus dem Wasser trug. Er zog sie an und weckte sie dann aus ihrer Trance. Rosa fühlte sich wunderbar, zwar erschöpft, aber zufrieden und glücklich mit sich selbst.

       Kapitel 18: Der Weg zurück in Rosas Welt

      Aurora war verschwunden. Als Shakhil und Rosa in Neu-Dehli ankamen, war Aurora nicht mehr da. Keiner wusste, wo sie geblieben war. Das letzte Lebenszeichen von ihr war auf dem Markt gewesen. Seither war sie verschwunden. Indien, das große Indien hatte sie einfach aufgesogen, weg. Es war fast so, als ob Rosa nun ohne Aurora weiterleben konnte. Oder anders, Rosa hatte Aurora in sich aufgenommen hatte, ihre Art, die Dinge zu sehen, ihre Gelassenheit und ihre innere Schönheit.

      Rosa war nun seit fast sechs Wochen in Indien. Es hieß Abschied nehmen. Den letzten Abend verbrachte sie mit Shakhil. Shakhil, der Mann und Meister, der zu ihrer Wirklichkeit wurde. Manchmal konnte sie gar nicht glauben, dass er ihr Begleiter war und ihr die Liebe brachte: die Liebe zu den Menschen, die Liebe zu den Elementen und die Liebe zu sich selbst. Aber sie hatte ja seinen blauen Turban und auch jetzt war er da. Sie konnte ihn fühlen. Er umarmte sie und Rosa ließ ihn nicht mehr los. Der Horizont verfärbte sich rosarot. Die Kraft der Liebe reinigte ihre Seele und die Gewissheit, dass sie nur nach ihrer inneren Stimme zu gehen brauchte, um für sich das Richtige zu tun. „Du bist wunderbar, Rosa, und dein Leben ist einzigartig. Du bist viele Jahre neben dir gegangen. Höre nun auf dich und lebe. Analysiere dich nicht mehr, als wärst du nicht du selbst, irgendeine andere Person, sondern fühle in dich hinein.“ Shakhils Augen lächelten weise und mild. Sie saßen auf einem figurativen, bunten Teppich. Niemand sonst war da, sie waren ganz allein. Es war fast so, als würden sie eins mit dem Muster des Teppichs werden; ein Teil der Geschichte, die der Teppich erzählte. Je weniger sich Rosa und Shakhil bewegten, desto stärker begannen die Figuren des Teppichs ihr Eigenleben. Rosa fühlte nichts mehr von außen. Sanft wurde sie aufgelöst - ein Teil des vollkommenen Lebens - ein Sich-Nicht-Mehr-Wahrnehmen. Kurz bevor Rosa nicht mehr von dieser Welt gewesen wäre, löste sich Shakhil aus der Umarmung und stand auf. „Deine Lektion ist für diese Zeit abgeschlossen.“ Als er den Raum verließ, drehte er sich noch ein letztes Mal um, dann war er erst einmal aus Rosas Leben verschwunden.

      Rosa stand auf, ging in ihr Zimmer, wusch sich und packte ihre Koffer. Ein Taxi brachte sie zum Airport. Sie konnte pünktlich in ihren Flieger nach New York steigen. Hoch in der Luft, fiel Rosa in einen tiefen Schlaf und wachte erst wieder auf, als sie zur Landung ansetzten. Indien war eines ihrer intensivsten Erlebnisse gewesen. Aurora und Malcom waren aus ihrem Leben getreten. Nun war sie wirklich allein. Nicht einsam, aber allein. Die Hektik des Big Apples holte sie schnell in die Wirklichkeit zurück, und was blieb, war vorerst eine neuen Gedankenwelt, die Rosa nun zur Wirklichkeit werden lassen wollte.

      In ihrem Hotelzimmer angekommen, riss sie alle Fenster auf, atmete tief und begrüßte den Morgen. Die Sonne ging gerade über den Wolkenkratzern auf, und Rosa blinzelte vergnügt. Sie duschte so sorgenfrei wie schon lange nicht mehr. Ihr Bad kam danach einer Überschwemmung gleich. Okay, „I love you Baby, trust in me when I say, oh pretty baby ...“Die Musik schepperte aus dem Radio. „A little snow today ...“ Rosa hatte einiges vor: das Hotelzimmer auflösen, Malcoms Wohnung beziehen, ihre Job-Situation überprüfen. Sie hatte noch ein paar Tage Urlaub und wollte diese dafür nutzen. Sie machte sich eine Liste. Als sie so darüber saß, merkte sie ihren Tatendrang. Ein neues Gefühl. Sie kaute auf ihrem Bleistift, das Radio war voll aufgedreht, als das Telefon läutete. Wer konnte das sein? Rosa suchte eine Weile, bis sie das Telefon unter einem Stapel Kissen fand. „Hallo.“

      Es war Ross. Ross passte nun so gar nicht in ihr Konzept. Er wollte sie sehen. Er fühlte sich nicht gut; konnte nicht verwinden, dass er von seiner Frau verlassen wurde. Der Arme, dachte Rosa nur. Als Seelentröster war sie sich zu schade. Hallo Leben in New York. Willkommen daheim. Ja, um sie herum hatte sich nichts geändert. Nun merkte sie erst, dass Ross nur am Lamentieren war und sie bisher einfach nur von ihm geblendet wurde. Sie brauchte die Zuneigung, so ziemlich egal von wem. Erst jetzt merkte sie, dass sie dabei schlechte Charaktere und Loser anzog und sich selbst damit klein machte. Jawohl, sie hatte jemand Besseres verdient. Und sie wollte gerne noch eine Weile warten und nichts überstürzen. Außerdem war die Aufgabe, auf sich zu achten. Sie machte mit ihm eine Verabredung für den kommenden Abend aus.

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