Das alte Haus. Heimliche und unheimliche Geschichten. Gerstäcker Friedrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerstäcker Friedrich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753136059
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zu einer leisen Schwärmerei geblieben, der jedoch mit ihren früheren Träumen und Ideen in keiner Verbindung mehr stand. Das alte Haus und was es enthielt hatte keinen Antheil mehr an jenem unbekannten Etwas, das ihre Brust manchmal erfüllte, und die Bilder jener Zeit waren theils vergessen, theils so in den Hintergrund gedrängt, um mehr als einen gelegentlichen Gedanken daran zu beanspruchen, Die stille, sinnige Helene war ihr, mit diesem Gefühl, diesem halb unbewußten Drang im Herzen, deshalb auch vor allen Anderen eine liebe Gesellschafterin geworden. In der Jugend schließt sich ja das Herz so gern an ein gleichfühlendes an, und noch nicht getäuscht, sucht und findet es leicht, was ihm fehlt, in dem Nachbarherzen. Die Welt liegt da noch im rosigen Licht der aufgehenden Sonne frei und offen vor uns, und kein Falsch in der eigenen Brust, keinen Gedanken, der das Licht zu scheuen brauchte, suchen und finden wir auch nichts Anderes in denen, die Schicksal oder Zufall in unsern Pfad geworfen. So glücklich, wie wir dabei selbst uns fühlen, so glücklich scheint uns Alles um uns her, im Wieder-/41/glanz unseres eigenen reinen Herzens — aber die Zeit gießt Gift in den krystallenen Becher. Tropfen nach Tropfen läßt sie langsam hineinfallen in die demantene Fluth - Tropfen nach Tropfen, die sich erst halten und zusammendrängen in sich selbst, und nur die einzelnen trüben Strahlen, wenn auch im Anfange noch so fein und kaum erkennbar, hinüber senden über die Oberfläche. Mehr und mehr aber breiten sie sich aus; finsterer und trüber füllen sie den Raum, und so rein und treu die klare Fluth sonst auch jedes Bild zurückgab, das sich mit liebendem Auge darüber bog, so finster und abgeschlossen wahrt es dann den eigenen schmerzlichen Schatz: das trübe Gift von Mißtrauen und getäuschter Hoffnung. Wohl drängt und treibt es uns noch immer mit der gleichen Kraft, das gleiche Herz zu suchen, das uns fehlt, und dem wir uns, wenn wir es fänden, vielleicht mit noch größerer, innigerer Liebe anschließen würden als früher, weil wir ja eben den Werth eines solchen Glückes erst in späteren Jahren recht eingesehen und kennen gelernt haben. Aber - wir können uns nicht mehr entschließen, die eigene Brust zu öffnen - wir trauen selbst der Offenheit des Andern nicht. Scheu und trübe schleichen wir vorüber, das Schicksal scheltend, das uns allein und freundlos in die Welt stieß, und vergessen doch ganz dabei, daß wir allein es sind, die, wie der Drache das unterirdische Gold, neidisch unser eigenes Herz bewachen und Jeden mit giftigem Hauche zurückweisen, dessen treue Hand den Schatz für uns heben möchte.

      Marie freilich hatte noch keinen Tropfen jenes trüben Giftes eingesogen, und der blaue Himmel, der über ihrer Jugend lachte, spiegelte sich treu und friedlich in dem stillen, reinen Herzen der Jungfrau. Vor der älteren Freundin hatte sie dabei kein Geheimniß und ihr schon lange all' ihre kleinen, unbedeutenden Sorgen und Erlebnisse mitgetheilt, wie Pläne gebaut für die Zukunft - Pläne, bunt und leicht wie Kartenschlösser mit anscheinend breitem, mächtigem Grund, und doch eingeworfen durch einen Hauch. So wußte Helene auch schon Alles von dem „alten Hause", was sie damals geträumt und mit sich herumgetragen, und wie das eine gar so schwere, entsetzliche Zeit für sie gewesen. Damals hatte /42/ sie ja geglaubt, sie gehöre gar nicht mehr dieser Erde an, sondern hinüber in die dunkeln, verschlossenen Räume zu den fremden, unheimlichen Leuten. Ihr Kindesherz hatte sich mit der Sorge gequält, daß denen da drüben nur wieder wohl werden könne, wenn sie bei ihnen sei, ihnen die tödtliche Einsamkeit tragen zu helfen, und nur nach und nach habe sich das verloren, und es sei ihr besser und leichter geworden. Jetzt freilich lachte sie über den tollen Traum.

      Noch eine Person darf ich hier nicht unerwähnt lassen, die zu dem Hausstande, ja, eigentlich fast zur Familie des Doctors gehörte, wenn dieser auch den Mann mehr als Diener wie Freund, und manchmal gütig, meist aber hart und abstoßend, ja fast despotisch behandelte.

      Es war dies der Famulus des Doctor Hetzelhofer, der hier jedenfalls eine nähere Beschreibung verdient.

      Schwiebus, wie er kurzweg im Hause genannt wurde, war eine lange, magere Gestalt mit vorstehenden Backenknochen und tiefliegenden, aber lebendigen grauen Augen. Die dünnen, etwas röthlichen Haare hielt er sorgfältig von beiden Schläfen nach der Stirn hinauf gekämmt, den dort eben nicht mehr zu verdeckenden Mangel soviel als möglich wenigstens zu beschönigen, und sein Gesicht war in eine solche Unzahl kleiner, die Kreuz und Quer laufender Falten gelegt, daß man wirklich nicht daraus klug wurde, ob das Alter oder vielleicht eine blatterähnliche Krankheit solche Spuren in seine Haut gegraben. Je länger man ihn daraus ansah, desto verwirrter wurde man. Während daher die Einen den langen wunderlichen Burschen mit dem unbeholfenen Namen für einen noch jungen, vielleicht durch zu eifrige Studien aufgeriebenen Mann hielten, der unter des berühmten Doctors Leitung seine Kenntnisse vermehren wolle, schworen die Anderen, daß Glatze und Falten wirklich dem Alter angehörten. Diese hielten den Eigner derselben dann für einen hohen Fünfziger, ja vielleicht Sechziger, der, von dem leichtfertigen Götterkind Fortuna übersehen, ein Menschenalter umsonst hinter ihrem Wagen hergekeucht war, und es jetzt endlich aufgegeben hatte, sie einzuholen.

      Seine Hautfarbe, das fahle Gelb seiner Züge, schien diese /43/ letztere Ansicht auch besonders zu bestätigen und das Urtheil der Hellburger zu rechtfertigen, die bald darüber einig waren, daß er gerade so aussähe, als ob er schon einmal im Grabe gelegen hätte. So böse er selber aber wurde, und so sehr der Doctor Hetzelhofer darüber lachte, wenn in seiner Gegenwart eine solche Bemerkung laut wurde, ließ sich der Gedanke, wenn einmal gefaßt, doch nicht wieder los werden. Wer nur dem dürren, hagern Menschen in's Antlitz sah, dessen Augen dann nicht selten eine ordentlich grüne, gläserne Färbung annahmen, fühlte ein eigenes, unbestimmtes Grauen, über das er sich keine Rechenschaft geben konnte, und verschiedene alte, würdige Damen hätten eben so gern in der Gesellschaft des anerkannten Gottseibeiuns, als in der seinigen eine Stunde allein zubringen mögen. Bei einer solchen Persönlichkeit ist die böse Welt aber auch rasch mit einem Spitznamen fertig, und Schwiebus hieß bald in der ganzen Stadt „der todte Famulus".

      Wunderlicher Weise war Schwiebus dabei in jeder andern Beziehung der freundlichste, gemüthlichste und gefälligste Mensch von der Welt, der besonders gern mit Kindern umging, mit ihnen spielte, wo er sich nur eine Viertelstunde Zeit abgewinnen konnte, und diese bald an sich fesselte. Dabei besaß er ein merkwürdiges Talent, Geschichten, vorzüglich Gespenstergeschichten, zu erzählen. Der Doctor hatte ihm das freilich streng untersagt, denn er machte die Kleinen oft so furchtsam, daß sie nicht mehr allein über die Straße gehen wollten; aber es gehörte nun einmal mit zu seinen Leidenschaften, denen er, wo das irgend anging, den Zügel schießen ließ. Die Kinder rissen sich deshalb auch bald um seine Gesellschaft, trotz seinem sonst nichts weniger als einnehmenden Aeußern, und wo es nur irgend anging, wurden Gespenster- und Geistergeschichten, unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit, von dem einen Theile so gern erzählt, wie von dem andern gierig angehört.

      Auch in kleinen mechanischen Arbeiten war er geschickt und erfahren. Er drehte Kreisel, die beim Spiel verschiedene Töne von sich gaben; schnitzte Männer, die sich von selbst überschlugen; machte Bälle, die, wenn man sie hoch in die /44/ Luft warf, zu kleinen Ballons wurden und davonflogen, und taufend andere derartige Dinge. Ganze Nächte mußte er zu solcher Arbeit verwenden, wo hätte er sonst die Zeit hergenommen! In seinem Zimmer brannte auch in der That fast jede Nacht hindurch Licht, und die Nachbarn, die von ihren Fenstern aus das seinige beobachten konnten, zerbrachen sich die Köpfe darüber, in welcher Zeit der „todte Famulus" eigentlich schlafe. Waren sie auch um zwei oder drei Uhr erst zu Bett gegangen, wo sie noch Licht in seinem Zimmer und den Schatten an den niedergelassenen Gardinen konnten herüber und hinüber gehen sehen, so war Schwiebus doch jedenfalls am nächsten Morgen schon vor ihnen wieder munter. Wenn sie gleich mit Tagesgrauen aufstanden, lag er sicher schon im geöffneten Fenster und rauchte seine Cigarre, oder unterhielt sich mit einem großen abgerichteten Raben, der in seinem Fenster einen geräumigen, aber offenen Bauer hatte. An Schlafen dachte er gar nicht.

      Auch der Rabe gehörte mit zu der Person des „todten Famulus", und die Leute im Hause versicherten, daß er das kluge Thier fast wie einen Menschen behandle und sich oft halbe Stunden lang mit ihm ordentlich unterhalte.

      Solch ein Wesen war der Famulus Schwiebus, und es läßt sich denken, daß er dem kleinen Hellburg auf lange Zeit höchst interessanten Stoff zur Unterhaltung gab. Bier- wie Kaffeegesellschaften beschäftigten sich im Anfange wirklich nur mit ihm und dem Doctor, der durch einige fabelhafte Kuren ebenfalls einen großen Ruf erlangt hatte. Es gab auch in der That bald nichts Natürliches wie Uebernatürliches mehr, das man den beiden Menschen