Das alte Haus. Heimliche und unheimliche Geschichten. Gerstäcker Friedrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerstäcker Friedrich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753136059
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klein wenig mit dem Finger. Aber er sah nicht böse dabei aus, und es war mehr, als ob er Ruhe gebieten wolle.

      „Er kommt heute wieder nicht," sprach er dabei leise vor sich hin und schüttelte traurig mit dem Kopfe; „es ist schon fast dunkel und er läßt sich noch nicht sehen."

      Marie sah fragend zu ihrem Führer auf, der aber legte warnend den Finger auf seine Lippen und zog Marien mit sich auf die gegenüberliegende Seite der Stube, wo gerade unter dem großen Bilde ein breitmächtiges, weich gepolstertes und mit schwerem Seidenzeuge überzogenes Kanapee stand. In dessen eine Ecke drückte er sich hinein und winkte dem Mädchen, neben ihm Platz zu nehmen.

      In dem großen Zimmer war es indessen ganz dunkel geworden - dunkel und still. Von gegenüber aber, und wie es Marien so vorkam, von einer breiten, hochbeinigen Commode nieder, schaute ein anderes, fast weißleuchtendes Gesicht aus dem vollkommen unerkennbaren Hintergrunde heraus. Es war dies das Gesicht eines jungen, bildschönen Mannes, auch natürlich in der Tracht damaliger Zeit, doch mit edlen, offenen Zügen, aus denen nur ein trüber, gar so schwermüthiger Ernst sprach. Marien kam es aber fast vor, als ob das gar kein Bild sein könne und die Gestalt mit den lebhaft klugen Augen und den halb geöffneten, wie sprechenden Lippen dort oben in Wirklichkeit stehen müsse und jeden Augenblick herunterspringen könne. Links von dem Erker, wo an der schmalen Wand eines starken Vorbaues ein schmaler hoher Spiegel in goldgeschnitztem Rahmen angebracht war, stand unter diesem ein kleiner Pfeilertisch mit Marmorplatte /24/ und eingebogenen vergoldeten Beinen. Auf diesem lag ein großes aufgeschlagenes Buch voll schwarzer und rother Buchstaben mit großen gelben Beschlägen, wie es die Großmutter beschrieben. Die Brille zwischen den Blättern verrieth auch, daß der alte Herr erst ganz kürzlich darin gelesen und den Band vielleicht erst weggelegt hatte, als es anfing dunkel zu werden. Auf der Commode stand eine Uhr, wie ihr Vater eine ganz ähnliche, ein Erbstück aus alter Zeit, in seinem Studirzimmer hatte. Der Perpendikel ging auch in regelmäßigen Schwingungen herüber und hinüber - aber vollkommen geräuschlos. Nicht das geringste Schnarren oder Klappern konnte sie hören. Lautlos schwang er hin und her, und ebenso rückte der Zeiger nach, das unerbittliche Schreiten der Zeit verkündend.

      Keins sprach von da an mehr ein Wort, und Marie schloß die Augen. Es war ihr dabei fast, als ob sie nun wieder daheim in der eigenen Stube in dem bekannten Lehnstuhl sitzen müsse und nur um sich zu schauen brauche, um gleich zu wissen, daß irgend ein toller, wunderlicher Traum sie geneckt. Und doch fühlte sie, daß es kein Traum sei, selbst noch ehe sie die Augen wieder öffnete. Die ganze Luft um sie her war anderer Art; das Sopha, auf dem sie lehnte, so leicht und elastisch, als ob sie mehr darauf schwebe wie ruhe, und das fremde, wunderbare Wesen selbst dort drüben im Erker - deutlich hörte sie es seufzen, und als sie, darüber erschreckt, die Augen aufschlug, hatte es sich von seinem Sitze erhoben und ging langsam, mit den Pantoffeln eben hörbar auf dem weichen Teppich schleppend, durch das Zimmer, durch dessen andere Thür es verschwand.

      Marie sah das Alles und wunderte sich dabei, daß sie bei all' dem Unheimlichen, Grausenhaften um sie her so ruhig blieb und sich so gar nicht fürchtete. Aber der freundliche Knabe an ihrer Seite hatte seine Hand wieder auf ihren Arm gelegt, und mit der Berührung war es ihr fast, als ob ihr nun gar nichts Böses von irgend Jemandem geschehen könne.

      „Nun muß ich aber wieder hinübergehen," sagte sie endlich, als der junge Bursche aufgestanden war und eine Weile /25/ hinter dem alten Herrn hergehorcht hatte - „die Mutter ängstigt sich doch sonst um mich."

      „Jetzt?" lachte aber der Knabe, „jetzt essen wir ja erst zu Nacht, und da mußt Du ja doch unser Gast sein. Hörst Du nicht die alte Margareth draußen mit den Schlüsseln klimpern? das ist stets ihr Zeichen. Heute hat es überdies so lange gedauert."

      „Die alte Margareth?"

      „Nun ja, unsere Haushälterin."

      „Von der hat mir aber ja Mama neulich erzählt," sagte Marie ganz erstaunt, „daß sie spurlos verschwunden wäre und kein Mensch wieder etwas von ihr gehört hätte. Ist das nicht wahr?" Der Knabe lachte leise vor sich hin und sagte kopfschüttelnd:

      „Da draußen mögen sie sich wunderliche Dinge erzählen, ihre Spanne Zeit durch, und sie kommen und gehen. Einer hört's vom Andern und Jeder thut das Seine noch dazu. Laß Dich das nicht kümmern, Marie; siehst Du, da kommt sie schon. So, nun gieb mir Deine Hand, und ich führe Dich hinüber in den Speisesaal."

      Marie sprang von ihrem Sitze auf, als sich die Thür auch öffnete und eine alte Frau mit einer, das gelbe Gesicht dicht umschließenden spitzen, hohen weißen Mütze den Kopf ins Zimmer steckte und ein freundliches „Es ist angerichtet!" hereinrief. Da nahm der Knabe die Hand des Mädchens und führte es über den sammetweichen, dicken Teppich der Nebenstube zu. Diese öffnete er, und ein heller, blendender Lichtstrahl schoß ihnen daraus entgegen.

      „Aber, mein Gott, da hat der alte Nachtwächter ja doch Recht gehabt!" rief Marie fast unwillkürlich aus.

      „Ja, sieh nur nach den Gardinen, Margareth," lachte der Knabe, der ihr aber jetzt schon viel größer und älter vorkam als vorher, „daß der alte Narr nicht wieder die ganze Straße in Aufruhr bringt, wie neulich einmal. Und nun komm, Mariechen; setz' Dich zu uns und thu, als ob Du bei Dir zu Hause wärest. Du bist gern gesehen bei uns, und wir haben uns lange darauf gefreut, Dich einmal hier /26/ zu bewirthen; hätten aber doch lange darauf warten müssen, wenn der Doctor heute nicht gekommen wäre."

      Marie konnte nichts erwidern, denn zu viel des Neuen, Unbegreiflichen umgab sie hier. Der Kopf wirbelte ihr ordentlich.

      Das Speisezimmer stieß dicht an das Wohnzimmer, mußte auch in früherer Zeit gar prachtvoll mit gelber Seide tapeziert gewesen sein, wie denn überhaupt Gelb die Lieblingsfarbe des Hauses schien. Die helle Beleuchtung verrieth hier aber doch, daß die Jahre den Wänden arg mitgespielt. Die Seide hing an sehr vielen Stellen in Streifen herunter und war verschossen und abgebleicht, die Spiegel sahen blind und fleckig aus, und nur die mächtigen Stühle und Schränke standen noch in alter Stattlichkeit. Sie hatten dem Zahn der Zeit trotzig die Stirn geboten, und das Einzige was er vermochte, war vielleicht, ihrem Holze einen dunkleren Glanz zu geben und das Zimmer dadurch allerdings noch düsterer zu machen.

      „Nun, gefällt es Dir nicht bei uns?" fragte der Knabe.

      „Gewiß, gewiß," sagte schnell Marie; „ich hatte mir das hier Alles nur ganz anders gedacht," setzte sie dann langsam und schüchtern hinzu. „Ich glaubte früher, der Staub müsse auf den alten Möbeln handhoch liegen."

      „Da kämest Du bei Margareth schön an," lachte der Knabe; „siehst Du, die geht nicht einmal von einer Ecke des Zimmers in die andere, ohne das Wischtuch in der Hand zu haben."

      Die alte Wirthschafterin hatte sich bis dahin eifrig damit beschäftigt, die Gardinen und Vorhänge nachzusehen, ob sie auch alle vollständig und doppelt verhängt wären, und drehte sich jetzt zum Licht, als Marie erstaunt ausrief:

      „Aber die kenne ich ja auch! Das ist ja die Frau Bause aus der Scharrenstraße, die den kleinen Laden hat, und den Leuten Schmerzen bespricht, und aus Karten und Kaffeesatz künftige Schicksale phrophezeit."

      Die alte Frau schmunzelte still und selbstzufrieden vor sich hin und sagte:

      „Ich weiß wohl, Mariechen, Du bist ein braves Kind, /27/ und sollst den schönsten Bonbon haben, den ich im Laden finde, wenn Du einmal wieder zu mir kommst; aber prophezeien thue ich Dir nichts."

      „Und warum nicht, Frau Bause?"

      „Ja, Kinder, ich habe jetzt keine Zeit zum Plaudern," sagte die Alte geschäftig. „Der Herr Qnetzlinberger werden gleich da sein, und dann muß auch das Essen auf dem Tisch stehen."

      Ihre Schlüssel aufgreifend, warf sie dabei einen Blick nach rechts und links im Zimmer umher, ob auch Alles in Ordnung sei, und mit ihrem Tuche noch im Vorbeigehen über die eine Commode fahrend, möglicher Weise aufgeflogenen Staub sorgfältig mit fortzunehmen, verschwand sie rasch durch die hintere Thür.

      Der Knabe blieb mit Marie im Zimmer stehen, ohne an dem runden Tische, auf dem für vier Personen gedeckt war, Platz zu nehmen. Marie sah aber fragend und auch ein wenig neugierig zu ihm auf; denn in dem dunkeln