Das alte Haus. Heimliche und unheimliche Geschichten. Gerstäcker Friedrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerstäcker Friedrich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753136059
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wie sie selber in ihrer Mitte fortlebten und sich keins von all' den ausgesprengten Gerüchten bestätigte, erkaltete nach und nach die Neugierde der Nachbarn. Der Reiz der Neuheit war dem Ganzen überhaupt schon genommen, und noch ehe das erste Jahr ganz verflossen war, ließ man die Beiden still und ungehindert ihre Wege gehen. /45/ Man hatte sich an sie gewöhnt und sie gehörten mit zu Hellburg.

      IV.

      Helene kam selten zu Hechners hinüber, da während des Doctors öfterer Abwesenheit doch Jemand zu Hause bleiben mußte, anfragenden Kranken Auskunft zu geben, und man sich auf den Dienstboten nicht verlassen mochte. Marie ging dafür desto häufiger hinüber, und hatte auch heute wieder einmal von der Mutter Erlaubniß erhalten, ihrer älteren Freundin Gesellschaft zu leisten, während der Doctor Hetzelhofer nach einem schwer Kranken über Land gerufen war und erst spät in der Nacht zurück erwartet wurde.

      Heute war übrigens in Hellburg der Tag bestimmt worden, an welchem der Proceß wegen der Quetzlinberger'schen Erbschaft durch friedliches und freundschaftliches Zusammenkommen der präsumtiven Erben in Güte und nach gemeinschaftlichem Uebereinkommen entschieden werden sollte. Marie hatte das von ihrem Oheim, dem Advocaten Hechner, gehört, und der 1. März des laufenden Jahres war dazu gewählt worden. Natürlich kam aber dadurch das Gespräch auch wieder, was seit langer Zeit nicht der Fall gewesen, auf das alte Haus und die Folgen, die der Endentscheid aus das Geheimniß desselben ausüben müsse. Dann wurden ja auch die Siegel von der Thür gelöst, und die öden Zimmer, die den größten Theil eines Jahrhunderts das Stadtgespräch in Hellburg gebildet, wurden den Blicken einer fremden Generation erschlossen.

      „Ich gäbe was drum," sagte Marie endlich, nachdem die beiden Mädchen eine Weile schweigend ihren Gedanken nachgehangen hatten - „ich gäbe was drum, wenn ich die alten Räume betreten dürfte, ehe noch ein anderer Fuß den Zauber jenes unserer Zeit gar nicht mehr angehörenden Gebäudes gebrochen. Es muß gar zu wunderlich sein, die dumpfige Luft da drinnen zu athmen, und den Klang der eigenen /46/ Schritte zu hören, den die Wände so lange, lange Jahre nicht zurückgegeben haben."

      ,,Und Du vor allen Anderen würdest Bescheid darin wissen," lächelte Helene; „denn so viel ich mich erinnere, bist Du die Einzige, die jene Räume betreten hat, seit damals die Gerichte die dicken Siegel auf den Eingang drückten."

      „Aber nur im Traum," lachte Marie.

      „Was thut's! wenn der Traum nur getreu war, fändest Du Dich überall zurecht."

      „Es ist und bleibt doch immer eine merkwürdige Sache mit solchen Träumen," sagte Marie wieder nach einer längeren Pause, indem sie den Kopf schüttelte und sinnend dabei vor sich niedersah, „und damals hätte ich meiner Seele Heil daran setzen wollen, daß es Wahrheit gewesen. Die Personen standen ja noch Wochen lang nachher oft so deutlich vor mir, als ob sie wirklich lebten."

      „Eigentlich ist es schade," lächelte Helene, „daß solche Sachen nicht geschehen, und die prosaische Welt uns nur immer platte, nüchterne Wirklichkeit in Allem bietet, was uns selbst betrifft. Es mag kindisch sein, aber wie oft habe ich mir schon gewünscht, einmal einen Geist zu sehen! und doch will es nie geschehen. Und können trotzdem die Vernünftigsten von uns jeden Bezug mit einer geistigen, von uns unbegriffenen Welt ableugnen? Glauben sie nicht, sie mögen sich dagegen sträuben, so viel sie wollen, an Ahnungen, an Magnetismus, an Somnambulismus und wie jene geheimen Bindemittel zwischen Luft und Erde alle heißen?"

      „Ganz kann ich mich auch der Gedanken noch nicht etnschlagen," lächelte Marie, „und manchmal kommen Zeiten - wie heute z. B. wieder, wo ich von dem alten Hause so plötzlich reden hörte, - wo es mir wieder vorkommt, als ob es doch am Ende kein Traum gewesen und ich den wunderlichen Menschen wirklich einmal begegnet sei. Ähnlichkeiten mit ihnen hab' ich auch in der That schon mehrere Male gefunden, und das Herz hat mir dann ordentlich ängstlich geklopft, daß mir der Traum nun plötzlich in's Leben treten solle - bis ich mich selber besann und mich meiner kindischen Furcht, meines Aberglaubens wegen schämte." /47/ „Aber Du hast mir dabei immer von einer Frau Bause erzählt, Marie," sagte Helene - „sie soll ja hier in der Stadt wohnen. Bist Du nie hingegangen, sie aufzusuchen?"

      Marie schwieg eine Zeit lang; es war fast, als ob sie sich der Antwort schämte; endlich sagte sie leise und verlegen lächelnd:

      „Ich will es Dir nur aufrichtig gestehen, ich - ich habe mich davor gefürchtet - gefürchtet, durch irgend ein zufälliges Wort irgend etwas aus jener fremden, geheimnißvollen Welt bestätigt zu hören. Wozu auch? die Zeit ist vorbei, und weshalb die alten Träume und Thorheiten wieder aufrühren?"

      „Von der Frau habe ich übrigens in Hellburg auch schon gehört," sagte Helene, „Schwiebus hat mir davon erzählt."

      „Der Famulus?" fragte Marie erstaunt; „aber woher kennt sie der?"

      „Oh, der kennt alle Menschen," lächelte Helene. „Nicht wahr, sie legt Karten und prophezeit den Leuten ihr Schicksal aus Kaffeesatz und Bleiguß?"

      „Allerdings - wenigstens behauptet die böse Welt das von ihr." sagte Marie.

      „Und wenn sie's thäte, was wäre so Uebles daran?" entschuldigte sie Helene. „Es ist gewiß eine arme Frau, und findet sie Menschen, die thöricht genug sind, sie um etwas zu fragen, das nur Gott wissen kann, und die ihr für solche Antworten sogar Geld bezahlen, so wird sie klug genug sein, ihren Nutzen daraus zu ziehen. - Doch fort mit der Frau Bause und all' dem unheimlichen Spuk. Ich bin auch über haupt froh, daß es mit dem alten Hause da drüben nun endlich einmal zu einer Entscheidung kommt. Mag es sein, wie es will, aber es war mir doch manchmal ein unheimliches Gefühl, die dichtverhängten Fenster da drüben so Jahr nach Jahr zu sehen und die leeren, öden Räume dahinter zu wissen, in kurzer Zeit werden ja nun die Siegel geöffnet und die Zimmer wieder gelüftet und bewohnt werden."

      „Ob sich das der alte Herr Quetzlinberger gefallen laßt," lachte Marie - „und ob er nicht nachher aus /48/ Aerger und Mißmuth Ketten über die Gänge schleift und in den Schlafkammern spukt! So viel weiß ich, so sehr ich mich danach sehne, das alte Haus im Innern zu sehen - wohnen und schlafen möchte ich doch um keinen Preis darin."

      Marie war dabei von ihrem Stuhl aufgestanden, hatte sich an das Clavier gesetzt und mit leisen Fingern ein paar Accorde angeschlagen, während Helene zum Tische trat, die Lampe anzustecken. Es war schon fast dunkel im Zimmer geworden. Da tönten plötzlich die wilden, schrillen Töne einer Geige zu ihnen herüber, und Marie fuhr fast erschreckt empor, den wunderlichen Lauten zu horchen.

      „Es ist nichts," lächelte aber Helene, indem sie die Glocke auf die noch düster brennende Lampe setzte, „Schwiebus hat einmal seinen guten Abend und musicirt."

      „Das habe ich aber noch nie gehört!" rief Marie erstaunt.

      „Es kommt auch nicht oft vor," sagte Helene, „denn meistens sitzt er auf seinem Zimmer bei festverschlossener Thür und läßt Niemanden zu sich hinein, selbst meinen Bruder nicht."

      „Und was für wunderliche, eigenthümliche Melodien das sind, die er spielt!"

      „Ja," sagte Helene, „er phantasirt auch nur und kennt keine Note, haßt sogar die Notenblätter; denn er sagt, die „schwarzen Dinger" lägen darauf herum, wie Knochen auf einem Kirchhofe. Wenn er einmal zu mir hereinkommt und ein Heft zufällig offen auf dem Instrumente liegt, macht er es jedesmal zu. Heute sollten wir übrigens zu ihm hinüber gehen, denn heute giebt er, wie es der Bruder nennt, „Audienz", und wenn wir ihn da bitten, erzählt er manchmal Geschichten zum Todtlachen oder - Todt fürchten - wie's ihm gerade durch den Sinn fährt."

      „Ich glaube, ich würde mich todt fürchten," sagte Marie leise. „Der Mann, so freundlich und gutmüthig er sich immer gezeigt, hat für mich etwas kaum sagbar Unheimliches."

      „Das macht sein Name, der todte Famulus," lächelte Helene. „Es giebt wirklich keinen besseren und ge-/49/fälligeren Menschen auf der Welt als ihn, und was er mir oder irgend Jemandem, den er gern hat, an den Augen absehen kann, thut er gewiß. - Aber er spielt nicht mehr, sagte sie, plötzlich hinüberhorchend - und da knarrt seine Thür. Er kommt wahrhaftig herüber. Nun, da hat er einmal seinen geselligsten Tag, und den müssen wir benutzen."

      Ehe