Das alte Haus. Heimliche und unheimliche Geschichten. Gerstäcker Friedrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerstäcker Friedrich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753136059
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Arzt verließ, von seinem Erfolge vollkommen befriedigt, leise das Zimmer, und die Mutter saß neben dem kranken Kinde und bewachte mit liebender Sorgfalt, aber auch mit schon halb getröstetem Herzen die ruhigen, regelmäßigen Athemzüge der Schlafenden. /32/

      III.

      Marie schlief die ganze Nacht ununterbrochen, aber nicht so sanft und ruhig fort, wie nach der ersten erschlaffenden Wirkung des Aethers. Sie träumte lebhaft, sprach oft einzelne unzusammenhängende Worte, lachte einige Mal und faßte auch wohl krampfhaft und wie ängstlich der Mutter Hand, die nicht von ihrer Seite wich. Nichtsdestoweniger stand die Sonne schon hoch am Himmel, als sie endlich erwachte, oder vielmehr die Augen öffnete, und halb träumend noch umherschaute. Kurz vorher hatte der Hausarzt das Zimmer wieder betreten und hielt jetzt die linke Hand, den Gang des Pulses zu fühlen, während ihre Rechte in der der Mutter ruhte.

      „Mutter," flüsterte das Kind endlich leise, „liebe Mutter!"

      „Ja, mein Kind, ich bin bei Dir," sagte diese, sie an sich drückend und küssend. „Ich gehe nicht fort von Dir. Halte Dich nur ruhig, und Du wirst bald wieder vollkommen wohl sein."

      „Und darf ich dann auch wieder einmal zum Herrn Quetzlinberger und zu Gundelrebe hinüber, liebe Mutter?" fragte Marie. Die arme Frau seufzte recht tief auf, denn was das Kind aus seinem Traume sprach, klang ihr gar zu unheimlich.

      „Besinne Dich doch nur, Mariechen," bat sie endlich mit zärtlicher Stimme; „Du hast ja das Alles nur, von dem Aether betäubt, geträumt und bist ja die ganze Zeit nicht hier aus dem Lehnstuhl, nicht aus der Stube hinaus gekommen."

      „Nicht?" sagte Marie, rasch und erstaunt zu ihr aufschauend, „und ich wäre nicht nebenan in dem alten Hause gewesen?"

      „Mit keinem Fuße, Kind."

      „Aber die Thür stand doch offen."

      „Welche Thür?"

      „Nun, die an der Treppe, an der Gundelrebe schon so oft geklopft hat, wenn ich oder jemand Anderes vorüberging." /33/

      „Gundelrebe? wer um Gottes willen ist Gundelrebe?" fragte die Mutter, der die Thränen in die Augen traten.

      „Gundelrebe? ei, das ist ja der Neffe des alten Herrn Quetzlinberger, der die feine, schmale Narbe über der Stirn hat."

      Der Arzt hatte indessen noch immer ihre Hand gehalten; den Puls aber vollkommen frei von Fieber fühlend, sagte er freundlich:

      „Du bist gestern nicht aus der Stube gekommen, liebes Kind, und wie Dir Deine Mutter sagt, ist sie nicht von Deiner Seite gewichen; das darfst Du glauben. Wenn Du also wirklich fortgewesen wärest, müßte sie Dich doch gleich vermißt haben, nicht wahr? Ueberdies möchte es Dir auch schwer geworden sein, in das alte Haus hinein zu kommen."

      „Aber ich bin nun doch einmal drüben gewesen und habe es mit meinen eigenen Augen gesehen," sagte tief erröthend das Kind. Es fiel ihm jetzt wieder ein, was ihr der alte Herr Quetzlinberger gesagt hatte, daß es ihr Niemand glauben würde, und wie er dann fast erstickt war von heftigem Husten. Sie deckte dabei ihre bleiche Stirn mit beiden, fast durchsichtig dünnen Händchen und hielt eine ganze Zeit lang die Augen geschlossen. Unten von der Treppe schallte indessen Hämmern und Pochen herauf, und nachdem Marie kurze Zeit dem fremdartigen Geräusch, auf das sie erst nach und nach aufmerksam wurde, gelauscht hatte, fragte sie leise:

      „Was ist das, Mama?"

      „Das ist die häßliche Thür," erwiderte die Mutter, indem sie liebkosend das Haar von der Stirn der Kranken strich, „die häßliche Thür, die uns schon so viel Aerger, Noth und Sorge gemacht hat, und die der Rath der Stadt endlich auf Deines Vaters ernste und entschiedene Vorstellungen zu¬mauern läßt."

      „Die Tür ist offen?" rief aber Marie schnell; „siehst Du, Mama, daß ich Recht gehabt und nicht gelogen habe?"

      „Aber Du hörst ja, daß sie erst heute Morgen geöffnet wurde! rief die Mutter - „die Leute haben erst vor kaum einer halben Stunde damit begonnen." /34/

      „Und darf ich einmal hineingehen in den Gang?" fragte schüchtern Marie.

      „Gott bewahre!" rief da rasch der Arzt, „wir müssen jede solche unnöthige und thörichte Aufregung streng vermeiden, und man soll um Gottes willen nicht mit solch' albernen Geschichten spielen und Mißbrauch treiben. In die alte, unnütze Thür kommt jetzt, wie mir die Leute unten sagten, eine vier Fuß dicke Mauer, und das wird dem verrückten Mädchenschnack hier im Hause endlich einmal ein Ziel setzen. Der Herr Regierungsrath hätte das schon lange betreiben sollen."

      „Eine vier Fuß dicke Mauer!" seufzte Marie leise vor sich hin; „aber du lieber Gott, da kann ja..." Sie hielt plötzlich ein und blickte still und erröthend vor sich nieder, als ob sie sich scheue, das auszusprechen, was sie gerade überdacht.

      „Was, mein liebes Kind - was kann? - was meinst Du?" fragte die Mutter. Marie barg das Köpfchen an ihrer Brust, schüttelte es aber dabei und sagte leise:

      „Nichts, nichts, liebe Mutter - der Traum will mir noch immer nicht aus dem Sinn - er war gar zu lebhaft und ... und das Hämmern und Klopfen da unten thut mir weh. Müssen sie denn solch' eine dicke Mauer in die Thür setzen?"

      „Gewiß, Marie," beruhigte sie die Mutter. „Es ist der Leute wegen, damit das tolle Gerede endlich einmal aufhört." Ein eigener Gedanke schien aus des Kindes Auge zu blitzen, und zu dem Doctor rasch und mißtrauisch aufschauend, sagte sie:

      „Aber weshalb vier Fuß dick, Doctor? Wenn wirklich Niemand dahinter klopft und hindurch will, wäre doch die eiserne Thür allein genug gewesen - und wenn..."

      „Und wenn - Marie?" fragte die Mutter, dem Doctor dabei einen ängstlichen Blick zuwerfend.

      „Und wenn nun doch Gundelrebe," fuhr das Mädchen, sich ein Herz fassend, fort, „wenn nun doch Gundelrebe in dem dunkeln Gange säße, wäre es da nicht traurig, ihm jede Hoffnung abzuschneiden je heraus zu kommen, und müßte er dann nicht in Jammer und Einsamkeit da drinnen vergehen ?" /35/

      „Papperlapapp!" lachte der Doctor, „quäle Dich nur jetzt nicht mit solch' albernen Ideen! Die dicke Mauer wird nicht aus Furcht vorgesetzt, daß irgend Jemand von innen herausbrechen könnte, sondern nur um das Gesinde zu beruhigen und die Thür selber zu entfernen. Wenn die erst einmal fort ist und solch ein Haufen Backsteine dasteht, werden auch die Furchtsamsten Muth bekommen und nicht mehr an Geister denken. Säße aber wirklich Dein Gundelrebe dahinter, so könnte er zu irgend einem Fenster oder Kellerloch oder oben zum Dach deshalb noch immer mit Bequemlichkeit herauskommen. Die Fenster sind ja doch nicht zugemauert, und selbst ein gewöhnlicher Mensch könnte von innen herauskommen, wie viel mehr denn ein Geist! Mach' Dir also darüber ja keine unnützen Sorgen, Marie; schlafe jetzt hübsch und halte Dich ein paar Tage ruhig, bis sich die Schmerzen im Zahnfleisch und die Folgen des Aethers verloren haben. Sobald Du dann neue Kräfte gesammelt hast, werden Dir auch die traurigen und überspannten Gedanken vergehen, und Du wirst wieder unser munteres, braves Mariechen sein, wie in früherer Zeit."

      Marie war seinen Worten mit der gespanntesten Aufmerksamkeit gefolgt, und als er die Fenster und Kellerlöcher erwähnte, nickte sie ihm leise und lächelnd zu. Dann sank sie wieder, die Augen schließend, auf ihr Kissen zurück. Die Kranke schien übrigens mit diesem Gespräch eine Art von Krisis überstanden zu haben. Sie schlief fast den ganzen Tag vollkommen ruhig, wachte gegen Abend auf und genoß etwas, und verbrachte dann eine eben so ruhige Nacht, ohne ein einziges Mal mehr das alte Haus, den Herrn Quetzlinberger oder Gundelrebe zu erwähnen. Die Mutter kam übrigens in der Zeit gar nicht von ihrem Bette, und schlief selbst die Nacht auf dem Sopha neben ihr. Die nächsten Tage fühlte sich Marie viel kräftiger und wieder ziemlich wohl, und da sich die Eltern jede Mühe gaben, sie zu zerstreuen und aufzuheitern, so wurden die Bilder jenes Abends, die ihr mit so merkwürdiger Schärfe vor der Seele gestanden, schwächer und schwächer. Ihre Umrisse verloren erst an Klarheit, und mit anderen Träumen, die sie später geträumt, ver-/36/schwamm das Ganze endlich zu einem wohl immer noch wunderlichen, aber doch wirren Bilde, dessen einzelne Gestalten sie schon nicht mehr so genau abzuscheiden vermochte, und die deshalb auch