Der Schatten ihres Hündchens. Martin Frech. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Frech
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847677338
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Anerkennung eines wie auch immer gearteten Anspruches meinerseits auf sie hätte schließen können. Natürlich war körperliche Nähe ausgeschlossen. Bei den Begrüßungs- und Abschiedsküsschen kam sie gerade einmal so dicht an mich heran, dass mich ihre Brustspitzen nicht berührten. Gingen wir auf der Straße ein Stück miteinander, gab es weder ein Arm-in-Arm noch ein Hand-in-Hand und noch weniger ein Arm-um-Taille. Es gab nichts. Sogar zufällige Berührungen vermied sie, um, wie ich vermutete, auch nicht den leisesten Verdacht – oder vielleicht sollte ich eher sagen: die leiseste Hoffnung – bei mir aufkommen zu lassen, es sei dabei mehr als Zufall im Spiel gewesen. Eine ähnlich konsequente Einhaltung des Sicherheitsabstandes im Straßenverkehr zum Beispiel hätte man nur als absolut vorbildlich bezeichnen können.

      Auch was das Zeigen von Gefühlen oder die Auswahl der Themen anbelangte, über die sie mit mir sprach, gab es eine Linie, die sie nicht überschritt. Das, was mich immer noch am meisten interessierte, nämlich ob es einen anderen Mann oder sogar Männer gab, erfuhr ich nicht. Sie sprach von sich aus nicht darüber, und wenn ich selbst hin und wieder durch vorsichtiges Fragen versuchte, etwas herauszubringen, erhielt ich Antworten, die aufgrund ihrer Formulierung genauso gut das eine wie das andere bedeuten konnten. Ich war mir nie richtig darüber im Klaren, wie ich dieses Verhalten interpretieren sollte. Lag ihr noch so viel an mir, dass sie mich nicht durch das Erwähnen von Begebenheiten in Unruhe versetzen wollte, aus denen ich schließen konnte, dass sich für sie eine neue Geschichte anbahnte? Wollte sie in der Beziehung zu mir noch etwas offen halten? Oder fand sie einfach, diese Dinge gingen mich nichts an?

      Der Sommer verging. Der Herbst verging. Der Winter verging. Nur meine Hoffnungen vergingen nicht. Aber nichts geschah. Christine wirkte bei unseren Zusammenkünften immer sehr entspannt und ausgeglichen. Es ging ihr offensichtlich gut in ihrem neuen Leben. Sie schien nichts zu vermissen. Schon gar nicht mich. Warum also hätte sie sich zu einem Neuanfang mit mir bereitfinden sollen?

      Einmal sagte ich, ich würde überlegen, meinen Job in der Agentur aufzugeben.

      „Wieso das denn?“, fragte sie, ziemlich überrascht. Unsere Diskussionen von früher schien sie vergessen zu haben.

      Sie interessierte sich immer noch für mich und das, was ich tat, aber auf eine, wie mir schien, weitgehend teilnahmslose Art. Ich hätte mich im Restaurant ausziehen können und nackt auf einen Tisch steigen - ich glaube, es wäre ihr nicht peinlich gewesen. Sie identifizierte sich nicht mehr mit mir, so, wie es, zumindest bis zu einem bestimmten Grad, bei Paaren, die sich gut verstehen, normalerweise der Fall ist, und wie es auch bei uns einmal der Fall gewesen war.

      Es war eine merkwürdige Zeit. Manchmal dachte ich, wir würden uns besser nicht mehr sehen. Dieses Immer-wieder-Sich-Treffen-und-doch-nicht-Zusammensein war lähmend. Was ich wollte, bekam ich nicht, und etwas anderes wollte ich nicht.

      Im Frühjahr fing eine Juniortexterin in unserer Agentur an. Sie war Mitte 20, hatte kurzes, blondes Haar und war einfach nett. Sie war überhaupt nicht abgebrüht, und es war nicht zu übersehen, dass die männlichen Kollegen sie ausnahmslos ziemlich anziehend fanden. Irgendwann bemerkte ich, dass in ihrem Verhalten mir gegenüber eine ganz leichte Befangenheit lag, und mir war klar, dass ihre Wahl auf mich gefallen war. Ausgerechnet auf mich! Ich weiß nicht, ob es meine depressive Grundstimmung und meine Tränensäcke waren, die es ihr angetan hatten, oder ob es ihr gefiel, dass ich keine Slogans schrieb. Wie auch immer: Ich konnte mit ihrem Interesse an mir nichts anfangen. Ich freute mich nicht darüber, ich fühlte mich nicht geschmeichelt, und natürlich entwickelte sich nichts zwischen uns. Es gab noch nicht einmal ein persönliches Gespräch. Es war mir vollkommen unmöglich, in irgendeiner Art auf sie einzugehen. Es war, als stünde ich vor einem Aquarium und beobachtete einen schönen Fisch, der hinter der Glasscheibe stand und ständig in meine Richtung hin das Maul öffnete und schloss. Bei mir kam nichts an von dem, was er mir mitteilen wollte.

      Neben Christine konnte nach wie vor keine andere Frau bestehen. Sie hatte alles, was ich wollte und nichts, was ich nicht wollte. (Zumindest war das meine feste Überzeugung zu dieser Zeit.) Ich liebte ihren leicht mediterranen Teint, ihr dunkles Haar, auch ihren Hang zur Ironie und ihre Spottlust. Mir gefiel immer noch die Unbekümmertheit, mit der sie das Geld ausgegeben hatte, das ich verdiente – die übrigens nichts mit Wahllosigkeit zu tun gehabt hatte, sie kaufte immer sehr bewusst – und fast noch mehr gefiel mir, dass sie nach der Trennung von mir offenbar keine Schwierigkeiten damit hatte, ihre Konsumgewohnheiten radikal zu ändern und sich auf das Nötigste zu beschränken. Ganz und gar einzigartig aber machte sie die schlichte Tatsache, dass sie es war, die ich vor einer halben Ewigkeit in Paris kennengelernt hatte, dass ich mit ihr all die Jahre danach Hoffnungen und Erwartungen, Wünsche und Enttäuschungen, Erfolge, Wohnungen und Betten geteilt hatte, dass ich mit ihr und neben ihr und zum Teil auch durch sie das geworden war, was ich heute war, so fragwürdig einiges von dem, was ich tat, auch sein mochte. Sie war ein Teil meines Lebens, das anders verlaufen wäre, wenn ich sie nicht getroffen hätte und von dem ich wollte, dass es so weiterginge, obwohl es ja schon aufgehört hatte, so weiterzugehen – es sollte so weitergehen, ich wollte keinen Neuanfang, ich wollte kein anderer Mensch werden und auch keinen anderen Menschen neben mir im Bett liegen sehen, wenn ich morgens aufwachte. Ich stellte es mir nicht spannend und auch nicht geil vor, einmal wieder vor einer fremden Frau die Hosen herunterzulassen und sie zu fragen, wie sie es gerne hätte und dann zu versuchen, mein Bestes zu tun und mir zu überlegen, ob ihr Stöhnen oder die spitzen kleinen Schreie echt seien.

      Einmal hörte ich, eher zufällig, nach langer Zeit einmal wieder Ne me quitte pas von Jacques Brel, und das Lied ergriff mich ähnlich wie beim allerersten Mal, wühlte mich auf und stürzte mich in Verzweiflung – bis zu der Stelle, wo er sang, er möchte wenigstens der Schatten des Hundes seiner Angebeteten sein. Das war mir dann doch zu viel. So weit war ich noch nicht – aber sehr weit davon entfernt, muss ich, zurückblickend, zugeben, auch nicht. Wenn sie ein Hündchen gehabt hätte, damals, wer weiß, welche Wünsche in einem schwachen Moment auch mich überkommen hätten.

      5.

      Der Abend unterschied sich anfangs nicht allzu sehr von anderen Abenden, an denen wir uns getroffen hatten. Wir aßen, tranken, redeten, lachten auch bisweilen, und ich hoffte wieder einmal, Christine werde so viel Wein in sich hineinlaufen lassen, dass sie sich nicht mehr daran erinnerte, vor einem Jahr ausgezogen zu sein. Sie sollte einfach hierbleiben. So, wie sie früher auch hiergeblieben war nach dem Abendessen. Früher, als wir noch zusammengelebt hatten.

      Christine erzählte ein bisschen von Paris, vor allem von gewissen Schwierigkeiten beim Übersetzen von Pellotiers Roman, die zu besprechen sie ja hingefahren war. Ich hütete mich vor ähnlichen Fragen wie am Nachmittag, und alles war zunächst sehr harmonisch. Wir sprachen sogar ein bisschen von unserer gemeinsamen Pariser Zeit, Christine, die immer noch mehrmals im Jahr hinfuhr, klagte, dass sich schon wieder so Vieles verändert habe und schimpfte, dass das Marais immer mehr zum Touristenrummelplatz verkomme – unser gutes Marais, wohin wir immer gefahren waren, um in einer der jüdischen Bäckereien dort dunkles Brot zu kaufen und wo ich mich mit meinem deutschen Akzent anfangs kaum getraut hatte, den Mund aufzumachen. Das kleine Bistrot in der Rue de Rivoli, in dem wir uns oft getroffen hatten in der Anfangszeit, gebe es auch nicht mehr, erzählte Christine weiter, ein Sportartikelladen sei jetzt dort eingezogen, und ich war gerade dabei, von einer dieser melancholischen Anwandlungen überfallen zu werden, in die ich manchmal abdriftete, wenn ich erfuhr, dass schon wieder ein Ort verschwunden war, der uns früher einmal etwas bedeutet hatte, als sie unvermittelt das Thema wechselte und fragte, woran ich in der Agentur im Moment arbeitete. Sie überrumpelte mich damit so sehr, dass mir keine Lüge mehr einfiel, schlimmer noch, dass ich auch den Ton meiner Antwort nicht mehr im Griff hatte. Ich säße gerade an einer Imagekampagne für den VDM, sagte ich und war im selben Moment unangenehm berührt von dem eklig Geständnishaften in meiner Stimme. Christine kannte mich gut genug, um sofort zu merken, dass ich ein Problem hatte. Sie wusste zwar noch nicht genau, welches, freute sich aber darauf, es gleich zu erfahren – das zu wissen kannte wiederum ich sie gut genug.

      „VDM?“ sagte sie, und schaute mich einfach nur fragend an, nicht erwartungsvoll,