das Schiff anvertraut war. Am flachen Heck befand sich in einer
gabelförmigen Halterung ein langes Ruder, das der Steuerung diente.
Insgesamt wirkte das Schiff grazil und fast verspielt, wie es der Eigenart
der Elfen entsprach, doch auf Lotaras machte es einen schrecklich unstabilen
Eindruck, denn über dem zierlichen Rumpf erhob sich ein ebenso zierlicher
Mast von fünfzehn Längen Höhe. Es schien, als müsse der Mast das kleine
Pfeilschiff sofort zum Umkippen bringen, was jedoch nicht geschah. Er ragte
fast frei auf und wurde den Worten des Kapitäns zufolge nur von einem
Sockel tief im Bauch des Schiffes sowie von den vier starken Tauen gehalten,
die ihn nach allen Seiten mit dem Schiffsrumpf verbanden. Der Mast befand
sich im hinteren Drittel des Schiffes und ließ dessen Bug durch sein Gewicht
merkwürdig steil aus dem Wasser ragen, wodurch das Pfeilschiff insgesamt
seltsam schief wirkte. Das würde sich jedoch ändern, sobald das Segel sich
entfaltete und der Winddruck das Schiff nach vorne presste. Das Segel war
unten an einem Längsbalken befestigt, der vom Mast aus nach hinten lief und
über das hintere Heck des Schiffes hinausragte. Es hatte eine dreieckige Form
und würde im aufgezogenen Zustand dicht unter der Mastspitze enden. Es
war aus bestem elfischem Tuch gefertigt und hielt auch starken Winden
mühelos stand. Der Mast selbst wies rechts und links Kerben auf, in die man
seinen Fuß setzen konnte, um ihn zu ersteigen. An seiner Spitze befand sich
eine zierliche Plattform für den Ausguck des Schiffes, der den Kapitän vor
möglichen Gefahren warnen sollte.
»Eine richtige Schönheit, nicht wahr?«, sagte Herolas nahezu andächtig.
»Eine wacklige Schönheit«, murmelte Lotaras.
Leoryn sah ihn mit gerunzelter Stirn an. »Es ist nun genug, mein Bruder.
Die ›Sturmschwinge‹ wird uns sicher ans Ziel bringen, nicht wahr, Kapitän
Herolas?«
»Das wird sie ganz gewiss«, sagte eine unbekannte Stimme hinter ihnen,
und als die Geschwister herumfuhren, sahen sie vor ihren Augen einen
weiteren Elfen förmlich aus dem Boden des Pfeilschiffes herauswachsen. Erst
sah man nur den Kopf, danach erschien sein Oberkörper, und nun erkannten
die Geschwister, dass der Mann aus einer winzigen Luke herausstieg, die in
den Bauch des Rumpfes führte. Er trug lediglich ein stark gekürztes Beinkleid
und war ansonsten vollkommen nackt. Auch seine Füße waren entblößt, und
als Leoryn sie näher betrachtete, erkannten ihre kundigen Heileraugen die
dicken Schwielen an den Sohlen.
»Was ist mit deinen Füßen, Bruder des Wassers?«, fragte sie überrascht.
»Meine Füße?« Der Mann hob irritiert ein Bein und betrachtete seinen
Fuß. »Was soll mit ihnen sein?«
Leoryn deutete auf seine Sohlen. »Du hast merkwürdige Verdickungen
darunter.«
»Verdickungen?« Der Mann sah sie zunächst entgeistert an und grinste
dann breit. »Ah, nun verstehe ich, was du meinst, Schwester des Waldes.« Er
lachte auf. »Auch ihr würdet solche Schwielen bekommen, wenn ihr so viele
Jahre lang auf dem Tauwerk des Schiffes balanciert, um die Segel
auszurichten.«
»Warum trägst du dann keine Schuhe?«
Der Mann sah sie nachdenklich an. »Das wäre unpraktisch, Schwester des
Waldes. Man muss ein Schiff spüren können. Seine Bewegungen im Wasser.
Wie es sich auf- und abwiegt, sich zur Seite legt und wieder aufrichtet, wenn
es auf den Segeldruck und auf das Ruder reagiert.« Der Mann blickte an der
jungen Elfin vorbei zu Lotaras. »Was ist mit dir, Bruder des Waldes? Ist dir
nicht wohl?«
Lotaras war ein wenig bleich geworden. Jetzt schüttelte er nur noch
ächzend den Kopf, musterte die »Sturmschwinge« und glaubte fest daran,
dass dieses Schiff seinen Untergang bedeutete.
»Mein Steuermann Gendrion«, stellte Kapitän Herolas den Mann vor. »Es
gibt wohl kaum eine Welle des Meeres, die er nicht selbst befahren hat und
persönlich kennt. Doch nun kommt an Bord, wir wollen die Reise beginnen.«
Das Pfeilschiff lag dicht am Steg, doch wenn man es mit einem kurzen
Sprung erreichen wollte, musste man den Moment abpassen, in dem es sich
dem Steg leicht zuneigte. Lotaras sah einige der größeren Schiffe an ihren
Liegeplätzen. Bei allen außer bei der »Sturmschwinge« führten stabile Bretter
an Bord, weshalb Lotaras sofort den Steuermann Gendrion im Verdacht hatte,
die Planken vorsätzlich beiseitegelegt zu haben, um zu sehen, wie die
Waldbewohner ohne sie an Bord gelangen würden. Aber sein Stolz ließ es
nicht zu, eine Schwäche zu zeigen, und außerdem waren sein elfisches Auge
und seine Reflexe in Ordnung. Mit einem eleganten Schwung erreichte er das
Deck der »Sturmschwinge«, hörte ein leises Brummen des Steuermanns und
sah, wie dieser die Hand ausstreckte, um Leoryn zu helfen, doch die Elfin
lächelte ironisch und folgte ihrem Bruder mit weiblicher Anmut.
»Besatzung an Deck, wir stechen in See«, rief Gendrion mit lauter Stimme,
und über die kleine Treppe, die ins Schiffsinnere führte, kamen drei Männer
herauf, die erstaunliche Ähnlichkeit mit dem Steuermann hatten. Auch sie
waren annähernd nackt, und ihre Füße waren ebenso schwielig wie ihre
kräftigen Hände. Obwohl ihre Bewegungen auch die Anmut des elfischen
Volkes zeigten, wirkten sie in ihrer ganzen Art kraftvoller.
»Geht vor den Mast«, brummte Gendrion und schob Lotaras vor sich her,
während er dessen Schwester mit einer sanften Bewegung ermunterte, ihnen
zu folgen. »Wir müssen den Anker einholen und das Segel setzen.« Er sah
Leoryn freundlich an. »Der Mastbaum wird ein wenig herumschwingen und
das Schiff sich neigen. Doch beunruhigt euch nicht, es kann nichts
geschehen.«