Vier Tage. Erich Puedo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Erich Puedo
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752907322
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Dann hättest du vielleicht Probleme, die ersten Tage zu überleben. Aber in der Kiteschule passiert fast nie etwas.«

       »Fast nie? Willst du mir Angst machen?«

      »Nein! Sicher nicht.«

      Mann, was mache ich hier eigentlich gerade? Will ich ihr das Kitesurfen ausreden? So hört sich der Mist, den ich erzähle, auf jeden Fall an. Oder will ich es ihr wirklich ausreden? Weil sie einen Freund hat? Kann das sein? Macht das mein eifersüchtiges Unterbewusstsein? Oder erzähle ich einfach nur Blödsinn, weil ich nicht ganz bei der Sache bin? Weil sie mich nervös macht? Was ist denn los in meinem Kopf?

      »Nein, nein. Ich will dir sicher keine Angst machen. Es hat sich wirklich noch nie jemand ernsthaft verletzt in der Kiteschule. Die passen wirklich auf. Ein oder zwei blaue Flecken vielleicht. Aber sicher nichts Ernstes.«

       »Hmmm. Apropos was Ernstes und sicher und so. Ich muss noch zu Hause anrufen und sagen, dass ich gut angekommen bin. Hast du was dagegen, wenn wir morgen weiterreden?«

      »Nein. Klar.«

      Und ob ich was dagegen habe! Ich will weiterreden. Vor allem nach dem ganzen Blödsinn, den ich gerade erzählt habe. Das muss ich doch noch wieder in Ordnung bringen.

       »Und wir gehen morgen zusammen zu deiner Kiteschule?«

      »Sicher.«

      Immerhin. Ich habe nicht alles versaut.

       »Und du holst mich ab.«

      »Ja, wo wohnst du?«

       »Nicht weit. Ich zeig es dir.«

      Na dann gehen wir eben zu ihrem Hotel. Hoffentlich hakt sie sich noch einmal bei mir ein, dann lohnt sich das Ende wenigstens ein bisschen. Soll ich irgendetwas sagen? Ich sollte. Nur was? Dass ich mich auf morgen freue? Den Versuch hatte ich schon. Zurück in den Small Talk-Modus? Kann SIE nicht einfach wieder labern, so wie vorhin? Langweilt sie sich? MUSS ich jetzt etwas sagen? Ist die Stille hier gerade angenehm? Für mich sicher nicht, aber für sie? Muss man nicht auch nebeneinander schweigen können? Sagen das nicht alle von ihren ach so gut funktionierenden Beziehungen? Wir können ja so gut miteinander schweigen? Sollen die anderen doch. Aber habe ich mir mit Nina jetzt schon nichts mehr zu sagen? Das wäre ja nicht so ideal. Das muss man schon können, nebeneinander zu schweigen. Aber ich kann nicht. Voll nicht. Ich bin komplett hektisch im Kopf. Merkt sie das? Nein oder? Sie kennt mich ja nicht und Gedanken lesen kann sie sicher nicht. Also offiziell schlendern wir jetzt einfach durch die marokkanisch angehauchte Altstadt von Tarifa und genießen das einfach. Schöne enge Gassen, schön alt, schön echt, schöne Architektur, einfach schön, muss ja jedem gefallen. Aber gefällt es ihr? Soll ich sie fragen? “Schöne Architektur, ne?“ Sensationelle Frage. Ungefähr so brillant wie die Frage, ob sie sich auf morgen freut. Dann lieber nichts. Oder irgendetwas anderes? Warum hakt sie sich nicht einfach noch mal bei mir ein? Dann hätte ich wenigstens einen logischen Grund, so nervös zu sein. Und außerdem würde ich sie ausgesprochen gerne einfach nur ein wenig berühren. Ist sie gerade im Touristen-Modus? Genießt sie die Gassen der Altstadt? Auf jeden Fall schaut sie sich um. Oder schaut sie nur von mir weg? Schaut sie sich das spanische Leben in den kleinen Bars an? Und findet das sooooo cool hier alles, genau wie ich an allen Tagen außer jetzt gerade? Wäre sie jetzt lieber mit jemand anderem in so einer Bar? Wenn ja, dann mit wem? Ihrem Freund? Einer unterhaltsameren Urlaubsbekanntschaft? Wo ist sie in Gedanken gerade? Soll ich sie das fragen? ‚Schatz, was denkt du gerade?’ Andererseits ist das genau eine der Fragen, die mich ja sonst bei Frauen so nervt.

       »Schön war es.«

      Sie hat etwas gesagt! Warum ist sie stehen geblieben? Oh, das wäre dann wohl ihr Hotel. Und das Ende des Abends.

      »Fand ich auch.«

       »Danke.«

      »Nicht dafür.«

      Jetzt locker bleiben und einfach ein freundschaftliches Küsschen links, Küsschen rechts und fertig. Scheiße, jetzt duftet sie auch noch so... so... so... ja wie eigentlich? Gut, trifft es ja nicht. Fruchtig? Fraulich? Blumig? Süßlich? Sensationell? Sensationell! Wie gemacht für mich.

       »Bis morgen um 10?«

      »Ja. Bis morgen.«

      Bis morgen, also. Krass! So krass, das alles.

      Hey, Pippi Langstrumpf... - Astrid Lindgren

      Wonach hat sie denn gerochen? War das nur ihr Parfum? Oder war das wirklich sie? Ich habe es immer noch in der Nase. Kann das sein? Ich glaube nicht. Oh Gott, der erste Gedanke am Morgen geht an sie. Entspann’ dich mal. Du verliebst dich sicher nicht in eine Frau, die einen Freund hat. Wer ist sie denn? Gestern kennen gelernt und heute? Keine Ahnung. Sie roch gut. Sie hat eine Stimme, die gemacht ist für meine Ohren. Ich kann ihr zuhören und zwar richtig. Ich glaube, ich könnte jeden Satz von gestern wiederholen. Vielleicht nicht die ganze Silberhochzeits-Geschichte, aber den Rest wahrscheinlich schon. Sie ist wunderschön. Als sie im Café vor mir stand, habe ich das zuerst gar nicht wahrgenommen. Aber ihre Mimik, wenn sie redet...

      Was ist denn mit mir eigentlich los? Gerade hat der Wecker geklingelt und meine Gedanken rasen. Normalerweise brauche ich zwei Kaffee und mindestens eine Stunde, bis mein Gehirn so langsam in Gang kommt. Immerhin habe ich Hunger. Das beweist auf jeden Fall, dass ich noch nicht völlig durchdrehe. Also jetzt mal was essen und dann Nina abholen.

      Da steht sie. Sie steht pünktlich vor ihrem Hotel und wartet auf mich. Und sie sieht mich nicht. Sehr gut, die Ampel ist rot und ich kann sie ganz in Ruhe und ganz legitim anstarren. An wen erinnert sie mich? Shakira ohne Lockenmähne? Und ohne Rollerblades und sich nicht im Schlamm suhlend? Nein, nicht ganz Shakira. Aber wer? Und wieso lächle ich so debil? Reiß’ dich mal zusammen. Sie muss ja nicht gleich wissen, dass sie mir gefällt. Und sie gefällt mir. Und zwar so richtig.

      Und was ist jetzt eigentlich das Problem? Warum fühle ich mich gerade so seltsam? Mir ist übel. Wahrscheinlich das schlechte Frühstück und der noch fehlende Kaffee. Oder ist sie schuld? Macht sie das Gefühl in meinem Magen? Nur weil sie da vorne steht, sich suchend umschaut und einfach so... so... so... süß?... bezaubernd?... richtig?... sexy aussieht?

      Mir ist richtig schlecht! Ich glaube, ich habe Angst. Angst vor ihr. Bin ich nicht langsam alt genug, um keine Angst mehr vor Frauen haben zu müssen? Ich werde jetzt einfach ein bisschen Small Talk mit ihr machen, dann fahre ich sie zum Strand, gebe sie in der Kitesurfschule ab und ich gehe auf’s Wasser. Ich gehe einfach Kite surfen, so wie jeden Tag. Was soll da schon schief gehen. Grün. Mann, ich bin nervös. Ist sie nervös? Sie tritt ein bisschen unruhig von einem Fuß auf den anderen. Wahrscheinlich ganz normal, wenn man wartet. Sie hat mich gesehen. Sie winkt. Sie lächelt. Sie ist sicher nicht nervös. Sie lacht. Mein Gott. Das muss das bezauberndste Lachen sein, dass ich je gesehen habe. Wink einfach zurück! Und schön locker bleiben!

       »Hi!«

      »Hi! Steig ein.«

       »Danke für’s Abholen.«

      Noch ein bisschen rauchiger, ihre Stimme. Vielleicht ihre Ich-bin-noch-verschlafen-Stimme. Genauso sensationell, wie ihre Ausgeschlafen-Stimme. Oder noch sensationeller?

      »Gern geschehen. Hast du lange gewartet?«

       »Nein. Zwei Minuten vielleicht. Cooles Auto. Deins?«

      »Ja.«

       »Schöne Familienkutsche, so ein VW-Bus. Hast du mir doch etwas verschwiegen gestern?«

      »Das ist doch keine Familienkutsche! Das ist ein Surfmobil!«

       »Wofür braucht man denn einen Bus beim Surfen?«

      »Na, dreh dich mal um. Der Kofferraum ist voll.«

       »Sind in den Rücksäcken deine Kiteschirme?«

      »Ja.«