Die letzte Lektion. Friedrich Wulf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Friedrich Wulf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847673118
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Dank! Er konnte schroff sein, barsch, rau, ruppig, ja extrem rüde seine Kollegen anblaffen. Zum Clown ließ er sich nicht machen. Das war seine Einschätzung, durchaus anders war die seiner Kollegen. Aber von deren Meinungen war er unabhängig, nur ein weiteres Zeichen seiner überlegenen Geistesart. Er hatte etwas übrig für den Gedanken, die Welt sei nichts als Wille und Vorstellung.

      Er glaubte nicht daran, ein Mensch könne sich jemals ändern, ein Gedanke, den er hegte und pflegte. Und als strenger Determinist hütete er auch den Gedanken, dass es keine Schuld gab, nicht geben konnte. Kriminelle musste man einfangen und verurteilen, nicht weil sie schuldig waren, sondern damit die Menschheit vor ihnen sicher war. Der ganze Rest war ideologischer Überbau und frommes Wünschen, nicht sein Zuständigkeitsbereich.

      Schwierige Kindheit hin und her, er verachtete diese willensschwachen Kreaturen. Und wie passt das zur deterministischen Weltdeutung? Max würde die Achseln zucken und vielleicht sagen: „Habe ich denn behauptet ohne Widersprüche zu leben? Habe ich jemals behauptet, alles bis zum Ende durchdacht zu haben?“ Dabei zwinkerten seine Mundwinkel.

      Im Gespräch mit Horst Krock war dem Polizeipräsidenten eine Idee gekommen. Und also sprach er zu Berger: „Alles, was wir haben, sind diese Zettel. Die Zettel sind ein Zeichen der Arroganz. Sie sind sein Verderben, glauben Sie es mir.“

      „Aber was sagen sie uns?“

      „Habe noch kein scharfes Bild, aber einen Gedanken. Sie kennen den Paderborner-Rundfunk?“

      „Und ob, und ob. Eine Organisation von Neurotikern, Debilen und Neutönern, die Terroristen und Kriminelle interviewen.“

      „Jaja, ich weiß, aber…“

      „Ist eine Organisation höllisch versessen darauf, alles zu bewahren, was falsch ist in Deutschland, religiöse Mucker und Fanatiker. Haben Sie schon mal Das Wort zum Tag gehört, morgens um sechs? Verlogenes Jenseitsvertröstungsgift, furchtbar!“

      „Zweifellos!“

      „Und so denken eine ganze Menge Leute. Und was tun sie dagegen?“, fragte der Polizeipräsident.

      „Schalten ihre Radios aus?“

      „Ne, ne, das tun sie nicht. Sie schreiben Beschwerden.“

      „Hier in Paderborn wegen der Vertröstungslügen? Glaub ich nicht.“

      „Deswegen nicht, aber wegen zu viel Schweinskram. Die Beschwerdeabteilung im PR muss vermutlich jeden Tag mehr Briefe beantworten als sonst irgendwer im Land. So! Und was haben sie davon?“

      Max dachte nach. „Schrei- und Schreibkrampf?“

      „Es macht sie zu Experten für Briefe, richtig? Es gibt niemanden, der mehr übers Schreiben, über Rechtschreibung und Layout weiß als diese Leute in der Beschwerderedaktion. Die können den Charakter der Leute an ihrem Geschreibsel erkennen, sollten wir erwägen, die mal gucken zu lassen. Besonders weil unsere Leute nichts gefunden haben.

      „Und Sie denken…“

      „Genau! Das sind die Experten für die Zettel. Zufällig kenne ich den Knaben, der die Abteilung leitet, ehrlich gesagt, hatte ich Krach mit ihm vor einiger Zeit über ein PR-Progamm.

      „Sie meinen, die alberne Geschichte über Korruption an der Spitze der Polizei, unerquicklich, blasierte Blutegel.“

      „Ja! Also Berger gehen Sie hin und lassen Sie die Zettel analysieren.

      Max verließ das Büro des Polizeipräsidenten mit dem Gefühl, dass das Gespräch nicht gut gelaufen war, sogar schlecht, nein, mies oder noch miserabler, in der Tat so bitter, dass er den Wahnsinnigen besser fing, wenn er Kommissar bleiben wollte.

      Leo Ruckfang, Kopf der Beschwerdeabteilung, tat wenig, um Max’ Stimmung aufzuhellen. Ruckfang war ein Mann mit äffchenartiger Unruhe, das vorgereckte Köpfchen zuckte nach links, zuckte nach rechts und weit aufgerissen die furchtsamen Augen, besaß er die Gabe Überfreude aus winzigen Dingen zu ziehen.

      „Faszinierend“, sagte er bei der Übergabe der Mörderzettel. „Ein Tintenstrahldrucker.“

      „Und was sagt uns das?“

      „Absolut nichts, davon gibt es Millionen von Flensburg bis Garmisch. Aber nur nicht verzweifeln. Auf den Text kommt’s an, es kommt immer auf den Text an. Also beide Briefe beginnen mit Lieber Lehrer.“

      „Wer hätte das gedacht?“

      „Ja, ja genau. Ich muss schon sagen, verdammt exquisites Papier.“

      „Lassen wir das Papier. Was ist mit dem Text?“

      „Also er benutzt sehr große Worte. Vermutlich ein gebildeter Bursche.“

      „Großartig!“

      „Was machen Sie also aus Kampf ums Leben? Ich hatte gehofft, sie könnten mir…“

      „Wissen Sie, woran mich das erinnert?“

      „Nein“, sagte Max milde und müde. „Woran erinnert es Sie?“

      „Amerikaner.“

      „Wie?“

      „Ja, Kreationisten. Glauben nicht an Darwin, meinen der Allgegenwärtige, unappetitlicher Gedanke im Übrigen, sei für die ganze Chose verantwortlich.

      „Gut, das ist alles ganz schön und…, aber…“

      „Jaja, sorry! Also der olle Darwin meinte ja, aber das werden Sie ja wohl wissen. Also versteht unser Mordbube was von Biologie, wenn er meint, nicht der Überlebenskampf sei der Motor, sondern Macht sei es, die uns antreibe. Der Wille zur Macht. Das sollte die Möglichkeiten ein bisschen zurechtstutzen.“

      „Gut, es war sehr nett von Ihnen, mir zu helfen, Herr - Ruckzuck!“

      „Ruckfang, Leo Ruckfang. Also ich sage Ihnen eines über den Burschen, er mag keine Lehrer, stimmt’s?“

      „War’s das?“

      „Doch doch, da gibt es noch was. Wir haben unsere Computer befragt, ob jemand etwas über Lehrer an den PR geschrieben hat in den letzten 12 Monaten.“

      „Und?“

      „Nein! Wenn das nicht verdächtig ist. Das Einzige, was ich gefunden habe, aber…

      „Nun?“

      „Wir haben eine Sendung gemacht über Lehrer, über ihre Sogen und Nöte, über ihre Belastungen, über Burn-out und Suizid. Eine wohlwollende Sendung. Darauf hat es einen Beschwerdebrief von einem Politiker gegeben.“

      „Welcher Politiker?“

      „Einen Moment, ich hab’s hier irgendwo. Ah ja, Gero Creme-Peierstorf, von gehört?“

      „Worüber hat er sich beschwert?“

      „Ich zitiere: Ihr wisst doch ganz genau, was das für faule Säcke sind.“

      Neun

      Guido war nicht unbedingt ein sexuelles Genie. Er gehörte zu den Männern, die ihren Freunden bedauernd sagen mussten, nein, sie hätten kein Päckchen dabei und wüssten auch nicht, ob es einen Automaten auf der Toilette gäbe. Und was sollte er sagen, wenn ein Freund ihm vertraulich zuflüsterte: „Ich glaube da läuft was, du weißt ja, wie das ist.“ Nun, wie war das? Wie war das möglich, dass die Freunde nach einer Stunde des Kennenlernens sagen konnten, dass man noch auf ein Glas Milch in die Wohnung der Frau geladen würde. Sicher, so Vorstellungen, die hatte er schon, war ja nicht doof, konnte ja lesen und fernsehen. Theoretisch hatte er die Einzelheiten sogar in einem erstaunlich frühen Alter gemeistert. Aber die Praxis, mit der Praxis da haperte es gewaltig, die war ein chronisches Desaster.

      „Ich mag dich