Sex & Gott & Rock'n'Roll. Tilmann Haberer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tilmann Haberer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742779045
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ihn nicht glücklich. Ein Kind konnte er managen, aber zwei? Wenn Gabi weiterhin in solcher zielloser Hektik herumwirbelte, ohne sich wirklich um den Haushalt und das Kind zu kümmern?

      Aber es kam ganz anders. Als ob das Ergebnis des Schwangerschaftstests einen tiefen Schatten über ihr Leben geworfen hätte, zog Gabi sich zurück. Sie stand morgens nicht mehr auf; wenn er das Haus verließ, um ins Büro zu gehen, legte er Lukas zu ihr ins Bett. Und mehr als einmal kam es vor, dass sie abends, wenn er nach Hause kam, schon wieder im Bett lag. Oder immer noch? War sie gar nicht aufgestanden? Meistens stand das Frühstücksgeschirr noch auf dem Tisch, es war nichts eingekauft und nicht geputzt.

      Hannes versuchte möglichst pünktlich heimzukommen, packte dann Lukas wie üblich in den Buggy. Nur ging er jetzt nicht mehr einfach um den Block, sondern erst mal einkaufen. Dann kochen. Dann Luki ins Bett bringen. Dann noch eine Trommel Wäsche waschen, die Wäsche von vor drei Tagen vom Ständer nehmen, bügeln, wegräumen. Gabi saß die meiste Zeit auf dem Sofa, die Hände schützend auf den wachsenden Bauch gelegt, und schaute vor sich hin. Er verstand die plötzliche Veränderung nicht, die mit ihr vorgegangen war. Sie war passiv und lethargisch, und auch nachts war plötzlich nichts mehr geboten. Sie schien oft schlaflos wach zu liegen, doch er durfte sie kaum berühren. Jede vorsichtige Annäherung, aus der eine liebevolle Umarmung hätte werden können, wehrte sie ab.

      Die plötzliche Enthaltsamkeit machte ihm schwer zu schaffen. Er fühlte sich zu jung, um ganz ohne Sex zu leben. Und es war nicht nur die natürliche Geilheit eines jungen Mannes. Er liebte Gabi, auch wenn sie es ihm schwermachte. Das war ja das Verrückte. Zwar hatte die Begegnung mit Jeannie die alte, törichte Leidenschaft neu in ihm entfacht, doch wäre er wohl rasch darüber hinweggekommen, hätte nicht Gabi die Erinnerung ständig wachgehalten. Er hätte Jeannie zwar nicht vergessen, das nicht. Aber er war sicher, dass seine Liebe zu Gabi echt und tief war und von einem anderen Stern als das, was ihn einmal zu Jeannie hingezogen hatte. Gemeinsam hätten sie es geschafft, hätten über seinen Seitensprung, diesen vermaledeiten Ausrutscher, gemeinsam geweint und dann gelacht. So aber war das nicht möglich. Auch wenn Gabi nicht mehr von Jeannie sprach, sie war immer gegenwärtig, mehr in Gabis Fantasien als in seinen.

      Er sagte sich: Lass sie, solange sie schwanger ist, geht halt nichts. Obwohl während der ersten Schwangerschaft durchaus etwas gegangen war. Die gedrückte Stimmung zu Hause war schwer auszuhalten, und sooft er konnte, ging er mit Luki nach draußen. Er erzählte ihm alles und war froh, dass der Kleine sich am Klang seiner Stimme erfreute, ohne ein Wort zu verstehen. So wurde sein Sohn bei diesen langen Spaziergängen zum Beichtvater. Er hörte die Klagen über die plötzliche Frigidität seiner Mutter, hörte Litaneien über die wundersame wilde Fantasiegestalt, die Zauberin Jeannie, hörte Vorträge über Schuld und Sühne, über Versagen und Vergeltung, hartherziges Festhängen im Alten und über die Sehnsucht nach einem Neuanfang. All das vorgetragen in halblautem Ton, sobald andere Menschen auf den Wegen waren, und auch mal ziemlich lautstark, wenn sie die Einzigen waren, die im Nieselregen durch die Dämmerung zogen.

      Judith kam im Oktober in einer stürmischen Nacht zur Welt, die Straßen nass vom Regen, die Fahrbahn kaum zu unterscheiden unter dem sich türmenden Laub der Linden und Kastanien, ein würziger Duft hing in der feuchten Luft, zwischen fliegenden Wolken trat ab und zu für Augenblicke ein erstaunlich gelber Mond hervor. Gabis Mutter war in Rufbereitschaft, und als die Wehen so stark wurden, dass sie in die Klinik mussten, kam sie herüber, um Luki zu hüten. Judith hatte sich im Geburtskanal verklemmt und kostete ihre Mutter schier unendliche Kraft und Schmerzen, bevor ein Kaiserschnitt beschlossen wurde. So betrat sie diese Welt ganz anders als ihr Bruder, der fast im Sturzflug gelandet war, trug von ihrem gefährlichen Start ins Leben aber keinen erkennbaren Schaden davon.

      Wenn Hannes später an die ersten Monate mit den zwei kleinen Kindern dachte, wusste er nicht mehr zu sagen, wie sie es geschafft hatten. Ohne Oma Hildegard wäre es nicht gegangen. Gabi erholte sich nur schwer von der Operation. Sie lag fast die ganze Zeit auf dem Sofa oder im Bett, schaute in die Luft, sprach kaum ein Wort, nicht einmal mit ihrer Mutter. Immerhin konnte sie Judith stillen, drei Monate lang, dann musste die Kleine auf das Fläschchen umstellen. Hannes rotierte zwischen Windeln, Fläschchen und Gläschen, zwischen Stramplern, Beißringen und ersten Duplo-Bausteinen, die Luki strategisch in der Wohnung verteilte. Oma Hildegard war fast täglich bei ihnen und zwischen ihr und ihrem Schwiegersohn entwickelte sich etwas wie ein stilles Einverständnis. Hildegard war fassungslos, dass ein junger Mann sich so im Haushalt und für die Kinder engagierte, und sparte nicht mit Anerkennung, während Gabi alles für selbstverständlich zu nehmen schien.

      Nach drei, vier Monaten stand sie wieder auf. Die Operationsnarbe war verheilt, Hannes erwartete im Stillen, dass das eheliche Leben jetzt wieder etwas spritziger würde. Doch er hatte sich getäuscht. Gabi schien ein vollkommen geschlechtsloses Wesen geworden zu sein, auch wenn sie ihm mit ihren blonden Locken und der sportlichen Figur nach wie vor hinreißend und begehrenswert vorkam. Ja, Hannes begehrte seine Frau, er liebte sie, und gleichzeitig wurde diese Liebe immer frustrierter und verzweifelter, weil so offenkundig nichts zurückkam. Nichts.

      Eines Abends, als die Kleinen endlich schliefen und Oma Hildegard nach Hause gegangen war, hielt er es nicht mehr aus. Von hinten trat er zu Gabi, die am Schreibtisch saß und seit zwanzig Minuten auf dieselbe Seite ihres Buches starrte. Er legte ihr die Hand auf die Schulter, küsste ihren Scheitel, und obwohl sie erstarrte, hörte er nicht auf, sie zu küssen, er küsste ihr Ohr, ihren Hals, sie rührte sich nicht. Er versuchte sie um die Taille zu fassen, da schlug Gabi eine Hand mit einer raschen, heftigen Bewegung weg. „Lass mich in Ruhe, du geiler Bock“, stieß sie zwischen den Zähnen hervor.

      „Gabi“, sagte er, ernüchtert. „Gabi, ich bin dein Mann, ich liebe dich, ich möchte einfach nur…“

      Sie fuhr herum. „Und ich möchte nicht.“ Böse funkelte sie ihn an. „Ich möchte nicht, dass du mich für deine Triebabfuhr benutzt!“

      Triebabfuhr? Was war das denn für ein Wort!

      „Meinst du, ich hätte nicht gemerkt, dass du immer, wenn wir miteinander geschlafen haben, an sie gedacht hast, an deine große Liebe, mit der du mich betrogen hast?“ Ihre Miene war so hasserfüllt, dass er erschrak. „Meinst du, ich hätte es dir abgenommen, dass du mich meinst? Die ganze Zeit war ich nichts als ein Ersatz, ein schwacher Ersatz für Die Eine, für deine blöde Jeannie“ – sie hat den Namen ausgesprochen! – „für dieses Flittchen, dieses elende!“

      Ihr Ausbruch nach so vielen Monaten, in denen sie nur depressiv geschwiegen hatte, traf ihn völlig unvorbereitet. Er schnappte nach Luft. „Gabi…“ Weiter kam er nicht. Sie war aufgesprungen, stand ihm nun gegenüber, die Fäuste geballt. Gleich schlägt sie mich wieder.

      „Gabi…“ Wie macht man das jetzt mit der Deeskalation? „Gabi, ich weiß, ich habe dir furchtbar wehgetan. Es tut mir leid, das habe ich dir schon tausendmal gesagt und ich sage es dir noch tausendmal, wenn du es hören willst. Es tut mir wirklich, wirklich leid, und ich würde es so gern wiedergutmachen. Aber du lässt mich ja nicht. Du bist es doch, die immer wieder diese unselige Geschichte hervorzieht. Lass es doch endlich! Sieh mich doch einfach einmal an. Mich, wie ich jetzt vor dir stehe, und nicht als den, der vor zwei Jahren einmal etwas schrecklich Falsches gemacht hat.“

      Bittend streckte er seine Hände nach ihr aus. Und sagte es auch: „Bitte!“ Wie sehr muss ich mich erniedrigen, bis sie vernünftig wird?

      Sie ignorierte die Demutsgeste, die Bitte um Verständigung, wenn schon nicht Versöhnung.

      „Du bist nichts als ein Betrüger, ein dreckiger Ehebrecher, und deswegen: Lass deine Finger von mir. Hast du mich verstanden?“

      Einmal noch versuchte er es. „Gabi, lass uns doch bitte einmal in Ruhe reden. Hör mir doch bitte einmal zu. Ich liebe dich, ich will dich, ich meine dich, nur dich, und was damals vor zwei Jahren war, das würde ich so gern ungeschehen machen. Lass es doch bitte endlich ruhen, lass uns sehen, was jetzt ist, und nicht, was damals war. Jetzt sind wir hier, du und ich, und ich liebe dich, und du bist meine Frau und die Mutter meiner Kinder. Können wir nicht in Frieden miteinander leben?“

      Sie