„Bhagwan öffnet das Fenster und wir schauen hinaus. Nicht mehr und nicht weniger. Natürlich ist es okay und auch sinnvoll, Orange zu tragen. Und wenn ich hier raus bin, wenn ich in die Kommune gehe oder ins Zorba The Buddha oder zur Meditation, trage ich natürlich auch orange Klamotten und die Mala. Aber hier muss ich das nicht.“
So ganz konnte sie es noch nicht annehmen. „Puh, das kommt ein bisschen plötzlich. Irgendwie kommt es mir doch nicht ganz richtig vor, wenn wir uns so einfach über Bhagwans Vorschriften hinwegsetzen.“
Prakash schüttelte heftig den Kopf. „No, Baby, wrong! You’re totally wrong. Bhagwan macht keine Vorschriften. Er befreit dich. Das ist alles. Das ist sein ganzes Bestreben. Er ist erleuchtet und er will, dass wir auch die Erleuchtung finden. Und dazu ist es notwendig, dass du meditierst und seine Lectures anhörst und Therapie machst, aber das alles machst du, weil du eingesehen hast, dass es sinnvoll und notwendig ist. Nicht, weil Bhagwan es sagt.“
Sie schaute wohl immer noch ziemlich skeptisch drein, deswegen fuhr Prakash fort. „Bhagwan wird immer als Sektenführer bezeichnet. Aber das ist er eben genau nicht. Wir sind keine Sekte. Ach, was rede ich, das weißt du ohnehin. Jim Jones hat gesagt: Kommt mit mir in den Tod, und seine Sektenmitglieder sind ihm gefolgt. Das musst du dir mal geben: Neunhundert Menschen! Alle tot. Bhagwan würde so etwas nie sagen. Und wenn, dann würde er erwarten, dass alle sagen: Bhagwan, jetzt bist du verrückt geworden. Und er würde sich scheckig lachen und sagen: Fast hätte ich euch drangekriegt!“
Sharani fand Prakash respektlos. Aber dann wurde ihr klar, dass Bhagwan nie den Respekt einforderte, den irgendein Papst oder Bischof einfordern würde. Prakash hatte Recht. Es ging um die Freiheit, in allen Lectures, in allen Therapiegruppen: Set your mind free! Darum ging es, um nichts anderes.
„Was sagen die in der Kommune dazu?“, wollte sie noch wissen.
Prakash machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach was, natürlich gibt es Dogmatiker, die jedes Wort von Bhagwan nachbeten. Aber die haben’s nicht begriffen, finde ich. Aber gut, es hat keinen Sinn, mit denen zu streiten. Deswegen trage ich eben Sannyas, wenn ich in die Kommune gehe, und hier im Krankenhaus nicht. Schließlich will ich Menschen helfen und nicht Recht behalten.“
Dieses Argument stach. Ja, auch ihr Ziel war es, Menschen zu helfen. Und wenn die orangen Klamotten sie daran hinderten, war es ganz in Ordnung, sie abzulegen. Sie wollte aus Bhagwan keinen Popanz machen, der unumstößliche Gesetze erließ, die penibel einzuhalten waren. Das war ja das genaue Gegenteil von dem, was Bhagwan wirklich wollte. Diese Lektion hatte sie begriffen.
Katharina wälzte sich auf die andere Seite. Ja, so hatte es damals mit Prakash angefangen. Dass er sechs Wochen später ihretwegen Gyanavati verlassen, drei Jahre mit ihr zusammenleben würde, war bei diesem ersten Treffen nicht abzusehen. Das Entscheidende war doch, wie er ihr die Augen geöffnet hatte. Wie er sie davor bewahrt hatte, Bhagwan zum Verkünder eines neuen Dogmas zu machen.
13
„Hannes? Lebst du noch?“ Gabi gab sich Mühe, humorvoll und ungezwungen zu klingen, aber er spürte in ihrer Stimme deutlich die Ungeduld. Gute Frage. Lebe ich noch? Ein paarmal an diesem Tag hatte er sich schon gewünscht, tot umzufallen. Nicht beim Ja-Wort, das hatte er mit allem Ernst gesagt, der ihm möglich war. Und, ja, mit aller Aufrichtigkeit, zu der er fähig war. Aber bei all den vielen Glückwünschen, bei all den Bemerkungen, dass nun endlich das Leben zu zweit anfing, dass er sich glücklich schätzen dürfe, diese Frau gewonnen zu haben. Ja, er schätzte sich glücklich, Gabi war eine tolle Frau. Wenn er nur Jeannie nicht wieder begegnet wäre.
Ewig kannst du hier nicht drin bleiben! Er zog die Hosen hoch und schloss die Klotür auf. Gabi stand im Gang, mit ihrem bodenlangen, blütenweißen, schulterfreien Hochzeitskleid und sah ihn missmutig an. „Wo steckst du so lange! Es ist unsere Hochzeitsnacht.“
Er ging auf Gabi zu, küsste sie, legte die Hände auf ihre nackten Schultern, küsste ihren Hals. Sie entzog sich ihm, packte seine Hand, zog ihn ins Schlafzimmer. Dort angekommen, drehte sie ihm den Rücken zu. „Hilfst du mir?“, fragte sie. Und während er das Häkchen öffnete, den Reißverschluss im Rückenteil des Kleides herunterzog, während er sah und hörte, wie das Kleid zu Boden raschelte, wie sie sich nun zu ihm drehte, in einem Spitzen-BH, ebenso blütenweiß wie das Kleid, und einem Slip aus weißer Spitze, da überkam ihn doch eine Erregung, ein Verlangen. Ja, er liebte Gabi, doch, auf jeden Fall. Er war nur vollkommen durcheinander durch diese Begegnung mit der dreimal vermaledeiten Hexe Jeannie. Er wollte Gabi, er hatte sie immer gewollt, die ganzen zwei Jahre seit ihrem gemeinsamen Marsch durch den strömenden Regen.
Gabi ließ sich aufs Bett fallen, legte sich zurecht. Winkte ihn mit einer kleinen Bewegung aus dem Handgelenk zu sich. „Komm!“
So schnell er konnte, sprang er aus seinen Kleidern. Legte sich zu ihr.
Mit der Wucht eines Orkans kam sie über ihn, schleuderte sich ihm entgegen, empfing ihn mit dem aufgestauten Begehren eines Lebens in Enthaltsamkeit. Zwei Jahre hatte sie sich ihm verweigert, doch jetzt saugte sie ihn förmlich auf, für einen Moment kam er sich vor wie das Spinnenmännchen, das vom Weibchen beim Akt verschlungen wird. Er ließ sich fallen, versuchte alle Gedanken und Bilder, die sich aufdrängen wollten, zu verscheuchen. Küsste seine Frau wie wild, flüsterte ihren Namen, seufzte ihren Namen, rief ihren Namen, immer wieder ihren Namen, schrie ihn, ritt mit ihr den Todesgalopp, als hätte Kara ben Nemsi seinem Rappen die Hand zwischen die Ohren gelegt und Rih gerufen. Gabi! Sie war ein Vulkan, eine Naturgewalt, und er verlor jeden Gedanken, jede Erinnerung, kam mit einem lauten Schrei, doch sie entließ ihn nicht, riss ihn in die nächste Runde, bis er völlig erschöpft über ihr zusammenbrach. Und während sein Puls sich allmählich normalisierte, sein Atem zurückkehrte, er sie in den Armen hielt und sie sich an ihn drängte, spürte er, wie seine Schulter nass wurde, wie sie zu zittern begann, sich ein gewaltiges Schluchzen aus ihrer Kehle drängte.
„Bin ich so gut wie sie?“
Mit einem Schlag war die Erinnerung wieder da, lag Jeannie zwischen ihnen. Er hatte sie erfolgreich verjagt, doch Gabis törichte, angstvolle Frage hatte sie heraufbeschworen wie ein Medium bei einer spiritistischen Séance einen Geist ruft. Er antwortete nicht, versuchte stattdessen sie zu küssen. Doch Gabi wandte den Kopf ab. „Bin ich nicht so gut wie sie?“, beharrte sie.
Er wand sich. Wie sollte er die beiden Frauen vergleichen! Dort Jeannie, die er vergessen wollte, die ihn zehn Jahre seines Lebens gekostet hatte, und hier Gabi, seine rechtmäßig angetraute Ehefrau, die ihn verzweifelt liebte und anscheinend meinte, die andere ausstechen zu müssen. Zu können.
„Gabi“, flüsterte er, „es gibt keine andere. Es gibt keinen Vergleich. Du bist wie du bist, und du bist meine Frau.“
Sie stieß ihn von sich, wie ein Fieberkranker die Daunendecke von sich stößt. „Weich mir nicht aus! Du findest sie besser als mich, stimmt’s?“
„Nein.“
Er wusste nicht, ob das gelogen war. Er konnte die beiden wirklich nicht vergleichen. Wie auch.
„Nein, Gabi. Sie ist nicht besser. Sie ist ein Phantom. Sie spielt überhaupt keine Rolle.“ Er achtete darauf, den Namen nicht auszusprechen, so wie Gabi ihn vermied, als ob sie sich materialisieren würde, wenn er sie rief. Die Dschinnin, die Zauberin. Die Hexe.
„Du verdammter Schuft!“ Gabi schlug mit den Fäusten nach ihm. „Du hast mich betrogen, mit so einem dahergelaufenen Flittchen, du Sau!“
Hannes erstarrte. Sie ist kein dahergelaufenes Flittchen. Aber er hütete sich, zu widersprechen. Sie ist… ja, was? Was war Jeannie noch für ihn?
Eine Erinnerung.
Ein Schmerz, tiefer als die Welt.
Und ich war mir so sicher, dass Gabi mich von