Niemand schaut in mich rein. Steffen Kabela. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Steffen Kabela
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753156514
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schaute und guckte, stand auf, setzte sich auf das Sofa, zog den Tisch an sich heran und fing an zu Schreiben. Mami schaute mich an und ich sie, Verwunderung machte sich breit. Dann klingelte ihr Handy, der Angetraute war am anderen Ende. Und genau diese Frage, die er jetzt stellte war falsch. Der Anschiss folgte unverzüglich und es wurde noch einmal nachgelegt. Zoff … passiert schon mal. Dann packte sie zusammen, legte mir die Rezepte hin und das war es. Jetzt wollte ich schon wissen, was los ist und fragte nach. Die Auskunft war kurz, präzise und knappgehalten „offene nässende Unterschenkel durch den hohen Zucker“. Der Zuckerwert war 6,1, da fehlten mir schon etwas die Worte. Ich wollte nun wissen, wie es weiter geht. Da bekam ich zur Antwort „Verbinden, das werden Sie schon schaffen.“ Schon war der Rauscheengel verschwunden, Mami und ich schauten leicht dusslig aus der Wäsche. Ich lief in die Apotheke und gab die Rezepte ab. Am nächsten Morgen ging ich wieder in die Apotheke und holte meine Ware ab. Die Apotheke fragte nach, wer die Verbände anlegen wird und ich sagte, dass ich das machen werde. Dem Apotheker blieb gleich der Mund offenstehen und ich berichtete von dem Hausbesuch. Meinen Bericht konnte er gut folgen, denn ganz ähnliche Berichte bekam er von vielen Kunden. Nun klärte er mich auf, dass ich die Kompressionsverbände nicht anlegen darf, die Wunde muss fachgerecht versorgt werden. Welche Wunde? Es gab keine Wunde. Nun schaute der Apotheker noch verwunderter aus der Wäsche. Ich rief die Schwester vom Pflegedienst an, welche die Pflegekontrolle bei uns durchführte, sie kam auch sofort und schaute sich alles an. Sie sah die roten Unterschenkel, allerdings keine offenen stark nässenden Beine. Sie wusste nicht , was sie machen sollte. Nun fuhr sie selber in die Praxis, denn sie benötigte noch eine Verordnung. Auch die Schwester hatte keine Erklärung, auch nicht die Erklärung, wie ich das machen sollte. Und ich machte bis jetzt alles für meine Mami, ohne Hilfe. Ich machte es vorsichtig und mit viel Liebe. Am Nachmittag kam die Schwester wieder zu uns und war richtig sauer. Das Praxispersonal behandelte die Schwester, wie eigentlich fast alle Schwestern, wie ein kleines dummes Mädchen. Ja, es sind offene stark nässende Unterschenkel, dass hätte sie diagnostiziert und gesehen. Kommt vom Zucker und muss verbunden werden. „Der Sohn wollte das doch machen“ – so ihre Worte und das war eine Lüge. Jetzt unterschrieb sie die Verordnung, gab sie der Pflegeschwester mit den Worten „So wie es da darauf steht ist es zu machen“. Auf die trockenen und feuerroten Unterschenkel wurden die verordneten Silikonkompressen gelegt , dann wurde mit Mullbinden verbunden und darüber wurden die Kompressionsbinden gebunden. Keine halbe Stunde hielt der Verband, er wickelte sich von innen her ab und viel einfach herunter. Am nächsten Morgen das gleiche Spiel. Keine Schwester sah die offenen stark nässenden Unterschenkel, verband sie trotzdem wie verordnet mit dem teuren Verbandsmaterial und ging. Eine halbe Stunde später vielen die Verbände wie von Geisterhand wieder ab. Es war ja Herbst, da fallen auch die Blätter von den Bäumen… die Verordnung war für zehn Tage ausgestellt. Die Unterschenkel veränderten sich nicht, Frau Doktor bestand auf ihre Sichtweise. Achtzehn Augen sahen keine nässenden Beine … ohne Worte. Ich war verzweifelt, zeigte es Mami aber nicht. Jetzt musste ich mir etwas einfallen lassen, wie das mit den Beinen weiter gehen soll. Mami ärgerte sich auch über den Auftritt der Hausärztin, so ist sie bekannt in der Stadt.

      Nun ist er vorbei, mein 58. Geburtstag. Es war ein ganz schlimmer Tag für mich. Es tat furchtbar weh. Meine Gedanken kreisten und ich grübelte in der Endlosschleife. Die größte Überraschung bereitete mir eine sehr gute Bekannte meiner Mami, eine sehr treue Seele, Frau Klein. Nach einer sehr schweren Krankheit und noch nicht genesen, lebt sie jetzt im Heim. Den Kontakt habe ich nie abreisen lassen. Und sie stand als Überraschung unten mit ihrer Tochter in der Haustür. Ich war sprachlos, es tat so gut sie zu sehen. Die Nacht zuvor hatte ich kaum geschlafen, bin von Raum zu Raum gewandert und den Tag überstand ich nur mit Beruhigungsmittel, werden ja gerne genommen laut einer absoluten Fachkraft, einem „Deppendoktor“. Die Tabletten standen mir bei, in der Folgenacht war ich ebenfalls wieder auf Wanderschaft. Ich finde keine Ruhe und auch nur sehr schlecht den notwendigen Schlaf.

      Und auch jetzt bin ich nur in Gedanken, in Gedanken bei meiner Mama und einer weiteren Odyssee vor 365 Tagen.

      Es war der 22. September ich musste wieder den Notarzt rufen. Der Rettungswagen kam aus dem kleinen und beschaulichen Krostitz, die beiden Sanitäter waren sehr nett. Der Notarzt aus Eilenburg sprach mit mir, dass meine Mama ins Krankenhaus muss. Aber wie…kein Rettungsstuhl auf dem alten Rettungswagen. Der Fahrer des Rettungswagens fand das auch nicht lustig, in Leipzig gibt es die neuen elektronischen Rettungsstühle, das Randgebiet hat teilweise die Rettungsstühle und auf dem „platten Land“ ein zarter Hauch von Nichts und nur alte Rettungswagen. Die Rettungsdecke kam zum Einsatz, Mami wurde dann nach unten gebracht mit Angst und Panik, Atemnot und Aufschreie. Das Ergebnis dieser Aktion waren Hautabschürfungen am Arm , Prellungen und jede Menge Angst. Das war dann mal eine richtig tolle Rettung, wie aus einem nordsächsischen „Leerbuch“. Ich weiß, wie Lehrbuch geschrieben wird! Da ich das Krankenhaus ausreichend kenne, fuhr ich sofort hinterher und ging in die Notaufnahme. Kurz darauf ließ mich die Schwester zu meiner Mama. Von da an, über 2 Stunden, war keine Schwester oder Arzt zu sehen, kein Notrufknopf vorhanden. Mami lag auf der Pritsche und ich stand die ganze Zeit neben ihr. Mami war die einzigste Patientin in einem Notfallzimmer, ein sogenannter Penner, wie die Schwester sagte, lag auf der Erde und schlief seinen Rausch aus im eigenen frischen Erbrochenem. Schwestern und Ärzte befanden sich in irgendeinem Raum und hatten sehr viel Spaß. Es gab nichts zu tun, sie lachten, hatten Spaß und die Kaffeetassen knallten auf den Tisch. Die Sonne schien meiner Mami schon auf den Kopf, ich sorgte dafür, dass es ihr nicht zu warm wurde. Sie schlief ganz ruhig, wachte immer wieder auf, sah mich an und schlief zufrieden wieder ein. Meine Mutti bekam wieder Luftnot. Klingeln zwecklos, es gab ja keine Klingel. Ich rief nach einem Arzt. Es geschah nichts. Ich rief lauter. Nach ein paar Minuten kam dann auch die Ärztin und in diesem Augenblick sah ich, dass die Sauerstoffbrille zwar auf der Nase war, aber nicht angeschlossen am Wandanschluss. Daraufhin fragte ich die Ärztin, was das für eine Brille auf der Nase sei, natürlich ironisch. Sie sprach „Für die Beatmung“ . Ich: „Sie sind wohl ein ganz modernes Krankenhaus und verabreichen Sauerstoff digital“. Ein skeptischer Blick und ein „nein“. Dann schickte ich ihren Blick auf Reisen, Richtung Schlauch und Anschluss, dass dieser gar nicht angeschlossen sei. Sie steckte den Schlauch auf den Anschluss und meinte nur dazu, dass die Schwestern das wohl vergessen hätten. Diese Halbgöttin in Weiß sagte doch dann ernsthaft zu mir, „Schauen Sie mal, der Sauerstoffgehalt steigt wieder“ … wie das wohl kommt?!?! Der Rauscheengel rauschte wieder zu ihrer Kaffeetasse zurück. Einige Zeit später rückte sie an zum bürokratischen Akt. Das ist wichtiger wie ein Mensch und ein Menschenleben. Über den „Penner“ stiegen die Schwerstern einfach hinweg. Frau Doktor drückte zwischendurch einmal kurz den Button auf dem Überwachungsmonitor zum Blutdruckmessen. Sie teilte uns dieses auch mit. Ich schaute Mami an, sie war jetzt wach. Das Gerät brummte und schickte Druckluft auf die Manschette, nur Mami hatte keine Manschette am Arm. Beide grinsten wir uns an. Das hochmoderne digitale Gerät hatte keinen Blutdruck zu bieten. Also noch einmal , Knöpfchen drücken und warten. Auf einmal erspähte ich, wie sich neben dem Monitor der Papierstapel bedrohlich erhob. Frau Weißkittel erkannte die Lage nicht, natürlich nicht, sie war ja digital vernetzt! Der Erfolg blieb leider wieder aus. Daraufhin sprach ich „Zuhause machen wir das anders. Da haben wir so eine Manschette, die legen wir um den Arm, drücken so einen großen grauen Knopf und messen. Das klappt fast immer, ich weiß, Sie sind moderner und messen auch den Blutdruck lieber digital“. „Hier ist das wohl nicht so?“ - meine Frage. „Doch“ – sprach die promovierte Ärztin, hier ist das auch so und merkte noch nicht einmal meinen Zynismus und sprach „Da habe die Kollegen doch den Blutdruck vergessen anzuschließen“ und tat es rasch Es war ja nur die Notaufnahme, alles kein Problem für eine Ausbildungsstätte einer großen Uniklinik unweit von diesem Krankenhaus. Nach diesem Prozedere kam Mami wieder auf Station und genau in das Zimmer, wo unser Papscher eingeschlafen war und für immer von uns gegangen ist. „Sonntag schieben wir hier doch keine Betten um“ – so die Aussage der Schwester von der Station 3, nach meinem Einwand. „Die wird´s schon überleben“. Am nächsten Tag begann der Krankenhausaufenthalt auf einer anderen Station, der 5 und wieder wurde Wasser aus dem Körper ausgeschwemmt. Nun müssen wir wieder abwarten, Hoffen und Bangen. Und das tat ich auch. Mami tat mir so unwahrscheinlich leid. Ich hoffte und bangte sehr, war die gesamte Besuchszeit und darüber hinaus bei ihr, an ihrem Bett und bei meiner Mama. Sie brauchte meine Hilfe, auf die Hilfe vom Fachpersonal brauchte keiner