Niemand schaut in mich rein. Steffen Kabela. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Steffen Kabela
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753156514
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wir, warum immer ich, warum schon wieder? Wegen dem Virus verfügte die Sächsische Corona-Verordnung über das Tragen der Mund-Nasen-Maske in Öffentlichen Verkehrsmitteln und beim Einkauf. Mich betreffen nur der Einkauf, Bus und Bahn kann ich wegen meiner Krankheit nicht benutzen. Ich ging bereits im Supermarkt zu Boden und lag unter den Kartoffeln und im Discounter fiel ich einfach um und der Einkaufswagen begrub mich, weil es mir schwarz vor Augen wurde durch Atemnot und Panik. Ich sehe die Notwenigkeit ein und versuche eine Maske zu tragen, sehr oft unter der Nase. Ich bin im Besitz eines Schwerbehindertenausweises. In der Verordnung des Staatsministeriums steht geschrieben, dass mich der Schwerbehindertenausweis berechtigt, die Maske nicht zu tragen, wenn ich dazu nicht in der Lage bin. Bin ich in der Lage, dann trage ich sie auch über dem Mund, nicht über der Nase. Und weil ich den Ausweis besitze, bekomme ich keine Befreiung vom Arzt. So ist es vom Staat gewollt. Von einem Mitarbeiter des Ordnungsamtes, so stand es jedenfalls auf seiner Uniformjacke, wurde ich aufgefordert, die Maske über die Nase zu ziehen. Ich widersprach und händigte ihm meinen Schwerbehindertenausweis aus. Das interessierte ihn nicht, er wollte die Corona - Befreiung vom Arzt sehen. Dieses Attest konnte ich nicht nachweisen. Da ich der Aufforderung mit der Nasenbedeckung nicht nachkam, forderte er meinen Personalausweis und notierte sich meine Daten für die Ausfertigung einer Anzeige. Ich rief das Gesundheitsamt in der „Faultierfarm“ an, dort erhielt ich die Auskunft , der Schwerbehindertenausweis reicht für den Beweis der Maskenbefreiung. Was ist denn nun hier richtig? Was soll das wieder? Nun warte ich gespannt auf die Anzeige des Amtes. Keiner weiß was das soll, aber alle machen mit. So vergehen die Tage. Die letzten warmen Sonnenstrahlen erreichen uns und die Bäume beginnen langsam ihr Laub zu färben. Damals konnte es mich daran erfreuen. Heute funktioniert das nicht. Was ist Freude, ich weiß es nicht mehr. Ich habe es verlernt, mich zu freuen.

      Ich bin sehr traurig und gestern war nichts mit mir los. Ich bekam große Angst und viele Weinattacken hintereinander. Meine Gedanken spielten verrückt … die Gefühle übermannten mich, sie mussten aus mir raus. Hilfe dabei habe ich leider keine mehr, ich bin auf mich selbst gestellt. Wir durften immer zur Hilfe bereit sein und haben es auch sehr gerne getan. Ich muss mit mir selbst klarkommen, das macht mich sehr traurig. Es muss so weitergehen … egal.

      Es ist sehr schwer und tut mir auch furchtbar zusätzlich noch weh. Wenn mein Körper auch etwas anderes sagt, ich bleibe nicht einfach so liegen, ich stehe auf und mache weiter. Das bin ich meiner Familie schuldig. Einfach Aufgeben ist auch nicht meine Art, ich musste immer kämpfen, habe immer gekämpft und kämpfe auch jetzt. Ist das ein Scheiß Spiel!

      Und es geht immer so weiter, die Gedanken sind frei und kreisen im Kopf herum. Vor einem Jahr kam Mama wieder aus der Klinik nach Hause. Der Arztbrief berichtete von über 12 Liter Wasser, was aus dem Körper ausgeschwemmt wurde. Mama war einfach nur glücklich wieder zu Hause zu sein, sie lebte förmlich auf. Ich war genau so glücklich und kümmerte mich nun auch wieder rund um die Uhr um sie. Dank und Lohn für meine Arbeit war ihr zufriedenes und glückliches Lächeln. Der Weg bis zu diesem erneuten Lächeln war wieder sehr steinig. Ich kann das alles nicht verstehen und verarbeiten, auch nicht nach einem Jahr. Alles wurde für die Entlassung vorbereitet und angegeben. Für Vormittag war die Entlassung geplant und bestätigt wurden vom Deutschen Roten Kreuz, alles wie immer. Wir waren erfahren und erprobt und wussten, dass wieder alles schief gehen wird. Und so kam es auch. Die Abholung im Krankenhaus erfolgte am Nachmittag, natürlich ohne den bestellten Rettungsstuhl, den Treppensteiger, von zwei Rettungssanitätern, einer Frau und einem Mann. Beide klein und zierlich, die Sanitäterin war nach eigenen Angaben nicht aus von hier. Nun standen sie im normalen Transportstuhl vor der Haustür und bekamen Mama nicht die 40 Stufen nach oben. Der Rettungsstuhl wurde nachgefordert über die Leitstelle, allerdings der befand sich auf einem Rettungswagen in Schkeuditz und genau da lag das Problem. Die junge Sanitäterin telefonierte und bekam die Antwort „Nein wir kommen nicht, da muss die Alte schon hochlaufen oder ihr bringt sie zurück auf Station, wir haben Feierabend“ – sie war sprachlos und fragte mich ob das hier immer so sei. Von mir gab es ein klares JA als Antwort. Nun wurde auch wie schon mehrere Male die Feuerwehr zur Hilfe gerufen. Allerdings musste meine Mami nun auf die Toilette, sie hatte ja Wassermittel bekommen. Ich lief hoch und holte den Toilettenstuhl herunter. Den stellte ich vor die Treppe, zog Mami die Hosen herunter und setzte sie auf den Stuhl. Natürlich war auch Besucherverkehr im Haus. Fassungslos schüttelten die Leute den Kopf und auch der Kommentar „Armes Deutschland, was machen die nur mit den kranken Menschen!“ - und da kann ich auch wieder nur Recht geben. Nach über einer Stunde Wartezeit im Hauseingang und mehreren Toilettenstuhlbesuchen kam der Oberhäuptling der Feuerwehr vorgefahren und begutachtete unfreundlich und schlecht gelaunt die Lage. Jetzt kamen die Rettungskräfte im Löschfahrzeug angerückt, 8 Feuerwehrleute an der Zahl und der Einsatz begann. Zwei schmächtige junge Kameraden nahmen den Transportstuhl des Roten Kreuzes und trugen Mami ohne abzusetzen 40 Stufen hinauf in die Wohnung. Die anderen Feuerwehrkameraden und 2 Sanitäter liefen mit den Händen in den Taschen hinterher. Niemand von denen brachte den Toilettenstuhl mit nach oben, ich lief ihnen dann hinterher und holte den Stuhl wieder hoch. Danke Kameraden, kann man da nur sagen, aber alles Scheißegal … Mami war wieder bei mir und wir waren wieder zusammen.

      Mein Buch ist veröffentlicht, als Buch und auch als elektronisches Buch. Jetzt wäre Zeit, richtig stolz darauf zu sein und sich zu freuen. Und wie ist das? Diese Frage stelle ich mir. Freude, weiß ich nicht, wie das geht und was das ist. Stolz darauf – wie fühlt sich das an? Ich verspüre nur die Leere und es tut sehr weh, alles noch einmal zu durchleben. Es sollte helfen, meinen die Spezialisten. Ich verspüre nur die Trauer und den Schmerz. Ich gebe trotzdem nicht auf und kämpfe weiter. Die schlaflosen Nächte nutze ich auch mit, einen weiteren Entschluss umzusetzen. Ich machte mich an ein weiteres Projekt, ein Kochbuch mit den schönen Rezepten aus unserer Küche. Aber auch unsere Familientraditionen durften nicht zu kurz kommen. Auch unsere Familiengeschichte schrieb ich nieder. Aus einem Projekt sind jetzt drei Projekte geworden. Das Kochbuch ist auch schon veröffentlicht und heute habe ich unsere „Familiengeschichte“ auf den Markt gebracht. Heute hat mein Onkel Fritzer Geburtstag. Er wäre heute 95 Jahr alt geworden, Mamis Bruder. Und mein letztes Projekt als Autor wird dieses Tagebuch sein. Das ziehe ich noch durch...auch für Fritzer.

      Von Tag zu Tag werde ich unruhiger. Mein 58. Geburtstag steht vor der Tür. Es ist der erste Geburtstag, den ich ganz alleine verbringen werde, ohne meine kleine Familie, ohne meine Mama. Vor diesem Tag graut mir. Es ist ein Sonntag und ich werde kaum zu Hause verbringen. Es ist ein goldener Herbst, für mich nur trist und dunkelgrau. Ich werde mehrmals an unser Grab gehen und zu den anderen Gräbern auf den Friedhöfen in Wiedemar und Radefeld fahren. Ja, es quält mich sehr, ist aber nicht zu ändern. Es warten noch viel schlimmere und schrecklichere Tage auf mich. Seit Omis Tod gab es keine Geburtstagsfeiern mehr bei uns, das werden in wenigen Wochen 30 Jahre. Und seit Papis Tod tranken wir nur noch im engsten Kreis Kaffee und aßen Kuchen. Ich möchte fortan nichts mehr machen, es ist ein Tag wie jeder andere und doch anders.

      Ich stehe nur mit wenigen Menschen in Kontakt. Zu einer guten Bekannten meiner Mama stehe ich im telefonischen Kontakt. Das sollte sich nun ändern. Der Gedanke daran war schon furchtbar, aber ich wagte es und machte den Termin für den nächsten Nachmittag fest. Je näher die Zeit heranrückte, wurde ich immer unruhiger und rastloser. Von den „gerne genommen“ – Pillen schoss ich mir welche ein und wagte das Unterfangen. Mit den Pillen war der Nachmittag schön, aber dieser Ausflug machte mich sehr traurig und noch unruhiger. Alles kam in mir hoch. Bald eine Woche später habe ich daran immer noch zu tun – Angst und Panik sind meine ständigen Begleiter nach wie vor. Nun weiß ich aber, dass mir solche Ausflüge nur sehr schlecht bekommen, also werden die ab sofort unterbleiben.

      Mein Grübelzwang ist allgegenwärtig. Letztes Jahr, genau zur gleichen Zeit, bekam meine Mama rote Unterschenkel. Eines Morgens war über Nacht eine Stelle am rechten Schienbein zu sehen. Ich konnte es beobachten, da ich früh Mami die Kompressionsstrümpfe im Bett anzog und am Abend sie ihr vor dem allabendlichen Waschen wieder auszog. Innerhalb weniger Tage waren beide Unterschenkel so rot, dass ich es mit der Angst zu tun bekam. Ich verständigte unsere Hausarztpraxis und bat um einen Hausbesuch. Am frühen Nachmittag kam auch unsere Hausärztin zum Hausbesuch. Sie war übel gelaunt, das war deutlich zu spüren. Sofort wollte sie die Unterschenkel sehen, ich zog Mami die Kompressionsstrümpfe aus. Hätte ich die Kompressionsstrümpfe schon früher ausgezogen, dann hätte