Totenwache 2.Teil. Tonda Knorr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tonda Knorr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742795571
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Schreck folgte unbeschreibliche Wut. Ihr geschultes Polizeigehör konnte sofort ermessen, wie weit sich derjenige zu dem die Stimme gehörte, von ihr entfernt befinden musste. Sie war sich sicher, dass das genau der richtige Abstand sei um gleich auszuholen.

      Noch während Sarah sich mit dem Gedanken befasste, war ihr der Körper schon voraus. Aus einer kurzen Körperdrehung heraus streckte sich unter dem entsetzten Blick von Frank ihr Arm zu voller Länge aus und Sarahs geballte Faust landete in dem Gesicht, das zu dem hünenhaften Kerl gehörte, der Sarah vorsichtig angesprochen hatte. Im Nu war es mucksmäuschenstill. Kein Gerede, kein Telefongeklingel, kein Nichts. Ruhe im ganzen Foyer und alle starrten sie an. Keiner hatte einen Blick für den Kerl, der gerade von einer fast um einen Kopf kleineren Frau mit einem einzigen Fausthieb dahingestreckt wurde. Ruhe. Sarah hasste Ruhe. Schon mal, weil sie das laute Klicken der Zeiger vernahm, welche ihr Wissen ließen, dass es gleich 12.00 Uhr sein musste und der Polizeidirektor jeden Augenblick erscheinen konnte. Bernhard war immer pünktlich.

      „Büttner.“

      Der Kerl, der eben noch einen Meter von ihr weg auf dem Fußboden lag, erhob sich langsam. Frank hatte sich mittlerweile vorsorglich zwischen die beiden postiert. Mit ausgestrecktem Arm deutete er Büttner an, sich zurückzuhalten.

      „Mach jetzt kein Quatsch.“

      „Nein, nein, keine Angst. Ist schon okay.“

      Frank nahm langsam seinen Arm herunter und wandte sich Sarah zu. Sie zitterte am ganzen Leib und hielt sich schmerzverzerrt die rechte Hand.

      „Scheiße Büttner, geh mir aus den Augen. Jetzt habe ich mir an deiner Visage fast noch die Hand gebrochen.“

      „Sarah…“

      „Man, halt deine…“

      „…es tut mir leid.“

      Sarah hielt inne. „Was tut dir leid, dass mit meiner Hand? Ich habe noch eine und die kommt auch gleich angeflogen.“

      „Ich will mich bei dir entschuldigen. Ich kann mit dir mitfühlen. Seit dem Abend geht’s mir…“

      „Was?“

      „Was?“

      Fast im Einklang reagierten Frank und Sarah überrascht auf das, was sie da gerade von Büttner zu hören bekamen. Keiner der Beteiligten merkte, dass mittlerweile Bernhard Kuntz im Foyer angekommen war. Während er dem herangeeilten Sicherheitsbeamten andeutete nicht eingreifen zu müssen, verfolgte er aufmerksam den Disput.

      „Ich mach mir seitdem Vorwürfe…“

      „Vorwürfe? Zwei Jahre lang machst du dir Vorwürfe?“, wurde Büttner erneut von Sarah unterbrochen.

      Frank merkte wie Sarah begann, an seinem ausgestreckten, schützend vor ihr gehaltenen Arm zappelig zu werden. Sie schäumte vor Wut und es schien als würde sie dem Kerl gleich an die Kehle springen. Behutsam aber wirkungsvoll drückte er sie zurück, während er Büttner vorwurfsvoll anschaute.

      „Sag mal, hast du noch alle Latten am Zaun? Wovon redest du?“

      „Ich weiß nicht wie ich es sagen soll, aber…, es tut mir so…, ich mach mir solche Vorwürfe.“

      „Vorwürfe?“ Frank stand Büttner jetzt Visasvis gegenüber. „Man du stotterst hier rum, wie so eine kleine Rotzgöre. Was hättest du jetzt im Einsatz gemacht, wenn das keine Faust gewesen wäre, die da in dein Gesicht gedonnert kam. Genau so dämlich habt ihr euch auch damals angestellt, ihr Schisser. Egal was passiert, man lässt seinen Kollegen nicht im Stich. Schon gar nicht wenn es eine Frau ist und ihr in so einen Laden wollt.“

      „Aber…, aber die Vorschriften…“, stotterte Büttner vor sich hin. Kreidebleich und das Gesicht mit Schweißperlen übersät stand er vor Frank wie ein Häufchen Elend.

      „Vorschriften! Du kannst dir die Vorschriften und deine Selbstvorwürfe in den Arsch stecken, und selbst dann kannst du immer noch nicht mitfühlen wie es Sarah an diesem Abend ergangen ist.“

      „Schluss jetzt!“, wurden sie von Kuntz unterbrochen. Die Argumentation mit den Vorschriften ging dem Polizeidirektor jetzt doch zu weit. Frank ließ sich aber nicht beirren. Mit versteinerter Miene starrte er Büttner an.

      „Weißt du, es ist nicht nur der körperliche Schmerz. Es ist die Enttäuschung, dass einen die eigenen Kollegen im Stich gelassen haben. Die, auf die man sich in so einem Einsatz hundertprozentig verlässt, oder verlassen müsste. So ein Einsatz ist Teamarbeit und ihr habt euch die Ärsche breit gesessen, bis ihr Schutz vom SEK hattet. Ihr Lappen, ihr habt einfach kein Kreuz gehabt.“

      Auch Kuntz ließ, wie alle anderen, das Gesagte kurz wirken, eh er sich mit einem kraftvollen „Schluss jetzt!“, wiederholend zu Wort meldete.

      „Büttner, Sie verschwinden hier. Frank, du wartest da und Sarah, du kommst bitte mit. Für euch beide ist das ein Befehl und für dich Sarah, eine ernstgemeinte Bitte. Und für alle anderen hier…, haben Sie nichts zu tun?“

      Während er Sarah an den Arm nahm, unterstrich er mit seiner anderen Hand eindringlich gestikulierend seine Anweisungen. Er machte sich, Sarah neben herführend, auf den Weg nach draußen. Auf der Eingangstreppe ließ er Sarahs Arm los. Ohne ein Wort zu wechseln lehnten sie sich gegen das Geländer. Sarah, immer noch auf 180, umklammerte frontal das Geländer während Kuntz sich mit einer störrischen Ruhe rücklings dagegen lehnte. Sein Blick über den Hof streifend machte er sich gelassen eine Zigarette an. Er fühlte förmlich wie es neben ihm in Sarah brodelte. Genussvoll zog er zwei drei Züge bevor er Sarah die Zigarette hinhielt.

      Verstört sah Sarah ihn an. „Ich denk du hast aufgehört?“

      „Offiziell ja, inoffiziell…, in meinem Alter…? Das lohnt sich nicht mehr.“

      „Aber hier kann dich doch jeder sehen.“

      „Na und! Schließlich bin ich hier Direktor. Da traut sich doch keiner was zu sagen. Nun nimm schon.“

      Sarah schüttelte mit dem Kopf.

      „Nee, hab auch aufgehört.“

      „Wegen Frank?“

      „Auch! Soll ungesund sein.“

      Noch während sie redete nahm sie Kuntz unter dessen belustigter Beobachtung die Zigarette aus der Hand und zog dran. Langsam drehte sie sich um. Sie schien sich zu beruhigen.

      Kuntz sinnierte „Davon redet immer keiner.“

      „Wovon?“

      „Immer heißt es, achtet auf eure Gesundheit. Die Lunge, der Krebs, der Gestank, die Mitmenschen die passiv mitrauchen. Aber keiner erwähnt, wie beruhigend so eine Zigarette sein kann.“

      Während Bernhard für sich eine zweite Zigarette anmachte, legte Sarah ihren Kopf auf seine Schulter. Beide schwiegen für die Länge der Zigarette vor sich hin.

      „Und? Geht’s wieder?“

      „Ich glaub schon. Tut mir leid. Ich habe nicht damit gerechnet.“

      „Womit? Büttner hier zu treffen?“

      „Nein. Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich nach fast zwei Jahren noch so darauf reagiere. Ich dachte ich bin auf dem richtigen Weg.“

      Kuntz drehte sich zu Sarah.

      „Bist du Kleine, bist du. Das ist doch gerade das, was dich ausmacht. Das Emotionale. Aber Gewalt ist nun mal keine Lösung.“

      „Das sehe ich anders, und die Geschichtsbücher sind schließlich voll damit.“

      Er hielt inne. Ließ das Gesagte kurz wirken.

      „Wie geht’s eigentlich Herbert und Marianne?“

      „Sie fahren heute an die Nordsee. Die wollen es ganz in Ruhe angehen lassen. Erst mal abschalten und vielleicht ein bisschen planen, wie es weitergehen soll.“

      „Abschalten.“ Nachdenklich kehrte Kuntz in sich.

      „Als