„Und? Sind Sie wieder eingestiegen?“
Waschkow überlegte kurz.
„Nach dem Krieg…, ja, da wollte ich eine ganze Weile sitzen bleiben. Das war aber auch, wenn man das so sagen kann, eine ganz heftige Achterbahnfahrt. Was in Glostelitz passiert war, ist ja ein Beleg dafür, was mit Menschen geschehen kann, die so etwas durchmachen. Aber irgendwann wollte ich wieder einsteigen. Musste ich wieder einsteigen. Es ist immer auch ein bisschen die Neugierde, was einem der nächste Tag so bringt.“
„Soll heißen?“
„Der Krieg war eine Ausnahmesituation. So etwas passiert hoffentlich nicht jedem und schon gar nicht mehrmals in einem Leben. Aber man kommt mit dem Leben nur zurecht, wenn man daran teilnimmt. Was auch passiert, das Leben ist nicht auf eine einzelne Person zugeschnitten. Das Leben ist eine Aneinanderreihung von verschiedenen Situationen und man hat auch mit verschiedenen Charakteren zu tun. Mit manchen will man zu tun haben, mit anderen nicht. Mal kann man sich das aussuchen und manchmal nicht. Bernhard zum Beispiel, persönlich hätte er Sie nie gehen lassen, aber die Dienstvorschriften verlangen eine Gleichstellung aller. Wir haben oft über das gesprochen, was, wie es scheint, eben da drin passiert ist. Er kann Sie nicht wieder in den Polizeidienst nehmen, aber er kann Sie für die Sonderkommission arbeiten lassen. Und nun müssen Sie entscheiden, ob Sie diesen Kompromiss eingehen wollen, ob Sie mitmachen oder nur zusehen wollen.“
Sarah ließ das Gesagte wirken, während sie Waschkow weiter musterte. Halfen ihr nun seine Worte oder hatte er als Hintergedanken nur die Interessen dieser Sonderkommission im Kopf. Langsam drehte er sich ihr zu.
„Ja. Natürlich.“
„Was?“
„Sie fragen sich doch jetzt bestimmt, ob das ein Rat eines alten lebenserfahrenen Mannes war oder ob ich im Interesse dieser Sonderkommission rede?“
„Steht mir das auf der Stirn?“
„Ich würde mich das fragen, wenn ich an Ihrer Stelle wäre. Sie haben vor einem Jahr hervorragende Arbeit geleistet. Was Sie nicht wussten war, dass dieser unscheinbare Fall - wenn man das bei elf Toten überhaupt so sagen kann - eine Reise durch die deutsche Vergangenheit wird. Damals zu Kriegszeiten, mussten viele Wertgegenstände unter Repressalien der Machthabenden verkauft werden. Oder aber, sie wurden den rechtmäßigen Besitzern einfach weggenommen. Das war bei den Nazis so, bei uns Russen war das so, obwohl wir das teilweise mit fadenscheinigen Erklärungen begründet haben, und das war auch später bei der Stasi so. Dieses Unrecht muss ein Ende haben. Bei dem Wert dieser Kunstgegenstände muss man höllisch aufpassen, ob wahre Interessen dahinterstehen, oder ob die menschliche Gier der Beweggrund ist. Es wäre schade, wenn diese Sachen in einem geheimen Safe zur Befriedigung einzelner wieder verschwinden würden, als dass sie vielleicht in einem Museum, für alle zum Begreifen der menschlichen Kultur zur Verfügung stehen.“
Verzweifelt schüttelte Sarah den Kopf. Was geht sie das an? Ihr Beitrag an der Gesellschaft war geleistet. Sie hatte sich auf die Fahne geschrieben, für Recht und Ordnung zu sorgen. Irgendwann ist Schluss. Ob gewollt oder nicht. Sie fühlte sich leer. Zu leer um sich dieser Kunstgegenstände anzunehmen.
„Ich kann das nicht und ich will auch nicht. Ich war Polizistin. Das konnte ich und das kann ich auch immer noch. Ich habe das Bernhard schon gesagt, wer mich nicht will, der kriegt mich auch nicht.“
„Aber wir wollen Sie doch!“
„Aber nicht zu meinen Bedingungen.“
Waschkow wirkte ein wenig ratlos.
„Ich glaube Ihnen das nicht. Sie wollen das. So wie Sie sich vor einem Jahr da reingekniet haben, wollen Sie das. Sie sollten sich nicht von Ihrer Verbitterung lähmen lassen. Sie sollten versuchen, aus den negativen Momenten das Beste zu machen. Sie sind Jemand, der Sachen zu Ende bringt. Und können…, Sie können das allemal. Vielleicht sollten Sie versuchen, Ihr momentanes persönliches Empfinden zurückzustellen. Kommen Sie mit rein und hören Sie sich an, was Bernhard Ihnen zu dem Fall sagen kann. Und dann können Sie sich immer noch entscheiden. Bitte! Wir, und ich schließe auch Kommissar Wagner da mit ein, wir brauchen jemanden wie Sie.“
Sarah erhob sich. Ihr Blick galt Waschkows bittendem Gesichtsausdruck. Trotzdem zögerte sie. Ein kurzes Lächeln huschte über ihr Gesicht.
„Ihr Deutsch ist besser geworden. Kommen Sie. Ich tue Ihnen den Gefallen, nicht für Bernhard und auch nicht für Frank. Ich will nicht, dass Ihre Bemühungen umsonst waren. Aber ich höre mir das nur an. Mehr nicht.“
Zufrieden nickte der alte Mann ihr zu. „Ich muss Sie aber um noch einen Gefallen bitten?“
Erwartungsvoll schaute Sarah zu Waschkow herunter.
„Mich hier neben Sie zu setzen, war ganz schön leichtsinnig. In meinem Alter läuft man Gefahr, nicht wieder hochzukommen. Würden Sie mir helfen?“
Sarah streckte ihm mit einem freundlichen Kopfnicken die Hände entgegen.
„Aber nur, wenn Sie mich Sarah nennen. Ich mag das Förmliche nicht.
*
Sarah schlich ohne ein Wort zu verlieren hinter Waschkow zurück in den Konferenzraum. Sie setzte sich, schaute kurz zu Frank um sich dann an Kuntz zu wenden.
„Mach dir keine Hoffnungen, ich höre mir das nur an, weil ich hier eh nicht alleine rauskomme und in diesem beschissenen Flur nicht mal ein Stuhl steht.“
Bernhard nickte ihr beiläufig zu, wandte sich dann aber an Waschkow um ihn zu begrüßen. Auch Frank erhob sich kurz, versuchte dabei aber, Sarah nicht aus den Augen zu lassen.
„Schön, dass du kommen konntest, Boris.“
Herzlich begrüßten sich die beiden alten Männer, bevor sich Kuntz wieder ganz seinen Akten zuwandte.
„Also, wie gesagt, diese Bank ist der Meinung, dass ihre Klienten- diese Ruben Compagnie- Unterlagen, Besitzurkunden bzw. Kaufverträge vorlegen kann, die angeblich zweifelsfrei belegen, dass diese Kunstgegenstände aus jüdisch-russischem Besitz ihnen gehören. Wir müssen denen alles zukommen lassen, was wir an Unterlagen haben. Im Gegenzug müssen wir prüfen, inwiefern ihre Unterlagen ihren Besitzanspruch untermauern. Ich weiß, dass das nicht ganz einfach ist. Das wäre eigentlich etwas für einen Anwalt oder Notar, aber wir müssen da jetzt erstmal irgendwie durch. Wenn ihr…“
Bernhard stockte. Sein Blick wandte sich kurz an Sarah, die aber wie versteinert mit starrem Blick den Aktenberg vor ihr nicht aus ihren Augen ließ.
„…naja, wer auch immer. Also wenn ihr der Meinung seid, dass diese Ansprüche berechtigt sind, dann werden wir das natürlich in der Endkonsequenz noch genauer prüfen lassen. Mehr kann ich dazu erstmal nicht sagen. Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wie wir das am besten durchziehen. Ich will denen auch nicht unterstellen, dass es ein linkes Ding ist. Aber Ansprüche stellen heißt nicht, Ansprüche zu haben. Man soll nie den Menschen vertrauen, die am Ende profitieren. Und diese Bank profitiert davon, wenn wir das aus der Hand geben. Auf alle Fälle müssen wir uns erst einen genaueren Eindruck verschaffen und sehen, mit wem wir es zu tun haben. Findet das offene Fenster, den Schlüssel unter der Fußmatte. Jeder hat seinen Schwachpunkt. Wenn wir schon die Hosen runterlassen müssen, dann sollten wir auch dafür sorgen, dass uns jemand den Arsch küsst.“
Kuntz schien fertig. Er lehnte sich zurück und musterte der Reihe nach seinen russischen Freund, Frank und Sarah. Waschkow war vertieft in das Schreiben der Bank, obwohl er es ja eigentlich schon kannte. Frank ließ Sarah nicht aus den Augen und Sarah starrte immer noch geistesabwesend vor sich hin. Ein kurzes Räuspern von Waschkow unterbrach die Ruhe.
„Es gibt eine ganze Menge solcher Gruppierungen wie diese Ruben Compagnie. Während des Krieges und auch danach wurden unzählige bekannte und unbekannte Kunstgegenstände hin und hertransportiert, verschachert oder versteckt. Es ist wie ein riesiges Puzzle im Nachhinein rauszubekommen, was eigentlich wem gehört. Die Ami’s hatten dafür nach ihrer Landung eine eigene Abteilung. Man nannte sie die Monuments Men, richtig hießen sie Monuments,