Walpurgisnackt. Sara Jacob. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sara Jacob
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847693383
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Hand gelesen und ihm viel Geld vorhergesagt hatte, mit der Faust ins Gesicht geschlagen und anschließend leichter Hand vom Kutschbock geworfen, bevor sie alle durchs Stadttor entkommen waren.

      »Was hat Euch vertrieben aus der Stadt, sagt mir?«

      »Der Neid. Der Alchemist der Stadt ist ein Halunke, der dem Grafen das Geld aus der Tasche zieht. Ich hingegen kann Gold herstellen. Und weil er sich nicht damit abfinden konnte und jemanden, der in seinem Revier wildert, nicht tolerieren konnte, hat er mich verjagt.«

      Malfoss sah unter Fausts rechtem Auge eine blutige Schramme. Die tiefsten Verletzungen hingegen, dachte er, kann man nicht sehen.

      »Sie haben aus allen Rohren geschossen, doch man bekommt mich so nicht.«

      »Was ist denn Euer Geheimnis, wollte Ihr es mir verraten? Warum könnt Ihr Gold herstellen und die nicht anderen, das ist es doch, das Geheimnis?«

      Fausts Lächeln war leiser als das Rauschen des Waldes.

      »Eine besondere Zutat, die ich Euch natürlich nicht verraten kann. Sie ist schwer zu bekommen, das ist alles, was ich sagen kann.«

      Der Rom sah zu Boden, auf einen Maulwurfshügel, auf saftiges Gras, auf Kornblumen. Feuer war aufgeschichtet, Hasen waren gefangen, Igel hatten den Tod im Lehmmantel gefunden.

      Malfoss ballte die Faust. »In der Hand hatte ich sie alle, konnte ihnen erzählen, was ich wollte, alles, nicht wahr, und sie wollten viel. Viel, die Menschen wollen immer alles, Geld und Macht und Einfluss, nicht?«

      »Ihr versteht Euch in der Wahrsagerei?«, fragte Faust.

      Malfoss zwirbelte seufzend die Enden seines spitzen Bartes.

      »Ich wollte, es wäre so. Dann hätte ich gesehen, was kommt, hätte ich, nicht? Unsere Kunst besteht leider nur darin, den Menschen zu sagen, was sie hören wollen.«

      Die Männer setzten sich schließlich ins Gras, aßen Hase und Igel, tranken Wasser aus dem nahegelegenen Bach, rückten nach Sonnenuntergang näher ans Feuer, bis ihre Gesichter glühten, die feuchten Schuhe dampften und auf ihren Hemden die Funken kleine schwarze Punkte hinterließen.

      »Wir werden seit Jahren gejagt, von einer Stadt in die andere, werden wir, ich habe es satt, das Leben auf der Flucht, krank macht es, nicht das Umherziehen, zu flüchten und vogelfrei zu sein macht krank.«

      »Was wollt ihr machen? Euch in den Wäldern verkriechen?«

      Malfoss kratzte sich an einer unrasierten Wange und räusperte sich.

      »Das Beste wäre es vielleicht, ja verkriechen, sind gejagtes Wild, sind Diebe, Mörder und Betrüger, oder nicht? Verkriechen im Wald werden wir uns. Es kommen Zeiten, in denen wir uns wieder herauswagen werden, wir uns wieder zeigen können in den Städten.«

      »Nein, es wird immer schlimmer«, sagte der Alchemist. »Die Zeiten, in denen euch ein Schutzbrief helfen konnte, sind lange vorbei. Ich fürchte, es kommen schwere Zeiten auf euch zu.«

      Malfoss zuckte mit den Schultern.

      »Wir sind vor Verfolgung geflohen, wir werden weiterziehen, das ist nichts Neues für uns, ist es nicht. Vielleicht ist das unser Schicksal, weil wir immer wieder von Flüchen getroffen werden, hört Ihr?«

      »Wer hat euch denn verflucht?«.

      »Wie, wer?«

      »Verflucht?«

      »Keine Blasphemie, bitte. Mein Großvater hat mir eine Geschichte erzählt, da ich ihn einmal fragte, woher wir kommen und warum wir immer unterwegs sind. Er erzählte mir vom Beginn unserer Reise vor vielen, vielen Jahren«, sagte Malfoss sich über den Schnurrbart streichend.

      »Damals lebten wir alle in einem Land namens Sind, und wir waren glücklich und zufrieden. Unser König hieß Mar Amengo Dep. Er hatte zwei Brüder namens Romano und Singan. Dann brach ein großer Krieg aus und die Mohammedaner legten alles in Schutt und Asche. Die drei Brüder sammelten ihre Anhänger und zogen über die Straßen dahin. Manche gingen nach Arabien, andere nach Byzanz und Armenien.«

      »Das Herumziehen liegt Euch Zigeunern im Blute, oder?«

      Der Schnurrbärtige sprang auf, er hatte rote Wangen bekommen, die im Licht des flackernden Feuers glühten, das erst verhalten, schließlich fordernd in der Mitte des Rundes gen Himmel loderte.

      »Roma sind wir, nennt uns nicht so abwertend, oder gar nicht. Sind keine Zieh-Gauner.«

      »Das habe ich nicht gesagt, ich sagte Zigeuner und nicht Zieh-Gauner. Setzt Euch, Malfoss, bleibt ruhig. Warum so gereizt?«

      »Zieh-Gauner oder Zigeuner ist gleich, ist Unrecht, trägt Hass, das Wort. Griechen nannten uns Atsingani, Unberührbare, um die Ungerechtigkeit in unserer Heimat fortzuführen taten sie das. Aber wir, wir werden darauf beharren, auf Kaiser Sigismund und seinem Brief, der uns vor Unzuträglichkeiten und Ärgernissen schützen wollte, der Brief, der Kaiser. Zu Beginn, da die Menschen nicht so feindselig waren, die Pest nicht so viele Gedanken getötet hatte, da waren die Menschen freundlicher, das waren sie, ja, damals, freundlicher.«

      »Die Pest war schon da, bevor ihr kamt.«

      »Dann war es die Armut.«

      »Den Menschen ging es schon immer schlecht, glaube ich.«

      Malfoss hob die Hände über den Kopf und schüttelte sie unwirsch. »Es ist etwas mit den Menschen geschehen, ist es mit ihnen, und Schluss. Und wichtiger ist es, Herr Faust, wichtiger ist, wohin wir gehen, und nicht woher wir kommen, wir, ist so.«

      »Die Völkerwanderung ist schon seit ein paar Jahrhunderten vorbei. Vielleicht kommen die Zigeuner einfach zu spät, könnte es das sein? Wenn sie sich niederließen...«

      »Wir haben doch das Recht, hört Ihr, zu bleiben wie wir sind und was wir sind«, fauchte Malfoss und, als habe er sein Pulver verschossen, schwieg anschließend. Viel Trotz lag in den Augen des Sippenführers, plötzlich blitzte eine Idee auf. »Wir haben den Brief immer bei uns, werde ihn holen, sofort gehe ich.« Er sprang auf, verschwand in einem roten Wagen, von dem schon die Farbe abblätterte, der schäbig aussah, geflickt, repariert und heruntergekommen.

      Vielleicht, dachte sich Faust, kommt Zigeuner wirklich von den Türken, von den Türken, die den Kriegssklaven den Namen Tschigan gaben - arme Leute.

      Sein Gesicht glühte, sein Rücken war kalt. Zu dicht saß er am Feuer, zu kalt wurde die Nacht. Grillen zirpten, in der Nähe musste sich ein Tümpel befinden, Frösche quakten aufgeregt. Jetzt einen schönen Zug aus der Pfeife, und die Nacht wäre endlich wieder lustig. Dieses Gerede über Verfolgung und Hass brachte ihn in schlechte Stimmung.

      Der Alchemist sah sich um. Die Angehörigen der Sippe ignorierten ihn. Sie saßen dicht gedrängt auf der anderen Seite des Feuers, rückten vom Alchemisten weg. Auch die spielenden Kinder trauten sich kaum in seine Nähe. Kurz bevor Malfoss wieder aus seinem Wagen stürzte, ein vergilbtes Stück Papier in der Hand, begann ein junger, ernst dreinblickender Mann leidenschaftlich und traurig zugleich auf seiner Geige zu spielen, eine ältere Frau tanzte selbstvergessen dazu, dicht behängt mit Ketten und Ohrringen. Auf ihrem Rock aus grünem Tuch rankten sich silberne Stickereien.

      Der alte Rom setzte sich atemlos neben den Alchemisten. »Hier steht es, steht es geschrieben, hier. Wir, Sigismund, König von Ungarn, Böhmen, Dalmatien und anderer Länder, erklären, dass unser getreuer Ladislaus, Woiwode der Zigeuner, und die anderen, die von ihm abhängen, Uns untertänigst gebeten haben, ihnen unser besonderes Wohlwollen zu bezeugen. Es hat uns gefallen...«

      Alles in Fausts Reaktion drückte Widerspruch aus: seine Handbewegung, sein Gesicht, seine Körperhaltung und seine Worte. »Moment, bitte, soweit ich weiß sind diese Briefe schon vor langer Zeit für ungültig erklärt worden. Die helfen euch überhaupt nicht weiter.«

      Malfoss hielt inne, wollte weiterlesen, besann sich eines Besseren, seufzte und faltete den Brief wieder zusammen.

      »Vielleicht ändert sich das wieder, vielleicht lässt man uns irgendwann in Ruhe leben, so wie die.«

      »Wollt