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Hieb in den Rücken trieb sie weiter voran. Sie kam ins Straucheln, ihre Beine knickten unter ihr ein, als wären sie aus Stroh und nicht aus Fleisch, Sehnen, Muskeln und Knochen. Ein weiterer Schlag schien ihre Lunge zum Bersten zu bringen. Sie hörte den Nachhall eines Schusses, konnte nicht mehr Atmen, schmeckte Blut. Tahire verstand nicht, was da vorging, sie verstand auch nicht, was gerade mit ihr geschah. Als der dritte Schuss fiel, und das Projektil ihre Wirbelsäule durchschlug, ging sie der Länge nach zu Boden. Ein letztes Zittern durchlief ihren Körper, dann lag sie ganz still und ihre Augen brachen.

       *

      »Was für ein Schlamassel«, sagte ich und schaute zu meiner Kollegin Fariba, die mit verschränkten Armen neben der Wohnungstür lehnte – sie sah reichlich genervt aus.

      Ich blickte aus dem Fenster. Überall standen Polizisten; sie fotografierten die Schaulustigen, wiesen Rettungskräften den Weg oder sorgten dafür, dass kein Unbefugter auch nur in die Nähe des Tatorts gelangen konnte. Drei Sanitäter stürmten an mir vorbei, ein älterer Streifenbeamter hielt ihnen die Tür auf und deutete schweigend in den hinteren Raum.

      Dort lagen der MP-Schütze und der tote Revolverheld.

      Mein Blick folgte den Sanitätern, bis ich einen grauen Bus der Sorte Sprinter bemerkte, der umständlich vor dem Grundstück nach einem Parkplatz suchte. Das mussten die Jungs von der SpuSi sein, die ich nach einem kurzen Telefonat mit Briegel beim LKA angefordert hatte.

      Zwei weitere Rettungskräfte stürmten in die Wohnung. Ich konnte auf ihren Jacken lesen, dass sie Notärzte waren.

      »Das geht hier ja zu wie in einem Taubenschlag. Du hättest mit deinem Anruf noch ein paar Minuten warten sollen, jetzt dauert es Stunden, bis wir uns in der Wohnung in Ruhe umsehen können.«

      Ich schüttelte den Kopf und schaute meine Kollegin an. »Das ging nicht. Die beiden Frauen brauchten dringend einen Arzt. Außerdem musste ich die Kollegen von der Streife verständigen, die hätten uns sonst ein SEK-Team auf den Hals gehetzt.«

      »Jaja, schon klar«, erwidere Fariba. Sie schob trotzig die Unterlippe vor und rollte genervt mit den Augen. »Dennoch, ein paar Minütchen mehr und ich hätte die Bude auf den Kopf gestellt. Dann hätten wir vielleicht schon eine neue Spur, der wir jetzt nachgehen könnten.«

      Ich lächelte in mich hinein, gab jedoch keine Antwort. Fariba war ein Heißsporn, die am liebsten alles auf einmal erledigen wollte. Geduld war wohl die Art von Tugend, die man bei ihr vergeblich suchte.

      »Da kommt Petermann«, sagte ich und wies mit einem Kopfnicken aus dem Fenster.

      »Das is gut!« Faribas Blick folgte meinen. »Sebastian ist ein Ass. Der sieht Dinge am Tatort, die jedem normalen Menschen verborgen bleiben. Echt der Hammer, der Typ.«

      Wir sahen beide mit an, wie Sebastian Petermann, der Profiler in unserem Team, schwungvoll unter dem rotweißen Flatterband hindurchschlüpfte und zielstrebig auf das Haus zueilte. Unsere Blicke trafen sich, er nickte mir kurz zu und verschwand keine Sekunde später im Hauseingang.

      »Ich habe gehört, er trägt immer nur Schwarz. Tag für Tag immer nur Schwarz?«

      Ein Lächeln huschte über Faribas Gesicht, als sie mir nickend zu verstehen gab, dass an dem Gerücht etwas dran sei. »Das stimmt«, gluckste sie, »Gerüchten zufolge ist er vor fünfzig Jahren schon mit diesem Outfit geboren worden und hat es seitdem nie wieder abgelegt. Is schon ’ne Nummer für sich, unser Sebastian.«

      »Wow! Da hat er ja ganze Arbeit geleistet. Sehen bei ihm die Zeugenbefragungen denn immer so aus?«

      Ich fuhr herum. Petermann stand in der Tür und musterte das Wohnzimmer.

      »Eigentlich nicht«, sagte ich und grinste übers ganze Gesicht. An Petermanns Art zu reden, musste ich mich erst noch gewöhnen.

      »Aha. Kann er sich denn schon umschauen oder ist die Spurensicherung noch zu Gange?«

      »Die sind noch gar nicht da«, sagte Fariba und warf mir einen bösen Blick zu.

      »Die Jungs sind im Anmarsch. Die haben gerade ihr Auto geparkt«, sagte ich.

      »Das ist gut! Er …«, Petermanns Zeigefinger stupste gegen meinen Brustkorb, »… hält die Jungs noch ein bisschen hin. Er …« Sein Finger wechselte die Richtung und deutete nun auf ihn selbst, »… wird sich ein Bild vom Tatort machen. Er braucht fünf Minuten und will auf keinen Fall gestört werden. Verstanden?«

      Ich nickte, sagte jedoch nichts. Laut Briegel war Petermann ein kleines Genie, dessen extravagante Art man am besten stillschweigend ertrug.

      »Du brauchst fünf Minuten?«

      »Die braucht er! Ja.«

      »Okay, du bekommst sechs Minuten«, sagte Fariba und deutete mit dem Daumen hinter sich in die Wohnung. Sie grinste und entblößte dabei zwei Reihen schneeweißer Zähne. »Notfalls lege ich einen Strip hin, um die Jungs von der SpuSi ein wenig aufzuhalten.«

      »Wenn sie einen Strip hinlegt, geht er ganz sicher keinen Tatort besichtigen. Das Schauspiel lässt er sich bestimmt nicht entgehen«, sagte Petermann und lächelte verschmitzt.

      »Hau schon ab«, knurrte meine Kollegin. »Es gibt Dinge, die kriegst selbst du nicht zu sehen.«

      Petermann nickte. Er musterte Fariba noch kurz durch seine randlose Brille, fuhr sich mit der Hand durch die fast schlohweißen, streng gescheitelten Haare und verschwand dann ohne ein weiteres Wort im angrenzenden Raum.

      Ich sah ihm nach, schüttelte leicht verwundert den Kopf.

      »An den muss ich mich erst noch gewöhnen. An seine Vorliebe für schwarze Klamotten auch.«

      »Geht ganz schnell. Mir fällt schon gar nicht mehr auf, wie abgedreht Sebastian redet«, sagte Fariba neben mir.

      »Echt jetzt? Ohne Scheiß?«

      »Ohne Scheiß!«, sagte sie und lächelte kurz. Ihr Gesicht wurde wieder ernst, als sie mir keinen Atemzug später in die Augen sah. »Ich hab mich noch gar nicht bei dir bedankt, Mark. Du hast mir vorhin den Arsch gerettet.«

      »Blödsinn …«

      »Nein, das ist kein Blödsinn. Der Typ hatte mich voll im Visier. Eine Sekunde, Mark. Wenn du nur eine Sekunde gezögert hättest, wäre ich tot gewesen. Danke …«

      Ich erwiderte nichts, hielt nur stumm an Faribas Blick fest.

      »Sag was …«

      Ich schwieg. Meine Gedanken waren bei Julia, die ich nicht hatte retten können.

      »Okay, dann sag eben nix. Auch gut. Ich wollte nur, dass du es weißt.«

      Ich räusperte mich und versuchte, meine Gedanken an Julia in den Hintergrund zu drängen. Jetzt war einfach nicht der richtige Zeitpunkt, um sich mit Vergangenen zu beschäftigen.

      »Was denkst du?«, fragte ich, »Warum haben diese Typen auf uns geschossen?«

      »Diese Frage stelle ich mir auch schon die ganze Zeit.«

      »Und?«

      »Und was?«

      »Was denkst du? Warum haben sie das gemacht?«, fragte ich erneut.

      »Ich schätze mal, sie haben uns für das gehalten, was wir sind. Bullen.«

      Ich nickte, sagte aber nichts. Faribas Erklärung erschien mir zu konstruiert. Gewöhnliche Terroristen schossen nicht so einfach auf Polizisten. So etwas taten noch nicht einmal verbohrte Islamisten, die dem Heiligen Krieg die ewige Treue geschworen hatten.

      »Vielleicht haben uns die vier ja für jemand anderen gehalten?«, überlegte ich laut.

      »Und für wen?«

      »Keine Ahnung, war nur so ein Gedanke.«

      »Na ja, einer lebt noch. Fragen wir ihn.«

      »Geht nicht! Laut dem Notarzt