Mark Feller. Michael Bardon. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Bardon
Издательство: Bookwire
Серия: Mark Feller
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742763556
Скачать книгу
nur der Fiesling mit der Maschinenpistole sein. Fariba hob ihren Kopf und sah, dass der Kerl am Fenster heftig schwankte. Zwei weitere Schüsse krachten. Faribas Augen weiteten sich, als die Brust des Arabers – der Kerl war eindeutig ein Araber, das sah sie auf den ersten Blick – wie eine reife Melone auseinanderplatzte. Blut spritzte umher, es fand den Weg bis zu ihrem Gesicht. Es fühlte sich warm und klebrig an. So als wäre sie mit dem Kopf in einen Honigtopf eingetaucht.

      Einen Atemzug später knickten dem MP-Schützen die Beine ein. Er stürzte wie ein gefällter Baum zu Boden und begrub die Maschinenpistole unter seinem zuckenden Leib.

      Fariba atmete erleichtert auf; ihr Kopf sank zurück, sie schloss die Augen. Tränen liefen über ihre Wangen. Sie konnte noch gar nicht fassen, dass sie diesen Albtraum unbeschadet überstanden hatte. Dankbarkeit, tiefe Dankbarkeit. Das war es. Das empfand sie.

      Einatmen … ausatmen. Einatmen und wieder ausatmen. Ihre Nerven waren ein einziges Tollhaus, sie zitterte am ganzen Leib.

      Marks Stimme drang in ihr Bewusstsein, er rief nach ihr, wollte wissen, ob mit ihr alles in Ordnung sei. Er klang besorgt, in seiner Stimme schwang die Anspannung der vergangenen Minuten mit.

      So habe ich dich gar nicht eingeschätzt. Ich dachte, du bist ein gefühlloser Klotz, der insgeheim nur auf Rache sinnt.

      Abermals spürte sie tiefe Dankbarkeit und ein Gefühl, das sie selbst nicht recht zuordnen konnte.

      Liebe …? Nein, auf keinen Fall! Zuneigung …? Ja, das traf das Ganze schon … irgendwie eher!

      Sie fühlte sich zu Mark hingezogen, empfand für ihn – nein, das konnte nicht …, oder doch? – so etwas wie tiefe Zuneigung und innere Verbundenheit.

      Erneut drangen Marks Rufe in ihr Bewusstsein. Sie schlug die Augen auf, verwarf ihre dummen Gedanken und holte tief Luft. »Ich bin okay, Mark, ich bin okay.«

      -8-

      »Komm weiter, Faizah, zum Ausruhen ist jetzt keine Zeit!«, wisperte Tahire. Sie streckte ihrer Freundin die Hand entgegen, schaute sie jedoch nicht an. Ihr Blick hing an einem riesigen Tor, das von zwei grobschlächtigen Kerlen bewacht wurde. Die beiden sahen wirklich zum Fürchten aus in ihrer abgetragenen Lederkluft und den vielen Tattoos, die sie wie eine Kriegsbemalung im Gesicht trugen.

      »Ich kann nicht mehr … mein Fuß …«

      Faizah hatte sich beim Sprung vom Hallendach ihren linken Knöchel verstaucht. Oder gebrochen, Tahire konnte es nicht sagen. Er sah jedenfalls übel aus, der Fuß. Und dick geschwollen war er auch.

      »Komm schon …«

      »Ich kann nicht!«

      »Komm endlich her, verdammt! Oder willst du, dass uns die Männer finden? Die suchen bestimmt schon nach uns.«

      »Meinst du? Vielleicht ist ihnen ja noch gar nicht …«

      »Ssssch …«

      Tahire legte ihren Finger an die Lippen. »Ich glaube, da kommt jemand, ich höre Stimmen.«

      Sie eilte zu Faizah, die an einer verbeulten Wellblechwand lehnte und versuchte, ihren blau angelaufen Knöchel ein wenig zu entlasten.

      »Los, komm, wir können hier nicht bleiben.« Sie zog ihre Freundin in einen schmalen Durchgang zwischen zwei lang gezogenen Lagerhallen. Hier roch die Luft muffig, schmeckte abgestanden und nach faulen Eiern. Tahire war es egal – sie hatte in ihrem Leben schon weit Schlimmeres gerochen.

      »Aua … Aaaaaaah … Mein Fuß …«

      »Stütz dich auf mich, Faizah. Ja, so ist es gut! Komm, leg deinen Arm um meinen Hals. Wir schaffen das …«

      Sie drangen tiefer ein in den schmalen Durchgang, dessen grob geschotterter Boden ihr Vorankommen noch zusätzlich erschwerte. Ratten huschten vor ihnen davon, sie verschwanden hinter Bergen aus allerlei Unrat.

      Tahire ignorierte ihren Ekel. Sie dachte an ihr Heimatdorf, dachte an die Massengräber, in denen man ihre Eltern begraben hatte wie totes Vieh. Die Ratten waren allgegenwärtig, und wer von ihnen gebissen wurde, starb in der Regel an einer Infektion. Sie hatte das hautnah erlebt, ihre Schwester Nour war nach einem Biss dieser gierigen Monster am bösen Fieber gestorben, ihre Tante Basima auch.

      Möge Allah ihre Seelen retten

      »Warte, ich kann nicht mehr.«

      Tahire bremste ihren Vorwärtsdrang, obwohl der Fluchtgedanke sie völlig einnahm.

      »Lass mich zurück, ich schaff es einfach nicht. Es tut so schrecklich weh.« Faizahs Gesicht war schmerzverzerrt, Tahire konnte sehen, dass ihre Freundin Tränen in den Augen standen.

      »Das geht nicht, du kannst hier nicht bleiben. Die Ratten werden dich auffressen«, sagte sie. Allein der Gedanke an die haarigen Biester ließ sie erschauern. Die Viecher waren wirklich überall; sie tummelten sich zu Hunderten in dem schmalen Durchschlupf.

      Ihr Blick irrte umher – sie suchte nach einem Ausweg. Verzweiflung nahm sie ein, als ihr bewusst wurde, dass die Stimmen immer näher rückten. Allein hätte sie es vielleicht noch geschafft, doch mit der verletzten Faizah an ihrer Seite konnte sie den Gedanken an eine weitere Flucht, gleich wieder vergessen.

      »Stell dich nicht so an«, fauchte sie, während ihr Blick erneut durch das Halbdunkel des Ganges irrte. Das durfte doch nicht sein! Allah hatte sie zu diesem Platz geführt, er hatte das bestimmt nicht getan, um sie in diesem stinkigen, dunklen Gang sterben zu lassen.

      Sie trat zwei Schritte vor und zog ihre Freundin, die vor Schmerzen aufstöhnte, einfach mit.

      »Bei Allah!«, hauchte sie, als sie das kleine Loch in der Blechhaut der linken Lagerhalle sah, keine fünf Schritte vor ihnen. Der Durchschlupf war eng und die ausgefaserten Ränder standen scharfkantig hervor, doch für Faizah und sie würde es zum Durchkriechen reichen.

       Was für ein Geschenk des Himmels!

      Die Stimmen kamen näher – sie konnte jetzt zwischen einem Mann und einer Frau unterscheiden.

      »Komm mit!« Statt auf eine Reaktion zu warten, zog sie ihre Freundin einfach mit. Tahires Beine zitterten vor Anstrengung, doch die Angst verlieh ihr die nötige Kraft.

      »Schnell, krabbel da hinein«, keuchte sie, während sie auf die Knie sank und ihrer Freundin half, durch das Loch zu kriechen.

      »Schneller Faizah, sie sind gleich da …«

      Tahire hielt die Warterei nicht mehr aus. Sie packte beherzt zu, hob die Beine ihrer Freundin an, und schob sie durch das Loch. Nackte Haut schrammte an den messerscharfen Kanten des Blechs. Egal. Aus dem inneren der Lagerhalle drangen die erstickten Schmerzensschreie ihrer Freundin, gefolgt von einem Wortschwall, der kein gutes Haar an ihr ließ. Auch das war Tahire egal. Sie wollte nur noch eins: sich in Sicherheit wissen.

      Der Ruf einer Frau ließ sie innehalten. Sie verstand nicht, was die Frau rief, erkannte aber am Klang ihrer Stimme, dass es sich um einen Befehl handelte. So was in der Art von: Halt, bleib, wo du bist! Oder: Gib auf, du hast keine Chance!

      Tahire zögerte keine Sekunde. Sie sprang auf die Füße, raunte ein »Versteck dich, ich komme wieder …« durch die Öffnung und stolperte los. Weg von dem Loch in der Wand, weg von ihrer Freundin, weg vom Versteck, in dem Faizah mit ihrem schlimmen Fuß hoffentlich erst einmal in Sicherheit war. Ihr Heil lag jetzt in der Flucht, die Zeit zum Verstecken hatte Faizah mit ihrem ständigen Gejammer sinnlos vertrödelt.

      Erneut rief die Frau etwas. Sie stand noch immer am Anfang des Durchganges, ebenso wie der Mann. Tahire ignorierte ihr Rufen – sie konzentrierte sich ganz auf ihre Flucht. Ratten huschten vor ihr davon, es war ihr egal, sie beachtete sie nicht mehr. Die Angst trieb sie voran, ihre Beine rannten schneller, als sie es jemals für möglich gehalten hätte.

      Nur noch wenige Meter, vielleicht vier oder fünf. Am Ende des Ganges wartete das Tageslicht auf sie. Tahires