Hintertüren. Dirk Lützelberger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dirk Lützelberger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752993912
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nachlesen, welche Aufgaben diese kleinen Kerle erfüllen sollen. Manche wollen nur die Welt erkunden und freuen sich, wenn man sie lange bei sich trägt und weit weg einfach wieder in einem anderen Cache ablegt. Andere wollen zum Beispiel nur Kirchen in Deutschland sehen und wieder andere möchten alle Schlösser der Welt entdecken. Den Travelbug, den ich in dem nächsten Cache erwarte, der will zurück nach Deutschland und den Gefallen können wir ihm doch tun, oder?

      »Dann musst du dich aber in Kiel wieder darum kümmern einen Geocache zu finden, in den er auch hineinpasst. Einige, die wir in den letzten Tagen gefunden hatten, waren ja nur sehr klein«, gab Gwen zu bedenken, als sie Phil eingeholt hatten.

      »Ja, klar, das mache ich!«

      »So, wie du auch immer versprichst mal dein Zimmer aufzuräumen oder die Spülmaschine auszuräumen oder den Müll rauszubringen?«

      »Was bist du denn auf einmal so komisch, Mama?«

      Stefan spürte, dass die Stimmung zu kippen drohte, nahm Gwens Hand und zog sie bergauf. »Wir beide werden uns darum kümmern, wenn wir wieder zu Hause sind. Mach dir bitte keine Sorgen, Gwen … und jetzt, lass uns die Lichtung finden und den letzten Anstieg meistern, damit wir das Ding finden. Danach machen wir uns dann auf den Weg ins Tal. Ich habe schon mächtig Hunger, ihr nicht auch?«

      Gwen sagte nichts und versuchte eine möglichst freundliche Miene aufzusetzen.

      Als sie die Lichtung erreichten blieben sie kurz stehen, um sich zu orientieren. Phil startete seine Geocaching App, um den Abstand und die Richtung nun genau in Erfahrung zu bringen. Mit ein paar Handgriffen und magischen Kreisbewegungen seines Handys, hatte er den Kompass kalibriert und wartete nun auf das genaue GPS-Signal. Stefan sah Gwen an und zwinkerte ihr zu. Dann ging Phil langsam los und beobachtete die Kompassnadel auf seinem Handy ganz genau. Es waren nur noch einhunderteinundachtzig Meter und sie würden die Lichtung verlassen und wieder in den Wald abbiegen, soviel war klar. Die Nadel pendelte etwas, deutete aber immer wieder in Richtung Wald. Noch zweiundneunzig Meter und Phil wurde langsamer. Gwen und Stefan folgten ihm in einigem Abstand und unterhielten sich über das vor ihnen liegende Abendprogramm. Noch dreiundvierzig Meter, als er um die Kurve kam und von seinem Handy aufsah. Er sah die Steigung … und er sah noch etwas, was ihn wie angewurzelt stehen ließ.

      Auch Gwen stockte der Atem, als sie ihren Sohn wie versteinert stehen sah. Blitzschnell erfasste sie die Situation und ihr war sofort klar, dass die Person im Graben Hilfe benötigte – wenn es nicht schon zu spät wäre.

      Sie sprintete los und gab Stefan eine harsche Anweisung: »Versuch einen Notarzt zu verständigen!«

      In ihrem Kopf liefen wieder die Bilder von Pauls Geburtstagsfeier ab. Wie sie feierten, anstießen und wie Paul zusammenbrach. Als Michael Peters, der Gerichtsmediziner, sofort zur Tat schritt und Paul helfen wollte. Wie sie den Notarztwagen holten und Paul ins Krankenhaus brachten … und schließlich, wie alle Wiederbelebungsversuche erfolglos blieben und Paul in der Nacht verstarb. Gwen hatte das Gefühl, wie in Zeitlupe zu laufen und die Bilder in ihrem Kopf kamen ihr surreal vor. Als wenn die Bilder über ihr schwebten, während sie hier im Wald in den Bergen zu der Person im Graben lief und sie alles als Außenstehende beobachten würde. Dabei war sie mittendrin. Wie in Trance erreichte sie den Graben und kniete sich neben den reglosen Körper.

      »Hallo«, schüttelte sie ihn, »können Sie mich hören?« Sie drehte die Person auf die Seite. Sie war kalt und steif. Sie blickte in ein entstelltes und verdrecktes Gesicht, legte aber ihr Ohr an seine Nase und beobachtete den Brustkorb. Es gab keinerlei Anzeichen von Atmung. Kein Anzeichen von Leben. Gwen setzte sich resignierend neben den Toten.

      »Was ist mit dem Notarzt? Hast du jemanden erreicht? Ich denke, wir brauchen eher nur die Polizei und einen Leichenwagen!«, richtete sie die ersten Worte an Stefan, als er auf sie zukam. Dann bemerkte sie, wie Phil immer noch starr die Szene beobachtete. Sie musste ihm eine Aufgabe geben, um ihn abzulenken.

      »Phil, kannst du feststellen, wo wir hier sind und wie weit es bis zum nächsten Haus ist?«

      Stefan deutete auf sein Handy: »Überhaupt kein Empfang, Gwen. Wir müssen irgendwie anders die Polizei informieren.«

      »Ich habe auch keinen Handyempfang, Mama, aber durch GPS weiß ich ja, wo wir sind. Lebt er noch?«

      Sie schüttelte den Kopf: »Nein, aber lass mich kurz überlegen.«

      Die Bilder in ihrem Kopf starteten aufs Neue. Gwen schloss die Augen und atmete tief ein und aus. Ihre Gedanken waren wieder im Hier und Jetzt angekommen.

      »Stefan, du bleibst hier und bewachst die Fundstelle. Ich gehe mit Phil ins Dorf und hole die Polizei. Phil, kannst du dir die Position von hier auch merken, damit wir wieder zurückfinden?«

      »Klar, schon erledigt!«

      Gwen gab Stefan noch einen Kuss und umarmte ihn zur Verabschiedung. »Wir beeilen uns und sind bald zurück«, versprach sie.

      »Du bist ja wie ausgewechselt«, flüsterte er Gwen ins Ohr, als sie die Umarmung lösten.

      Gwen blickte ihn mit wachen Augen an. »Ja, ich fühle auch gerade, dass ich mich nützlich machen kann.«

      »Dann geh! Desto schneller seid ihr wieder hier!«

      Sie winkte Stefan zu und fasste Phil an der Hand. Dann ließ sie sich von ihm führen, da er mit seinem Handy den Weg kannte.

      Nach einer guten Stunde Fußmarsch erreichten sie den nächsten Ort. Zwischenzeitlich hatten sie wieder Telefonempfang und überlegten, die Polizei direkt zu rufen. Diese Idee verwarfen sie aber, da der Tote nicht mehr weglaufen würde. Stefan bewachte den Bereich, sodass auch andere Fußgänger hier keinen Schaden anrichten würden. Allerdings war es sehr unwahrscheinlich, dass weitere Fußgänger denselben Weg nehmen würden, denn sonst hätte jemand anderes den Toten eher gefunden. Da er mittlerweile aber schon kalt und steif war, überlegte Gwen, musste er schon vor einigen Tagen verstorben sein und seitdem war niemand mehr diesen Weg gegangen. Sollten sie die Polizei vielleicht doch direkt informieren? Dann würden sie sicherlich auch mit dem Polizeiwagen wieder zum Fundort zurückfahren und sich einiges an Fußweg sparen können. Phil würde dann eine wichtige Rolle übernehmen, da er nun mal die exakten Koordinaten kannte, sodass er die Polizisten leiten könnte. Es war für Phil wichtig, mal wieder ein Erfolgserlebnis zu haben und auch Gwen verspürte trotz Urlaub, Lust bei den Ermittlungen mitzuarbeiten. Allerdings würde Stefan das bestimmt nicht schmecken, dachte sie und verwarf den Gedanken erneut.

      Sie erreichten die überschaubare Polizeistation. Hinter dem Tresen saß ein kleiner, dickbäuchiger, älterer Mann mit grauweißem Haar. Die müssen hier aber ganz schön lange arbeiten, bevor sie in den Ruhestand gehen dürfen, witzelte Gwen innerlich, als sie den Polizisten ansprach.

      »Servus, guter Mann. Wir brauchen bitte ihre Hilfe.« Der Mann erhob sich und musterte Gwen und Phil ganz genau.

      »Junges Fräulein, wie können wir Ihnen denn helfen? Ist Ihr Hündchen entlaufen?«, entgegnete er.

      Gwen war perplex und wollte ihn zurechtweisen, entschied dann aber ihre Identität und ihren Dienstgrad vorerst für sich zu behalten.

      »Sie werden es nicht glauben, aber wir haben in Ihrem schönen Alpendorf einen Toten gefunden. Mein …«, Gwen suchte nach der richtigen Bezeichnung ihres ›Beziehungsstatus‹ zu Stefan. »Meine Begleitung wartet oben beim Fundort und wir sind den Weg ins Tal gelaufen, um die Polizei zu informieren. Mein Sohn hat die genauen Koordinaten auf seinem Handy gespeichert und kann Sie zu der Stelle hinführen.« Gwen nahm Blickkontakt zu Phil auf und deutete ihm an, dem Polizisten den Ort mitzuteilen. Phil nahm sein Handy und öffnete die Navigation, um dem Polizisten die markierte Stelle zu zeigen.

      »Hmm, das ist oben am ›Loser‹ … und Sie sind sicher, dass er tot ist?«

      Gwen sah ihn ungläubig an und nickte nur still vor sich hin. Dieser Mann traute ihr ja nicht einmal zu, einen Toten von einem Lebendigen zu unterscheiden.

      Gemächlich wandte sich der Polizist um, als wenn er demonstrativ sagen wollte, dass sie sich bei einem Toten ja nicht mehr beeilen mussten. Er schien etwas