Auch unser Held war bisher Glied einer solchen Kette: Er aß Früchte und wurde selbst vom Tiger gefressen.
Nun beginnt er diese Kette plötzlich zu zerreißen. Er isst Dinge, die er bisher nicht gegessen hat, und weigert sich, weiterhin die Nahrung des Säbeltigers Machairod zu sein, wie es seine Vorfahren Hundertausende von Jahren gewesen sind. Woher nahm er den Mut dazu? Wie konnte er sich entschließen, vom Baum auf die Erde zu steigen, wo ihm die scharfen Zähne der Raubtiere drohten? Das war doch für ihn das Gleiche, wie wenn eine Katze vom Baum herabklettert, während sie unten ein scharfer Hund erwartet.
Diesen Mut bekam der Mensch durch seine Hand. Der gleiche Stein oder Stock, der zur Beschaffung der Nahrung diente, eignete sich auch zur Verteidigung. Das erste Werkzeug des Menschen war auch seine erste Waffe. Außerdem streifte der Mensch nie einzeln durch die Wälder. Die Raubtiere stießen auf den Widerstand der ganzen – jetzt bewaffneten – Horde.
Wenn die Katze nicht allein auf dem Baum säße und sich mit einem Stock bewaffnen könnte, würde sie sich wahrscheinlich auch nicht ängstigen, sondern vom Baum herabsteigen und selbst den wütenden Hund verjagen. Und schließlich darf das Feuer nicht vergessen werden, mit dessen Hilfe der Mensch die wildesten Tiere erschrecken und verscheuchen konnte. Vom Baum auf die Erde, aus dem Wald in die Flusstäler richtete sich der Weg des Menschen, nachdem es ihm gelungen war, seine Ketten zu sprengen.
Woher wissen wir, dass der Weg des Menschen in die Flusstäler führte? Seine Spuren weisen dorthin. Aber wie konnten sich denn die Spuren des Menschen bis auf unsere Zeit erhalten?
Wir sprechen nicht von gewöhnlichen Spuren, von Fußspuren, sondern von den Spuren, die seine Hände hinterlassen haben. Vor ungefähr hundertsechzig Jahren arbeiteten in Frankreich, im Tal der Somme, Erdarbeiter. Sie gewannen dort aus den Flussanschwemmungen Sand, Kies und Steine. Vor langer, langer Zeit, als die Somme noch jung war und sich ihren Weg bahnte, war sie so schnell und stark, dass sie große Steine mit sich tragen konnte. Im Bett des Flusses schlug Stein an Stein, alle Unebenheiten der Felstrümmer wurden abgeschliffen, und es entstanden glatte, runde Kiesel. Später, als sich der Fluss beruhigte, blieben die Kieselsteine im Sand und Lehm liegen.
Aus diesen Lehm- und Sandbänken gruben die Spaten der Erdarbeiter die schönen, gleichmäßigen Kiesel aus. Aber sonderbar: manche Steine waren gar nicht eben und glatt, sondern im Gegenteil ungleichmäßig, so als ob sie von beiden Seiten zurechtgeschlagen wären. Wer konnte ihnen diese Form gegeben haben? Sicherlich nicht der Fluss, der die Steine schleift. Diese merkwürdigen Steine kamen Herrn Boucher de Perthes zu Gesicht.
Boucher de Perthes war ein Gelehrter, der in der Nähe des Fundortes wohnte. Er besaß eine reiche Sammlung verschiedener Funde, die er in der Erde am Ufer der Somme aufgelesen hatte. Da waren Eckzähne des Mammuts, Hörner des Nashorns und Schädel des Höhlenbären. Boucher de Perthes sammelte und studierte liebevoll die Überreste jener Ungeheuer, die irgendwann einmal zur Tränke an die Somme gekommen waren, ebenso häufig wie heute die Pferde und Schafe der Bauern. Aber wo war der Urmensch selbst? Von ihm konnte Boucher de Perthes keinerlei Knochen finden.
Und nun sah er plötzlich die sonderbaren Steine, die man im Sande gefunden hatte. Wer hatte sie so an beiden Seiten zugeschärft? Boucher de Perthes war sich sofort im Klaren: das konnte nur der Mensch gewesen sein. Mit ungeheurer Aufregung betrachtete er seinen Fund. Natürlich, das waren nicht Überreste des Urmenschen selbst. Aber es waren seine Spuren – Spuren seiner Arbeit. Hier hatte nicht der Fluss gearbeitet, sondern die Hand.
Über seine Entdeckung schrieb Boucher de Perthes ein Buch, das er kühn benannte: „Von der Schöpfung – ein Werk über die Entwicklung und Entstehung der Lebewesen“.
Da begann der Kampf. Von allen Seiten wurde Boucher de Perthes angegriffen, ebenso wie Dubois. Die angesehensten Archäologen suchten zu beweisen, dass dieser Provinzamateur nichts von der Wissenschaft verstehe, dass man seine steinernen „Äxte“ als Fälschungen ansehen müsste, dass sein Buch zu verurteilen sei, da es einen Anschlag auf die Lehre der Kirche von der Schöpfung des Menschen darstelle. Volle fünfzehn Jahre dauerte der Krieg zwischen Boucher de Perthes und seinen Gegnern. Er wurde grau und alt, aber er kämpfte hartnäckig und bewies das hohe Alter des Menschengeschlechts. (Wir wissen inzwischen dank fortgeschrittenster Technik und Untersuchungsmethoden sehr genau die Entwicklungsschritte der Natur, von Pflanzen, Tieren und von uns Menschen, während Boucher de Perthes noch etwas im Ungewissen herumstochern musste.)
Es war damals ein ungleicher Kampf, und doch siegte Boucher de Perthes. Zur rechten Zeit kamen ihm die Geologen Lyell und Prestwich zu Hilfe. Sie reisten ins Sommetal, prüften die Fundorte, studierten Perthes‘ Sammlungen sorgfältig und erklärten die von ihm gefundenen Werkzeuge nachweislich für Werkzeuge des Urmenschen, der in Frankreich gelebt hatte, als es dort noch Elefanten und Nashörner gab. Das Buch von Lyell „Geologische Beweise für das Alter des Menschen“ entzog allen Angriffen auf de Perthes den Boden.
Dafür erklärten seine Gegner jetzt, dass de Perthes eigentlich nichts Neues entdeckt habe, dass schon viel früher Werkzeuge des Urmenschen gefunden worden seien. Darauf antwortete Lyell treffend: „Jedes Mal, wenn die Wissenschaft etwas Wichtiges entdeckt, sagt man zunächst, dass es der Religion widerspreche, um dann zu erklären, dass es allen längst bekannt sei.“
Solche steinernen Werkzeuge wurden nun, nachdem de Perthes ihre Natur erkannt hatte, allenthalben gefunden. Am häufigsten entdeckte man sie in Gruben an Flussufern, wo Steinschutt und Sand gewonnen wurde. So stoßen die Spaten und Bagger der heutigen Arbeiter in der Erde auf die Werkzeuge jener Zeiten, da die Menschen das Arbeiten überhaupt erst erfanden.
Die ältesten Werkzeuge sind Steine, die mit einem anderen Stein auf zwei Seiten zurechtgeschlagen wurden. Zusammen mit diesen Steinwerkzeugen haben sich die Späne und Splitter erhalten, die bei ihrer Herstellung entstanden. Diese Steinwerkzeuge, das sind die Spuren der Hände, Spuren, die zu den Flusstälern und Sandbänken führen. Hier, in den Flussanschwemmungen und auf den Sandbänken, suchte sich der Mensch das geeignete Material für seine künstlichen Krallen und Zähne. Das war schon eine echt menschliche Tätigkeit. Das Tier kann wohl Nahrung und Material zum Nestbau sammeln, es sucht aber nie das Material zur Bildung seiner Krallen und Zähne.
Wir alle haben von der Technik der Tiere gehört und gelesen oder sie selbst beobachtet. Wir kennen tierische Bauarbeiter, Zimmerleute, Weber; ja sogar Schneider gibt es unter den Tieren. Wir wissen zum Beispiel, dass die Biber mit ihren scharfen, kräftigen Schneidezähnen Bäume fällen, ebenso gut wie Holzfäller, und dass sie aus den Stämmen und Zweigen einen richtigen Deich bauen, der den Fluss aufhält, so dass er über die Ufer tritt.
Und fast jeder kennt doch die gewöhnlichen roten Waldameisen. Man braucht nur mit einem Stock im Ameisenhaufen zu scharren, um zu sehen, was das für ein geschickter, vielstöckiger Bau ist – ein richtiger Wolkenkratzer aus Tannennadeln. Es erhebt sich die Frage: Hätten die Ameisen oder die Biber nicht die Möglichkeit, es dem Menschen irgendwann einmal gleichzutun, wenn er nur nicht immer wieder ihre Arbeiten zerstören würde? Könnte es nicht sein, dass, sagen wir in Millionen Jahren, Ameisen ihre Ameisenzeitungen lesen, in Ameisenfabriken arbeiten gehen, in Ameisenflugzeugen fliegen und in ihrem TV die Sendung „Ameisen‘s next Topmodel“ von Heidi Ameiso-Klum sehen können?
Die Wissenschaft meint, dass es niemals dazu kommen wird. Denn zwischen Menschen und Ameisen besteht ein sehr wichtiger Unterschied. Worin besteht der Unterschied?
Etwa darin, dass der Mensch größer ist als die Ameise?
Nein.
Oder darin, dass die Ameise sechs Beine hat und der Mensch nur zwei?
Nein, wir sprechen von einem ganz anderen Unterschied.
Wie arbeitet