Die Ungeliebten. Anita Florian. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anita Florian
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738078459
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sich den Baum staunend an, ihr Kopf folgte ihrer Höhe bis in den Abendhimmel. Gegenüber stand das kleine Geschäft mit seinen hübsch dekorierten Auslagen. Hinter den vier Scheiben waren Textilien und modische Kleider, die drei gut angezogene Schaufensterpuppen einladend präsentierten, ausgestellt. Die Frau bestaunte die Waren und überlegte gleichzeitig, dass sie morgen wieder zurückkommen und sich die Sachen genauer anschauen wolle. Ein paar Ideen konnten nicht schaden und ein bisschen Anregung holen kostete schließlich nichts. Am Vordereingang kam man in den Lebensmittelgeschäftsbereich. Alles lag in Reichweite, die Preise waren günstig und schon nach ein paar Minuten zu Fuß leicht zu erreichen. Ignazia hatte auch daran gedacht. Die junge Frau strahlte glücklich. Ignazia legte den beiden ein kleines Paradies vor die Füße. Wie sollte sie ihr das nur danken?

      Der Regen wurde stärker. Rasch bogen sie in die kleine Strasse ein. Das kleine Mädchen hatte nasse Haare die unter der Mütze hervorlugten und ein nasses, triefendes Gesicht, atmete schwer und schnell. Ihre Mutter, die ebenso erschöpft und nass immer wieder ihre langen Haare aus der Stirn strich, seufzte und schüttelte den Kopf. Laufend musste sie das Kind beruhigen. Aber schon bald erreichten sie die kleine Siedlung. Edengasse 59, ihr neues Zuhause, die endlich erlangte Freiheit. Sie waren früher als gedacht angekommen. Müde, aber zufrieden blieben sie vor einen Zaun stehen. Die schwere Tasche stellte die Frau unsanft auf den nassen Boden ab, schüttelte ihre klamme Hand und rieb sich danach die Hände. Ein großes Aufatmen…. endlich angekommen! Sie verschnauften eine kleine Weile und am liebsten hätte die Frau vor Freude laut aufgeschrieen. Wir sind da, ein eigenes Dach über den Kopf, da ist es nun, wir brauchen nur noch hineinzugehen und anfangen zu wohnen! Alleine leben, alleine entscheiden, tun und lassen was man gerade begehrt und niemand ist hier, der etwas auszusetzen hat. Ein fremdes Gefühl, ein wohliges Gefühl, ein völlig ungewohntes Gefühl, dass sie beinahe vergessen hatte. Sie beugte sich zu ihrem Kind hinunter und küsste es auf die Wange. Mit feuchten, glücklichen Gesichtern betrachteten sie das Haus. Der Nebel verflüchtigte sich nun etwas und stellenweise löste er sich schon auf. Das ist ein gutes Zeichen, war sie stolz überzeugt.

      Vier Familien hatten in dem Haus Platz. Dies verrieten vier Schwachbeleuchtete, verschlissene Namensschilder die neben dem Zaun in einem kleinen Zementpfahl eingemauert waren. Nur eines war unbeschriftet, ihres, aber schon bald würde auch ihr Name darin stehen. Franzine Tennenbach; sie lächelte, denn es verlieh ihr ein Gefühl von Selbstständigkeit und Stolz. Sie zog ein Taschentuch aus der Manteltasche, wischte ihrer Tochter und sich selbst das Gesicht ab. Es wird wunderbar hier zu leben sein, war sie sich sicher; nicht so hektisch wie in der Stadt, wo alle in riesigen Betonkästen hausten und sich gegenseitig das Leben schwer machten. Besser konnten wir es gar nicht erwarten. Eine alte, hölzerne Umzäunung umgab das mit Holzschindeln betäfelte Haus, das kleine Gartentürchen mit altmodischem Riegel war geschlossen. Ein paar Augenblicke lang erkundeten sie die Umgebung. Die Außenlampe, die über der Eingangstür angebracht war, ließ mit ihren matten Strahl in das Innere des Zaunes blicken. Dahinter befand ein kleiner Vorgarten der liebevoll angelegt war. Links gab es einen kleinen Rasen mit zwei blattlosen Bäumen darin, geduldig wartend auf den nächsten Frühling. Sorgfältig zurück gestutzte Rosensträucher taten es nach, umkreisten die kleine Fläche mit ihren stumpfen Zweigen. Rund ums Haus führte ein angelegter Weg, dicht mit weißen Kieselsteinen ausgestreut. Zwei kleine Gärtchen, das eine mit einem ebenfalls kahlen Baum, das andere mit einer winzigen Wiesenfläche gehörten zur rechten Seite. Kein einziges Laubblatt war auf dem Boden zu finden, der kleine Kieselweg war sorgfältig glattgerecht.

      „Das sieht doch hübsch aus, im Frühjahr wird es hier wunderbar blühen, “ sagte die Frau, „gefällt es dir? Na komm, gehen wir rein“. Schnell nahm sie ihr Kind und zog der Kleinen lachend die Mütze über die Augen und stupste ihr auf die Nase. Sie öffnete das kleine Tor und beide schritten langsam den Eingang zu. Ein paar Steinstufen führten zur Haustüre, ihre Schritte hallten laut in der Stille.

      Die Wohnung lag im ersten Stock, die Weißgestrichene Eingangstüre befand sich links der Treppe, der dazu passende Schlüssel lag unter der Fußmatte genau in die Mitte geschoben, so wie es Ignazia bestens organisiert und Franzine genauestens erklärt hatte.

      Ein kleiner, dunkler Vorraum tat sich auf, die Toilette war rechts zu finden, Küche und Zimmer befanden sich geradeaus durch die alte Holztüre die sie langsam öffneten. Es gab kein Badezimmer, nicht mal eine Blechbadewanne war vorhanden. Die Wohnung war sehr einfach und dürftig eingerichtet bot aber trotzdem ein behagliches Bild ab: Links in der Küche stand ein alter Tischherd mit Holz oder Kohle zu beheizen, eine Gelbgestrichene Anrichte stand mit viel Stauraum daneben, dann die Spüle, rechts stand eine alte Bettbank, davor ein abgenutzter Tisch mit zwei uralten Stühlen. Das Schlafzimmer bestand aus einem Doppelbett und einem großen Schrank, eine Psyche mit Spiegel stand verlassen an der leeren linken Wand, der alte Holzfußboden gab bei jedem Schritt ein knarrendes Geräusch von sich. Die Wände waren kalkweiß gestrichen, kein einziges Bild war an ihnen zu finden. Der einzige Farbtupfer war der billige Bodenbelag in der Küche, der gelb mit roten und grünen Kästchen gemustert war.

      Ein Karton stand auf dem Küchenboden. Während sich die Mutter hinkniete und sich um den Inhalt kümmerte, stand die Kleine stumm daneben und beobachtete sie neugierig. Sie packte ein Paket Suppennudeln aus, ein paar Suppenwürfel, ein paar Löffel Zucker abgepackt in einem Nylonsäckchen, Teebeutel die lose darin lagen, ein Paket Reis, sechs Stück Eier die sogar ganz geblieben sind, Kartoffeln, eine Dose konservierte Linsen und weißes Mehl, abgefüllt in einer Keksdose, ein Säckchen Salz, ein achtel Kilogramm Butter und einen halben Laib Brot, sie nahm die Lebensmittel und räumte alles in den Schrank. Keine Bonbons, keine Schokolade. Kein Kuchen. Fürs erste waren sie wenigstens versorgt, der Vorrat würde für ein paar Tage ausreichen. Ein Geschenk des Himmels.

      Das kleine Mädchen zitterte vor Kälte, bittend sah sie zu ihrer Mutter hoch. Sie schüttelte traurig den Kopf, zuckte mit den Schultern und suchte in ihrer Tasche nach einem Handtuch.

      „Komm, nimm die Mütze ab, ich trockne dir die Haare“. Mit dem Handtuch rieb die Frau ihr den Kopf, danach kämmte sie ihre halblangen Haare die von der Nässe ziemlich verfilzt waren. Das Mädchen versuchte tapfer zu bleiben, obwohl es wehtat, wenn ihre Mutter vergaß, das Haarbüschel zurückzuhalten. Doch auch das ging vorüber. Es war eiskalt in der Wohnung und die Frau meinte, dass es für heute besser wäre, früh ins Bett zu gehen. „Es wird bestimmt wärmer unter der Decke sein, nicht wahr“, die Frau nieste, „wir müssen uns dringend aufwärmen.“ Das Mädchen nickte. Die Suche nach einer Wärmeflasche blieb erfolglos, doch die durchgefrorenen Füße mussten sie irgendwie warm bekommen. Mir wird schon was einfallen, dachte die Frau, die Kleine muss sich unbedingt aufwärmen, ich will nicht, dass sie womöglich noch krank wird.

      Jemand klopfte heftig an die Außentüre. Die beiden sahen sich erschrocken in die nassen Gesichter. Wer konnte denn schon Bescheid wissen dass sie gerade in dieser Minute angekommen sind? Ein unsicheres Gefühl beschlich sie kurz, nein, unmöglich, keine Menschenseele kannte sie hier in der neuen Gegend, niemand ist ihnen auf den Weg begegnet und es gab auch keinen der sie verfolgt hätte. Ganz ruhig bleiben, durchatmen. Sollte sie hingehen und öffnen? Langsam schritt die Frau zur Eingangstüre und öffnete sie zögernd, ohne vorher zu fragen, wer sich draußen befände. Eine schlampige ältere Frau stand auf der Matte, die sich krampfhaft um ein freundliches Lächeln bemühte. Dieses unfeine Wesen blickte ihr starr in die Augen, aus ihrem Mund schimmerten nikotinverfärbte Zähne hervor. Verwundert bemerkte die Mutter dass sie hinter ihrem schmutzigen Hauskleid etwas verbarg. Die Fremde schielte ihr grinsend entgegen und stellte sich als Frau Edler vor. Sie musterte Franzine mit einigen neugierigen Blicken und grinste ihr unverschämt ins Gesicht.

      Das muss wohl die Nachbarin sein, dachte die Mutter, die gegenüberliegende Tür stand einen Spalt breit offen. Langsam holte die Schielende einen Umschlag hervor und tastete daran herum als wolle sie unbedingt den Inhalt erraten. Es kümmerte sie nicht im Geringsten, dass der Brief für ihre neue Nachbarin bestimmt war, sie drückte noch an den Brief herum bevor sie ihn der neuen Nachbarin übergab. Neugierde war eines ihrer Schwächen, das war offensichtlich. Die junge Frau sah geduldig diesem seltsamen Verhalten zu, doch sie wagte nicht, etwas zu sagen.

      „Guten Tag“, sagte die Schielende schroff, „sind Sie Frau Tennenbach, Franzine Tennenbach? Das hat gestern jemand für Sie abgegeben, aber fragen