Die Ungeliebten. Anita Florian. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anita Florian
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738078459
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Jetzt als erwachsene überzeugte Konfessionslose empfand sie dies als widersprüchlich, und wahrscheinlich würde dieses Luftzeichen auch überhaupt nichts nützen. Davon war sie felsenfest überzeugt. Aber gerade in diesem Landkreis war es üblich, einer Religion anzugehören, und zwar der weit verbreitete katholische Glauben der geradezu Pflicht war und Außenseiter von denen bekannt war dass sie nie die Türschwelle einer Kirche betreten werden, eher schief angesehen und nicht die beliebtesten Bürger des jeweiligen Ortes waren. Schon als Kind wurde ihr dies von ihrer Mutter beigebracht und zwangen sie schon in der Schule zum Unterricht, den Kaplan Herald mit Strenge und Autorität führte, aufmerksam mitzumachen und gehorsam zu folgen. Es gab kein Entrinnen, jeder hatte seinen Glauben, seine Bekenntnisse mit Ausnahme ihres Vaters Eduard, der sich so weit wie möglich von den christlichen Geboten fern hielt. Widerreden wurden nicht gestattet, Mutter Freya beharrte streng darauf den Kindern die Erziehung angedeihen zu lassen die sie zu anständigen, liebevollen Ehefrauen machen sollten. Wie oft hatte sie sich das anhören müssen? Sie schien die einzige zu sein, die davon verschont geblieben war und niemals so etwas wie einen Glauben besaß, auch wenn es ihr noch so oft eingetrichtert wurde. Vielleicht gerade dann, wenn die fordernden Worte des Kaplans zu heftig auf sie niederprasselten und sie zwingen wollten, darüber nachzudenken. Das Resultat war ihre Ablehnung, gemischt mit Zorn, den sie dann nur schwer verbergen konnte. Sie war eben nicht zu bekehren und von diesem Standpunkt war sie nicht abzubringen. Nicht einmal in einem erzkonservativen Land, und schon gar nicht jetzt, wo alles so gut lief. Kirchen oder andere Anbetungsstätten waren nichts für sie, alles Humbug, Geldverschwendung und Zeitvergeudung. Worte ihres seligen Vaters, die ihr noch oft in den Ohren hämmerten. Damals, als kleines lebensfrohes Kind, freute sie sich auf die Sonntage nur deshalb, weil es Eduard nur widerwillig erlaubte, sie und ihre Schwester Dorothea in die Messe gehen zu lassen. Der sonntägliche Bettelkampf endlich in die Kirche zu dürfen hatte freilich einen anderen Grund: Nach der endlosen, langen Predigt, als endlich alle aufstanden und zum Ausgang drängten, erst dann kam der ersehnte Moment, worauf sie sich am meisten freuten: Was alle Kinder sehsüchtig begehrten zur damaligen Zeit; in Glanzpapier eingewickelte Bonbons, Schokolade, bunte Zuckerstangen und herrliche Kekse. Eine betagte Witwe, die Kinder sehr liebte, verteilte die süßen Köstlichkeiten nach der Messe vor der Kirchentür und jedes der Kinder bekam leuchtende Augen wenn sie ein kleines Päckchen in die Hand gedrückt bekamen. Die freundliche Gestalt, selbst der glücklichste Mensch in diesen Augenblicken, genoss die Freude der kleinen Leute mit feuchten Augen. Für Franzine und Dorothea waren dies die einzigen süßen Leckerbissen, die sie als Kind auch außerhalb der Feiertage genießen konnten. In ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, konnten beide die Weihnachtsfeiertage oder das Osterfest kaum erwarten, denn nach dem Festmahl, dass meistens aus einem fetten Schweinebraten und Semmelknödeln bestand, folgte entweder die Bescherung am Weihnachtstag im Winter, oder im Frühjahr das Osternestsuchen im Freien, was ein wahres Abenteuer für beide bedeutete. Gute Tante Cecilia, von ihr kamen jedes Jahr zwei Pakete mit Büchern und Schokolade, die sie aus Amerika schickte und dies auch nie vergaß. Wie zwei Schneekönige freuten sie sich unter den karg geschmückten Weihnachtsbaum wenn dieses große, eigens für sie bestimmte Paket mit wildem Eifer öffneten und wie die hungrigen Tiere über das Naschzeug herfielen. Oder das gut gefüllte Osternest, das versteckt im frisch angebauten Gemüsegarten hinter einem Erdhügel unter einem aufblühenden Fliederstrauch auf sie wartete. Ein großes mit grünem Seidenpapier ausgelegtes Vogelnest mit Hartgekochten bunt gefärbten Eiern, Schokoladeneiern und Schokohasen, ließen sie vor Freude jubeln. All das lag nun schon lange Jahre zurück, doch manchmal erinnerte sie sich noch an diese unbeschwerten Zeiten die mit der heutigen mit nichts mehr zu vergleichen waren. Ihr Vater aber, ein überzeugter Atheist, scheute diesen Kirchenkram, wie er es verächtlich nannte, wie der Teufel das Weihwasser. Ihre Mutter musste sonntags zu Hause bleiben, denn Vater verbot ihr den Kirchgang und alles was nur in Entferntesten damit zu tun hatte. Kein Rosenkranz wurde im Haus geduldet. Freya litt manchmal an den Vorsätzen ihres Gatten, doch sie blieb stumm.

      Franzine unterließ diese Geste, packte die Hand ihrer Tochter und beide marschierten schnellen Schrittes wieder vorwärts. Nach ein paar Minuten schlichen sich bei ihr Bedenken ein, sollte sie nun, oder sollte sie nicht? Gerade in ländlichem Gebiet sollte man sich bekreuzigen, vor allem dann, wenn man nur zwei Meter vor der Kirchentüre entfernt inne hielt und sie anstarrte. Wenn das nun der Gemeindepfarrer aus dem Hinterhalt wahrgenommen hat, vielleicht stand er irgendwo in der Nähe am Fenster und sah gerade zufällig auf die Straße? Soll er doch…, dachte sie, ich mag sie nun mal nicht, diese dicken, leiernden Geistlichen in den langen Gewändern. Bei diesem Wetter konnte er sie ohnedies nicht erkennen, und in die Kirche bringen sie keine zehn Pferde mehr. Er konnte ihr also nichts anhaben. Sie besann sich nun schnell wieder anders. Doch die nagenden Bedenken regten sich in ihr, die in ihre Seele durchzudringen versuchten und sich unaufhaltsam ins Gewissen einnisten wollten. Sie atmete tief ein, die kühle Luft verlieh ihr wieder etwas Frische. Die aufdringenden Zweifel hatten mit einem mal keine Chance mehr, sie schüttelte sie wie Wassertropfen von sich ab. Schluss damit, weg mit diesen quälenden Gedanken, sonst lähmen sie mich zu sehr. Die junge Frau hob den Kopf und lächelte. Sie dachte an Ignazia, die genau zur richtigen Zeit in ihr Leben trat. Sie war es, die mich da rausgeholt hat, die mir einen neuen Lebensweg zeigte. Sie war es, die mir Mut zusprach und sie ermöglichte es schließlich auch, dass wir jetzt ein Dach über den Kopf haben, unter dem wir bald in Ruhe leben werden. Und so konzentrierte sie sich nur noch auf ihr neues Heim, auf ihre Unabhängigkeit und auf Bernadette, ihrer fünfjährigen Tochter, die sie nun mit aller Kraft die sie noch aufbringen konnte, an der Hand in ein besseres Leben mitschleifte. Mühsam erreichten sie endlich den Bahnübergang. Die Schranken waren hochgezogen, der alte Bahnhof lag rechts im blassen Dämmerlicht ruhig da. Es ist fast geschafft, dachte sie, ich kann es kaum erwarten, wir gehen in unser neues, eigenes Zuhause. Allein der Gedanke daran, verlieh ihr eine ungeahnte, körperliche Kraft die sie immer weiter vorwärts trieb. Lächelnd sah sie zu ihrer kleinen Tochter hinab, die weinend und trotzig neben ihr herschritt. Beim Überqueren der Bahngleise stieg auf einmal ein beklemmendes Gefühl hoch, die Erinnerungen waren noch frisch, obwohl es erst 3 Wochen zurücklag was damals geschehen war. Doch ihr Mut war größer, diese schrecklichen Erinnerungen sollten keine Gewalt über sie bekommen. Einfach nicht mehr daran denken und weitermarschieren. Es lohnte sich nicht darüber nachzudenken. Nicht jetzt. Es würde im Augenblick nichts daran ändern. Sie wollte wie ein Felsen in der Brandung sein, eine starke, aufrechte Persönlichkeit, dass für sich und ihr Kind allein aufkommen konnte. Die ersten Schritte waren mühevoll, doch sie waren die richtigen. Sie mussten es schaffen, und sie werden es auch schaffen! Das Bahngelände lag bald hinter ihnen, die dunkelgraue Straße auf der sie vorwärts schritten begann sie fast zu lieben. Die Strasse in die Freiheit!

      Als sie auf der ersten der drei Brücken standen, sahen sie über das Gelände nach unten. Tiefe Schwärze bereitete sich aus, nur ein leises, schwaches Plätschern drang nach oben. Der tief unten liegende Fluss schien schon sehr müde zu sein. Gleich danach kamen sie zur zweiten Brücke, der kleine Kanal, der gemütlich in seinem künstlich gemauerten Flussbett hinunter floss, konnten sie ebenso wenig sehen, nur die betonierten Uferränder waren an beiden Seiten gerade noch zu erkennen. Die Straßenlaternen gaben jetzt noch schwächere Beleuchtung ab, gerade so viel, dass sie den Weg, wenn sie gut aufpassten, ungehindert fortsetzen konnten. Nur ein paar Schritte weiter tauchte ein kleiner Gemischtwarenladen auf, er war kaum zu sehen in der Dämmerung und dem schlechten Wetter, aber es war genau dieser kleine Laden, den Ignazia gemeint hatte. Knapp davor erreichten sie noch die dritte und letzte Brücke. Im Gegensatz zu den beiden anderen Flüssen, schien dieser das Leben selbst zu sein. Im Grunde war es kein Fluss, sondern ein wild hinabbrausender Bach dem es fast zu eng in seinem Bett wurde. Sein lautes Rauschen beängstigte sie ein wenig, aneinander festhaltend liefen sie schnell über den Brückensteg. Wieder links führte eine kleine Pflastersteinstrasse, umgeben von Feldern und ein paar einfach errichteten Wohnhäusern in ihr neues Daheim. Kein einziges Mal kamen sie in der Dämmerung vom Weg ab, der Orientierungssinn der jungen Frau war gut ausgeprägt und somit sparten sie auch Zeit. Am Ufer des wilden Baches war eine große, stolze Trauerweide gewachsen, die riesig, wie ein Gigant, plötzlich vor ihnen in die Höhe ragte. Ihre Zweige neigten sich kraftlos zur Erde. Ihre stattliche Größe ließ den Baum wie einen überdimensionalen Wächter wirken, der jedem, der die kleine Strasse einbog, das Gefühl erweckte, gut beschützt und geborgen daheim anzukommen. Die Äste und Zweige konnte man