Die Ungeliebten. Anita Florian. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anita Florian
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738078459
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dachte, sollte die Familie nicht erfahren. Dieser Weg musste der Richtige sein, bei all dem Verständnis die sie aufbringen konnte, ihrem Mann zuliebe, wäre dies nun die beste Lösung. Unwillkürlich nickte sie andeutungsweise, sah nach Bernadette und lächelte zufrieden als die ihre Tochter friedlich schlummernd atmen sah.

      Langsam erhob sich Ferry, nahm seine Lederjacke vom Haken an der Tür und machte sich daran, sich zu verabschieden. Er vergewisserte sich, ob sein Reisepass in der Innentasche steckte. Senta hatte den Vorzug und seine Umarmung, die lang und innig ausfiel, brachten nicht nur Senta, sondern auch Franzine zum Weinen. Ungewiss war wieder seine Reisedauer, Geld konnte Senta ihm diesmal nicht auf den Weg geben, sie besaß für den Rest des Monats magere 50 Schilling, kaum genug, um die Familie und das Kind nicht hungern zu lassen. Tanno wird wieder für das reichliche Mahl sorgen, da war sie sich gewiss. Sorge machte sich wieder in ihr breit, wie soll Ferry die lange Reise überstehen ohne Geld im Sack? Franzine schien ihre Gedanken erraten zu haben, denn sie meinte ganz ohne Umschweife: „Mach dir keine Sorgen Senta, Ferry braucht für den Start kein Geld, der Tank ist voll und so wie ich ihn kenne, wird er sich bestens durchschlagen können.“ An ihm gewandt sagte sie: „Bring das Lourdes Wasser heil nach Hause, und bitte pass auf dich auf, es ist immer ein schöner Augenblick, wenn du wohlbehalten zur Tür reinkommst.“ Dann umarmte er sie wieder und beugte sich dann zu Bernadette ins Bettchen und küsste sie leicht auf die sanfte Kinderwange.

      „Ich bin bald wieder da, macht euch keine Sorgen, sagt Papa auf Wiedersehen von mir. Wenn ich Glück habe, stehe ich heute Abend schon auf französischen Boden. Macht es gut ihr alle.“ Rasch verschwand er durch die Tür und bald darauf heulte der Motor auf, Ferry gab Gas und seine Reise begann.

      Zwei Stunden später polterte Tanno in die Wohnung, betunken und mit schlechter Laune.

      „Mahlzeit“, rief er laut uns ließ sich auf einem der Stühle fallen. Das „scht“ der beiden Frauen kam zu spät, Bernadette wachte auf und begann sofort zu brüllen. Franzine konnte sie wieder beruhigen, sie spielte mit ihren Holzpuppen und den alten Stoffteddy mit dem einen Auge, an dem sie viel Gefallen gefunden hatte.

      „Er ist also schon weg“, sagte Tanno gereizt, „ hab ich’s mir doch gedacht, na wollen wir hoffen, dass er nicht mit leeren Händen nach Hause kommt, falls er überhaupt lebendig wieder hier auftaucht.“

      „Sprich nicht so schwarzseherisch daher, willst du mir Angst machen? Er hat seine Gründe warum er dies alles auf sich nimmt, das weißt du ganz genau, außerdem sieht er viel von der Welt, das alles werden wir nie erleben können. Und nun iss.“ Senta stelle ihm einen Teller randvoll mit Hühnersuppe hin und schnitt ihm noch zwei dicke Scheiben Brot vom Laib. Danach verzogen sie sich wieder ins Schlafzimmer um ihren Mittagsschlaf zu halten. Franzine atmete auf. Endlich allein sein können, auch wenn es nur für ein paar Minuten geschieht, genoss sie in vollen Zügen. Sie fühlte eine Art Befreiung in ihr, tief atmete sie wieder ein und betrachtete Bernadette die vor sich hinplapperte und mit ihren hölzernen Gesellen spielte. Man müsste sie überlisten, dachte Franzine, irgendwie muss es doch möglich sein die Behausung zu verlassen, ohne dass es jemand mitbekommen würde. Ob die Nachbarn ihren Mund halten würden, aber die wussten ohnehin nichts von Ferrys Forderungen. Mir wird was einfallen, war sie sich sicher, eines Tages werde ich ganz frei und ungezwungen die Strasse rauf und runtergehen können, mit meiner Tochter an der Seite und niemand wird auch nur das Geringste dagegenhaben. Sie knipste das Radio an, stellte es leiser, beschwingte Musik erfüllte die Küche. Eine günstige Zeit um in ihrem Buch weiterzulesen, Kleist’s Michael Kohlhaas wartete schon darauf. Der Gedanke an ihre Mutter schlich sich ein, wie lange hatte sie sie schon nicht mehr gesehen? Es müssten Monate vergangen sein, obwohl sie nicht all zu entfernt von ihr wohnte, wurde ihr die Gelegenheit einfach geraubt um ihr einen Besuch abzustatten. Dies müsste sie schleunigst ändern, sie war sich sicher, dass sie schon in nächster Zeit zu ihr fahren könnte. Er konnte ihr nicht verbieten ihre Mutter zu sehen, schließlich hatte er selbst das beste Verhältnis zu Senta und tat alles Erdenkliche um sie zu beschützen und ihr Asthmaleiden wegzubringen. Natürlich musste dies heimlich geschehen, niemand durfte erfahren, was sie vorhatte. Die Straße ohne seiner Begleitung zu betreten stellte zwar ein Risiko dar, aber nichts war unmöglich. Während Ferry noch auf Reisen war, und nur dann bestünde diese Möglichkeit sich mal fortzubewegen, endlich aus diesem Sog für ein paar Stunden zu entkommen. Sie plante ihren Besuch bei Freya, der schon in den nächsten Tagen stattfinden sollte. Ob sie Tanno einweihen sollte? Das müsste noch gründlich überlegt werden. Ob er dicht halten konnte vor Senta, die auf keinen Fall Wind davon bekommen durfte. Sie war entschlossen und zuversichtlich, Freya war bestimmt schon krank vor Sorge und Franzine schämte sich, dass sie nicht eher an ihre Mutter gedacht hatte. Das dies solch ein Übel darstellen könnte, hätte sie sich nie zu träumen gewagt. Doch sie hat ihr Versprechen gegeben, nun musste sie es brechen, egal was danach passieren wird. Ihr Entschluss festigte sich in ihrem Herzen. Sie empfand Freude, der günstige Augenblick wird bald kommen, ein Stück von Freiheit genießen, niemand konnte sie aufhalten, der besondere Tag war in greifbarer Nähe.

      Der Nachmittag verlief ruhig, Bernadette war beschäftigt mit ihren Spielsachen und Franzine schnappte sich ihr Buch und begann zu lesen. Senta und Tanno kamen nicht mehr aus dem Schlafzimmer, so war sie auch abends alleine mit Bernadette in der Küche, fütterte sie, zog ihr das Nachtgewand an und legte sie schlafen. Sie löste den Haarknoten auf und flocht sich einen dicken Zopf der ihr über den Rücken lief. Bald war sie eingeschlafen, wachte Nachts auf und holte Bernadette zu sich. Das Atmen ihrer Tochter beruhigte sie, der kleine Körper, der warm und ruhig neben ihr lag, zauberte ein Lächeln auf ihre Lippen. Die Vögel waren verstummt, Franzine hatte nicht vergessen die Tücher über die Käfige zu legen. Morgen kommt ein neuer Tag, ein ganz besonders guter Tag, war sie sich gewiss.

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