Wo ist denn eigentlich dieses Glück?. Katja Pelzer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Katja Pelzer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748599517
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Jahr über Blumen wachsen. Außerdem hat sie mehrere Salat- und Kräutersorten gesetzt.

      An den Wochenenden stellt sich Iris manchmal einen Stuhl nach draußen und liest im Schatten ihres Baumes die Zeitung oder ein Buch. Manchmal setze ich mich zu ihr und wir erzählen uns von unserer Woche, von den Menschen, die uns begegnet sind und überhaupt, was alles so passiert ist, in der Welt.

      Iris versorgt mich immer mit den neusten Liebesromanen aus dem Buchladen, in dem sie seit ihrer Jugend arbeitet. Sie ist etwas älter als ich. Ihr Sohn ist längst aus dem Haus und ihr Mann noch länger. Wenn sie heute Kontakt zu ihm hat, dann nur, um mit ihm über ihren Sohn zu sprechen oder um der alten Zeiten willen. Heute verbindet sie kaum noch etwas sonst mit ihm. Aber sie sind sich auch nicht mehr böse. Die Menschen, derentwegen sie auseinander gegangen sind, gehören ebenfalls längst ihrer Vergangenheit an.

      Zugegeben – es ist auch nicht immer nur still bei uns im Hof. Denn hinterm Haus verlaufen Bahngleise. Aber es ist ein relativ gleichmäßiges schnurrendes Geräusch, das die vorbeifahrenden Züge verursachen. Wenn auch Schlafen bei geöffnetem Fenster unmöglich ist.

      Aber Grün ist es bei uns. Der Bahndamm – wild bewachsen mit Brombeerbüschen, Kirschbäumen und Sommerflieder – ist das reinste Biotop. Hier brüten viele Vögel.

      „Hast du schon die Sache mit Piet gehört?“ fragt Iris mich.

      Ich schüttele den Kopf. Was er wohl jetzt wieder angestellt hat?

      Piet ist ein weiterer Nachbar und gleichzeitig der Vermieter und Verwalter des Gebäudes, in dem meine Eltern einst unsere Wohnung gekauft haben. Piet ist eigentlich gelernter Schreiner und hat seine Werkstatt ebenfalls in unserem Hinterhof. Er hat von seinen Eltern verschiedene Immobilien geerbt, die er verwaltet und von deren Mieteinnahmen er ganz gut leben kann.

      Piet ist aber auch Umweltaktivist. Er ist Mitglied bei sämtlichen Organisationen von Avaaz über change.org bis hin zu Sumofus. Und natürlich bei Greenpeace. Er unterschreibt jede Woche mindestens eine Petition. Für die Orang Utans in Borneo, die Elefanten in Afrika oder gegen den Plastikmüll. Häufig startet er auch eigene Aktionen. Dabei kommt er manchmal mit dem Gesetz in Konflikt.

      Iris versorgt ihn mit Büchern von Alain de Botton, Schätzing oder Precht. In meine Gedanken hinein erzählt sie mir von Piets neustem Projekt:

      „Er hat tonnenweise leere Pappbecher aus den Mülltonnen in der Innenstadt zusammengetragen und sie mit seinem Sprinter vors Rathaus gekippt. Dann hat er sich selbst als Riesenpappbecher verkleidet und mit ein paar Freunden und Plakaten gegen die Verschwendung und die Riesenmüllberge protestiert, die wir mit unserem wahnwitzigen Coffee-to-go verursachen. Das kam nicht so gut an. Dabei hat er ja Recht!“, erzählt Iris mir. „Er hat mir vorgerechnet, dass die leeren Becher nur eines Jahres, würde man sie übereinanderstapeln, bis zum Mond reichen würden.“

      „Das ist schon ein echter Wahnsinn“, sage ich und muss kurz an den schönen Bambusbecher mit den bunten Blumen und den schön hin geschnörkelten Worten All you need is love denken, den Piet mir zu meinem letzten Geburtstag geschenkt hat. Ich habe mich sehr darüber gefreut, obwohl ich eigentlich gar nicht der Coffee-to-go-Typ bin. Ich setze mich lieber hin, wenn ich einen Kaffee trinke. Aber mit meinem Bambusbecher gehe ich seitdem immer in die Kantine des Seniorenheims und lasse mir einen frischen Cappuccino hineinfüllen.

      „Und wie geht es dir und dem schönen Herrn Doktor?“, fragt jetzt Iris in meine Gedanken und stupst mir grinsend mit dem Ellbogen in die Seite.

      Ich habe ihr irgendwann mal von meiner Schwärmerei erzählt. Ja, peinlich, ich weiß. Heimlich verknallt zu sein ist ja das eine, darüber zu reden, ist einfach nur peinlich. Aber vor Iris ist mir tatsächlich gar nichts peinlich. Sie ist superpatent, aber auch ein wirklich mitfühlender Mensch. Und sie ist vermutlich der einzige Mensch auf der Welt, dem ich meine größten Geheimnisse anvertrauen kann. So auch das über Dr. Benno Franzen.

      „Hach ja“, sage ich und seufze. „Ich bin ja schon froh, dass er sich meinen Namen merken kann.“

      Wir lachen. Obwohl es ja eigentlich gar nicht lustig ist. Ich bin ja wirklich ziemlich verknallt in Dr. Benno Franzen.

      Iris sagt „Nicht aufgeben!, zwinkert und winkt mir noch einmal zu, als ich die Stahltreppe zu meiner Wohnung hinaufsteige.

      Kapitel Fünf

      Manchmal gehe ich mit dem Gefühl durch den Tag, ich sei eine dieser Figuren aus meinen Filmen. Ich schaue mit ihren Augen in die Welt. Nicht mit jenen von Alice, sondern beispielsweise mit jenen von Feride, dem wunderschönen Schulmädchen mit dem großen, verletzten Herzen, das die Eltern früh verlor und daher bei Tante und Onkel aufwuchs. Sie ist heimlich verliebt in ihren Cousin Kamran.

      Mit diesem Schatz im Herzen gehe dann auch ich durch den Tag und das können mir alle ansehen, denen ich begegne, an einem solchen Tag. Da bin ich mir sicher. Und was kann mir schon geschehen, wenn ich Kamran in meinem Leben habe und so wunderschön bin wie Feride? Das fühle ich dann auch genauso. Ich bin dann nicht mehr so allein. An solchen Tagen bin ich viel stärker, selbstbewusster. Es gibt dann jemanden, für den es sich zu leben lohnt.

      Beinahe im nächsten Augenblick denke ich, dass doch auch alle diese alten Menschen, für die ich da bin, ein guter Grund sind, dass ich lebe. Und dann wird es wieder ruhig in mir und ich bin wieder Alice.

      Alice, die Krankenschwester. Und neben ihrer Arbeitsstätte blühen Apfelbäume. Das klingt doch gar nicht so schlecht.

      Genau so ein Tag ist heute.

      In diesem Moment stellt ein Schornsteinfeger sein Fahrrad vor einem Haus ab, direkt vor meiner Nase.

      Ich gehe auf ihn zu, sage höflich „Guten Tag“, und frage „darf ich?“

      Er dreht sich lächelnd zu mir um und sagt „Na klar!“

      Und da lege ich ihm die Hand auf die Schulter und er sagt „Viel Glück!“

      Mein Herz macht einen ausgelassenen Sprung.

      Ich gehe weiter und bin mir gar nicht sicher, ob es genügt hat den Schornsteinfeger an der Schulter anzufassen. Oder ob ich an seinen Goldknöpfen hätte drehen müssen. Jedenfalls gehe ich mit einem regelrechten Hochgefühl weiter die Straße entlang.

      Und dann radelt doch tatsächlich noch ein zweiter Schornsteinfeger an mir vorüber.

      „Guten Tag“ rufe ich und winke ihm strahlend zu. Allein sein Anblick macht mich jetzt noch ein wenig glücklicher. Falls das überhaupt geht.

      Er antwortet „Guten Tag“ und winkt lächelnd zurück.

      Was das wohl mit den Schornsteinfegern macht, dass sie für das Glück der Menschen verantwortlich sind? Vielleicht sind sie ja dadurch selbst ganz besonders glückliche Menschen.

       Aber vielleicht ist es ja auch nichts weiter als ein alter Aberglaube.

      Und dann frage ich mich zum ungezählten Mal – wo es denn eigentlich ist – dieses Glück?

      Kapitel Sechs

      Beata bedeutet die Glückliche. Das kann also eigentlich nur bedeuten, dass Schwester Beata echt Glück hat, finde ich. Mit so einem Namen geht sie sicher federleicht durchs Leben.

      Gerade hat sie sich in den Mutterschutz verabschiedet. Sie hat bereits einen vierjährigen Sohn und sie wird fürs Erste nicht zurückkommen. Das ist schade, denn wir sind gut miteinander ausgekommen.

      Irgendwie beneide ich sie. Es ist sicher schön, Mutter zu sein. Ich kann da leider nicht mitreden. Bei mir hat das mit den Männern und den Kindern irgendwie nie geklappt. Es hat zwar mal einen Mann gegeben, da war ich in meinen frühen Zwanzigern, der wollte das volle Programm mit mir. Nest bauen, Familie gründen. Aber als er mir das gesagt hat und mich fragte, ob ich ihn heiraten wollte, packte mich das kalte Entsetzen im Nacken. Verlust schrie es in mir. Das Gefühl breitete