Die Legende des verschollenen Königreiches. Ania Von Ork. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ania Von Ork
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738047783
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hatte man sie eingesperrt? Er hatte dem Mann doch bloß helfen wollen. Durch das kleine vergitterte Fenster konnte er den blassblauen Mond sehen. Wie, bei Ilisa, war er nur in diese Situation geraten? War das die Strafe dafür, dass er das Brot gestohlen hatte? Konnte die große Mutter so ungerecht sein? Er zog die Knie an die Brust und schlang die Arme um sich. Sein Atem hing in weißen Wolken in der Luft, so kalt war es hier. Er wurde von schweren Schritten geweckt. Vier Wachsoldaten kamen und öffneten die Tür. Er hatte das Gefühl, während des kurzen Schlafes von einer Horde Ochsen zertrampelt worden zu sein. Wann er eingeschlafen war, wusste er nicht mehr. Die Soldaten zogen ihn und seinen Vater hoch und schleppten sie die Treppen hinauf. Angst breitete sich in seinen Eingeweiden aus. Sein Magen war leer und brannte. Hinter sich konnte er seinen Vater hören, der immer noch nicht ganz nüchtern war und die Soldaten anpöbelte. Wann würde er endlich wach werden und merken, dass es alles nur ein Alptraum war? Sie wurden in einen Raum gebracht, an dessen einen Ende ein hoher Tisch war. An dem Tisch saßen in gepolsterten Sesseln drei Männer in schwarzen Roben. Brin erkannte einen von ihnen, er hatte ihn beim jährlichen Winterfest in der Prozession für die drei Heiligen schon oft gesehen. Er wusste, dass der Mann Richter war. Sorgenvoll betrachtete er das zerfurchte Gesicht und den schmalen Spitzbart. Der Mann links von dem Richter erhob sich und räusperte sich. „Der ehrenwerte Richter Edelbert Simon hat den Vorsitz in diesem Gerichtssaal.“ Er raschelte mit den Ärmeln seiner weiten Robe und machte einige gewichtige Gesten, dann räusperte er sich wieder. schließlich entrollte er ein Papier. „Das Gericht der Stadt Arman möge über diese beiden Bürger der Stadt nun Recht sprechen, auf dass ihnen einen schnelles gerechtes Urteil zuteilwerde! Den Angeklagten Friedrich und Brin Harnulfsson, fürderhin bezeichnet als Vater und Sohn, werden beschuldigt, den fahrenden Händler Peter Eschweiler am Abend des 11. Tages diesen Monats in der Kellergasse beraubt und gemeuchelt zu haben. Der unbescholtene Händler wurde mit mehreren Stichen in die Brust verwundet und verstarb eines grausamen Todes. Bei dem Angeklagten Friedrich Harnulfsson wurde die Geldbörse des Toten gefunden, sie enthielt fünf Goldtaler, sieben Silberstücke und dreiundfünfzig Kupferlinge. Es ist hieraus ersichtlich, dass es sich bei der Tat um einen niederträchtigen Meuchelmord handelte, um in den Besitz des Toten zu gelangen. Neben dem Toten wurde ein blutiges Messer gefunden, wobei es sich ganz offensichtlich um das Werkzeug dieser abscheulichen Tat handelt. Vater und Sohn waren beide mit dem Blut des Opfers besudelt. Wer von beiden den tödlichen Streich ausführte, ist allerdings noch unklar.“ Der Mann räusperte sich erneut und setzte sich. Brin hatte das Gefühl, als ob seine Knie unter ihm nachgeben würden. Der Richter wandte sich ihm zu und starrte ihn mit durchdringendem Blick an. Dann betrachtete er Brin‘s Vater, der Ilisa sei Dank aufgehört hatte herum zu pöbeln. Brin straffte die Schultern und versuchte, so gerade wie möglich zu stehen. Er hatte nichts getan. „Sind sie geständig?“ Die volltönende Stimme des Richters hallte durch den hohen Raum. In Brin‘s Ohren klang es wie Donnergrollen. Der Kloss in seinem Hals hatte inzwischen die Größe eines Felsbrockens. „Nein. Bislang haben sich die Angeklagten dem Verhör verweigert.“ Brin glaubte nicht richtig zu hören. „Ich hab mich nicht geweigert. Ich weiß nicht mal, warum ich hier bin!“ Wie verzweifelt und dünn seine Stimme durch den Raum hallte. Richter Simon lachte hell auf. „Und wem in der Göttin Namen willst du mit der alten Leier einen Bären aufbinden?“ Jetzt wo Brin seine Stimme wieder gefunden hatte, sprudelten die Worte nur so aus ihm hervor. „Ich wollte dem Mann doch nur helfen, ich wusste nicht, dass er tot ist. Er wurde bestohlen, er hat es mir gesagt! Ich hab damit nichts zu tun! Ich besitze nicht einmal ein Messer.“ Verzweifelt sah er von einem zum anderen. Richter Simon wandte seine Aufmerksamkeit nun seinem Vater zu. „Hast du auch noch etwas dazu zu sagen?“ Sein Vater sah nur benommen auf und blickte mit glasigen Augen zum Richtertisch hoch. Bitte lass ihn nichts Törichtes tun! Brin schloss die Augen und spürte wie kalter Angstschweiß seinen Rücken hinunterrann. Als er die Augen wieder öffnete sah er, wie sein Vater in hohem Bogen ausspuckte. Kalte, nackte Verzweiflung stieg in ihm hoch. „Ich hab einem räudigen Hund wie dir gar nichts zu sagen.“ Brin schloss die Augen wieder. Immerhin standen sie hier, sich zu äußern. Er hatte wenigstens Hoffnung gehabt, lebend aus dem Gefängnis herauszukommen. Und sein Vater hatte sie geradewegs auf die Schlachtbank gebracht! Richter Simon erhob sich. „Da Vater und Sohn nicht geständig sind, obwohl die Beweise ihre Schuld eindeutig belegen, gehe ich davon aus, dass nur die Folter ihre verstockten Zungen lösen wird. Führt sie ab.“

      Er kam erst in der Zelle wieder zu sich. Jeder Zentimeter seiner Haut schmerzte und seine Muskeln zitterten unkontrolliert. In seinem Schädel dröhnte es und er wünschte, er hätte genug in seinem Magen, um sich zu übergeben. Er hatte jedes Zeitgefühl verloren. Ein Fauchen und Stöhnen drang wie aus weiter Ferne an sein Ohr. Ein Schrei hallte durch die Gänge. Jemand hatte ihm sein Hemd geklaut. Erinnerungen zuckten durch seine Gedanken, aber er war zu schwach, um sie festzuhalten. Wie Wasser strömten sie wieder davon. Unter Schmerzen kroch er auf den Strohhaufen zu und wünschte sich weit weg. Schon sank er wieder in gnädiges Vergessen. Als er das nächste Mal erwachte, hatten die Kopfschmerzen nachgelassen. Jemand hatte einen Becher Wasser direkt vor ihn hingestellt, auf dem Becher lag ein Kanten Brot. Hungrig griff er danach und biss große Stücke ab. Sein Mund war so trocken, dass er kaum kauen konnte. Hastig nahm er einen Schluck von dem Wasser. Viel zu schnell hatte er Wasser und Brot aufgezehrt und nahm sich zum ersten Mal die Zeit, sich vorsichtig umzusehen. Er war in eine andere Zelle verlegt worden. Diese hier hatte kein Fenster und die Wände waren feucht. Es roch nach Schimmel und Moder. Er musste sich tief in den Kellern des Wasserturms befinden, weit unter dem Flussbett des Cor. Ein stetiges Tropfen hallte durch den schmalen Raum. Er konnte seinen Vater nirgendwo entdecken.

      Die Angst kam so heftig zurück, dass ihm ganz schwindlig wurde. Er musste ruhig bleiben. Nachdenken. Sein Herz flatterte in seiner Brust wie ein kleiner Vogel. Schicksalsergeben kroch er zur Wand und lehnte den Kopf an den kühlen, schleimigen Stein. Was war nur geschehen? Er hatte keine klare Erinnerung mehr an die Folter, er wusste nur noch, dass er nie im Leben solche Schmerzen gehabt hatte. Und die Schreie gellten ihm noch in den Ohren. Seine eigenen Schreie? Hatte er gestanden? Er würde hier nie wieder rauskommen! Oder doch, wenn man ihn abholte, um ihn zum Richtplatz zu schleifen. Alles, was er tun konnte, war warten. Er konnte nichts dagegen tun, die Angst war wieder da und er stürzte in ein bodenloses Loch der Verzweiflung.

      5.

      Der neue Morgen kleidete sich in zartes Rosa. Tristan war schon früh aufgewacht. Er hatte schlecht geträumt und beobachtete nun, wie die Sonne höher kletterte. Henrik regte sich bereits in dem kleinen Nachbarraum, der dem Knecht zugeteilt worden war. Er konnte ihn umhergehen hören. Vermutlich würde er bald hereinschauen und fragen, ob er das Frühstück hier oder im Speisesaal einnehmen wollte. Ihm war heute Morgen nicht nach aufstehen. Aber der Tag war schön und wollte genutzt werden. Er würde mit seinem täglichen Rundlauf beginnen, sobald er den Mut gehabt und sich für die Prüfungen eingetragen hatte. Stöhnend zog er die Decke über den Kopf. Henrik öffnete die Tür und lugte herein. „Seid ihr schon wach, Herr?“ Tristan brummelte etwas Unverständliches. „Wollt ihr euer Frühstück hier oben einnehmen?“ Er schlug die Decke zurück. „Ja. Aber vorher werde ich eine Runde laufen. Ich möchte das Frühstück in einer Stunde haben.“ Henrik nickte und verschwand, um gleich darauf mit Tristans Laufkleidung über dem Arm zurückzukehren. Er zog sich an und ging in die Bibliothek, wo die Liste auslag, in die er sich eintragen musste. Gerade hatte er nach dem Federkiel gegriffen, als er hörte, wie die Tür geöffnet wurde. Er warf einen Blick über die Schulter. Gwynevra hatte sich so sehr beeilt herzukommen, dass sie barfuß gegangen war. Anna, die dumme Gans, war natürlich nirgendwo zu finden gewesen. Verzweifelt bemüht einen guten Eindruck zu machen, versuchte sie so grazil wie möglich auf ihn zuzugehen. Die rechte Hand hatte sie hinter dem Rücken versteckt. Was er wohl zu ihrem Geschenk sagen würde? Er hatte gedacht, dass er der Einzige wäre, der so früh am Morgen in die Bibliothek ging. Warum war sie gekommen? Schnell kritzelte er seinen Namen auf die Liste und wandte sich ihr zu. Was sie wohl hinter dem Rücken versteckt hielt? Sie zog die Schneekugel hervor, die sie sich extra aus Nanankra hatte schicken lassen. Sie liebte Schneekugeln über alles und sie war felsenfest davon überzeugt, dass er sie ebenso mochte. Es konnte gar nicht anders sein. Diese hier war ganz besonders hübsch, der Kristall in ihrem Innern leuchtete in einem kräftigen Rot. Diese Leuchtintensität war überaus selten bei den kleineren Kristallen.