Die Legende des verschollenen Königreiches. Ania Von Ork. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ania Von Ork
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738047783
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Aber sie war der felsenfesten Überzeugung, dass sie so eine Behandlung nicht verdiente. Seit sie hier war, schlich Ihre herzogliche Hoheit ihr hinterher und sah ihr auf die Finger. Machte sie einen Fehler, wurde sie sofort gerügt oder bei Hermine, der Ersten Zofe, angeschwärzt. Und manchmal erfand Gwynevra einfach neue Regeln. Erst gestern hatte sie behauptet, ihren Tee ausschließlich mit zwei Stück Zucker zu trinken, anstatt wie üblich mit einem. Als Anna dann eine neue Tasse Tee brachte, wollte sie auch den nicht mehr, er wäre zu süß. Und das so früh am Morgen! Mal sehen, was heute auf sie zukam. Wütend drosch sie auf das Kissen ein und schnaufte vor Anstrengung. Gwynevra hatte vor dem Spiegel Platz genommen. „Hat sie gerade etwas gesagt?“ Gwynevra tupfte etwas duftendes Öl hinter ihre Ohrläppchen. „Nein, nein, ich hab nichts gesagt, Prinzessin.“ Stöhnend warf sie die Kissen auf das Bett und machte sich daran, die Laken glatt zu streichen. „Wenn ihr die Arbeit zu schwer ist, muss sie eben zurück in ihr Provinznest gehen und Schafe hüten.“ Warum sprach diese eingebildete, stolze Person nur immer in der dritten Person mit ihr? Anna hatte keine Ahnung, was das sollte. Eitel und hysterisch, wie das Gekreisch eines Pfaus! Und nichts anderes war sie, auch wenn Anna’s Mutter der Meinung war, dass sie einem im Grunde leidtun musste. Ja, dachte Anna säuerlich, es musste fürwahr schwer sein, in all dem Reichtum und Luxus aufzuwachsen. Wahrscheinlich war der edlen Prinzessin bei so viel Abwechslung nicht einmal aufgefallen, dass sie der eigenen Mutter entbehrte. Von wegen Mitleid. Sehnsüchtig erinnerte sie sich an ihre kleine Kammer zu Hause in Bringodem, von der man die Berge und den großen See sehen konnte und an ihre zwei kleinen Brüder. Die Zwillinge waren wesentlich leichter zu hüten als Gwynevra, obwohl sie erst acht waren. Wie gerne würde sie jetzt mit ihnen durch den Bringforst streifen oder ihren Vater zur Jagd begleiten. Stattdessen würde sie der holden Prinzessin bei ihrer zweistündigen Toilette helfen müssen und ihre Familie war mehrere Tagesreisen weit fort. Es kam ihr vor wie ein anderes Leben. Nein, wie eine ungerecht harte Bestrafung. Gwynevra‘s quengelnde Stimme drang in ihr Bewusstsein. „Warum hilft sie mir nicht? Immerzu trödelt sie!“

      Tristan schlich sich näher an das Wild heran und duckte sich tiefer ins hohe Gras. Der Wind kam günstig von Osten und der Frühnebel begann sich gerade aufzulösen. Das Reh vor ihm hob den schlanken Kopf und sog witternd die kühle Morgenluft durch die Nüstern ein. Einen Moment verharrten Jäger und Beute vollkommen still, nur das Rauschen des nahen Flusses und das Flüstern des Windes in den Bäumen war zu hören. Als das Reh den Kopf senkte und fortfuhr zu äsen, hob Tristan den Bogen und spannte die Sehne, den Pfeil abschussbereit. Er atmete langsam tief ein und hielt die Luft an, während er sorgsam zielte. Dann ließ er den Pfeil von der Sehne schnellen und zog blitzschnell einen zweiten aus dem Köcher. „Das war ein guter Schuss!“ Konrad Fuchs, der erste Jäger des Großherzoges, hatte sich bis dahin ruhig im Hintergrund gehalten. Jetzt zog er sein Messer und ging auf das gefallene Tier zu. Tristan entspannte sich, aber die Freude über die gelungene Jagd wollte sich nicht einstellen. Sorgsam verstaute er den Pfeil wieder im Köcher und folgte Konrad, der bereits begonnen hatte, das Tier auszuweiden und für den Transport zur Burg Werl fertig zu machen. „Das ist das zweite Rotwild heute Morgen. Eure Form ist hervorragend.“ Tristan hatte darauf nichts zu erwidern. Die Jagd begann ihn zu langweilen und die Festlichkeiten und Bankette, die der Großherzog Marvin Grenford alle Nase lang veranstaltete, waren ihm zu wider. Dennoch musste er gute Miene zum bösen Spiel machen, wollte er dieses Jahr in die herzogliche Garde aufgenommen werden. Ein ehrenvolles Amt, das schon sein Vater und sein Bruder vor ihm innegehabt hatten und das nur den Besten unter den Rittern vorbehalten war. Jedes Jahr wurden die zwei neuen Mitglieder der Garde vom Großherzog und den übrigen Mitgliedern ausgewählt. Diesmal gab es zwanzig Bewerber und Tristan hatte fest vor, am Ende der Prüfungen in den Rang eines Ritters der Ehrengarde erhoben zu werden. Er schlenderte zum Waldrand hinüber und rupfte einen Grashalm aus. In Gedanken versunken begann er ihn zwischen den Fingern zu drehen. Sein Vater würde ihm nicht verzeihen, sollte er die Prüfungen nicht schaffen. Tief atmete er die klare Frühlingsluft ein. Die Sonne kletterte immer höher und versprach einen warmen Tag. Wenn er versagte, würde er nicht mehr nach Hause können. Die stummen Blicke seiner Mutter und die beißenden Kommentare seines Vaters könnte er nie ertragen. Er sollte noch mehr Zeit auf seine Übungen verwenden. Konrad lief schweigend hinter ihm her, das Reh geschultert. Schon waren sie in den Wald eingetaucht und folgten einem schmalen Trampelpfad, der sie zu den Pferden brachte. Tristans Knecht Henrik hatte sie auf einer kleinen Lichtung am Flussufer grasen lassen. Jetzt kam er ihnen eilfertig entgegen und nahm Konrad die Beute ab. Tristan sah dem geschäftigen Treiben der beiden zu. Egal wie viel Wild er noch erlegen würde, es würde sein Ansehen bei seinem Vater ja doch nicht steigern. Seine Lage kam ihm recht aussichtslos vor. Diese ganzen Veranstaltungen auf der Burg Werl waren ihm zuwider und er würde am liebsten nun auf sein Pferd steigen und wegreiten, dem ganzen einfach den Rücken kehren. Warum konnte es ihm nicht so wie Henrik gehen? Der machte sich keine Sorgen, niemand erwartete derartige Prüfungen von ihm. Er lebte einfach sein unbescholtenes Leben. Tristan war neidisch. Warum verglich er sich mit dem Knecht? Er war charakterschwach, wie sein Vater gesagt hatte. Er riss den Halm in viele kleine Stücke. Vielleicht sollte er einen Drachen erlegen? dachte er mit zu viel Selbstironie. Etwas stupste ihn sanft, dann fordernder in den Rücken. Sein Wallach hatte sich unbemerkt von hinten genähert und forderte nun einen Leckerbissen. Er hielt dem Tier einen schrumpeligen, kleinen Apfel aus seinem Proviantbeutel hin und sah zu, wie es genüsslich kaute. Es machte einen zufriedenen Eindruck. Wie gerne würde er mit ihm tauschen. Konrad und Henrik saßen bereits im Sattel und warteten geduldig. Es wurde Zeit zurück zu reiten und sich den Lobgesängen des ehrenwerten Großherzoges zu stellen.

      Gwynevra hatte ihre Morgentoilette nach vielem Hin und Her beendet. Mit der Frisur hatte sie sich diesmal besonders viel Zeit gelassen, sie wollte diese kleinen süßen Löckchen haben, wie Herzogin von Gelsin aus Hegfor sie zum Winterball getragen hatte. Mit ihrem blonden Haar sah sie damit viel besser aus als die Dame. Aber erst nach mehreren Versuchen war sie mit dem Ergebnis ihrer Frisur auch wirklich zufrieden. Und ständig war die neue Zofe so unleidlich und aufmüpfig, wahrscheinlich war sie eifersüchtig. Wenn man so abseits der vornehmeren Gesellschaft in einem Walddorf aufwuchs, hatte man wahrscheinlich auch nicht sonderlich viel Benehmen. Wie hieß sie noch? Ada? Manchmal tat ihr die Kleine fast leid. Aber nur fast. Flink eilte sie die Treppe hinunter. Sie hatte das türkisblaue Kleid gewählt, dass so wundervoll ihre Augen betonte. Tristan war von der Jagd zurückgekommen und sie wollte ihn begrüßen. Dazu musste sie einfach hinreißend aussehen! Irgendwann würde er seine Schüchternheit schon überwinden und sie war fest davon überzeugt, dass er nur einen kleinen Schubs in die richtige Richtung brauchte. Ihr Magen machte einen Hüpfer und sie nahm völlig undamenhaft gleich zwei Stufen auf einmal! Aber es hatte ja niemand gesehen. Die Treppe führte in einem schwungvollen Bogen in die große Eingangshalle, die an ihren Längsseiten von gewundenen Säulen gesäumt wurde. Zwischen den Säulen hatte man einst marmorne Statuen platzieren lassen, die so lebendig wirkten, dass die Halle immer belebt schien, selbst wenn sie menschenleer war. In der Mitte der Halle wuchs eine riesige steinerne Säule empor, die aus mehreren ineinander verschlungenen Säulen zu bestehen schien. An der Decke der Halle verzweigte sich jede einzelne der Säulen wie die Äste mächtiger Bäume und ein einzigartiges Relief aus Blättern, Blumen und Vögeln verwob alles miteinander und ließ den Betrachter an die Krone eines versteinerten Waldes denken. Ein hohes Deckenfenster aus Buntglas über der breiten Eingangstür beleuchtete die Halle in den Farben der untergehenden Sonne, sodass man glaubte, an einem milden Frühlingsabend in einem lichten Hain zu wandeln. Der Fußboden war mit riesigen dunkelgrünen Marmorplatten ausgelegt. Gwynevra kannte dies alles, jedes Blatt und jeden kleinen Zweig. Hier hatte sie als Kind viele Stunden gespielt. Unten in der Eingangshalle trat sie durch die große Flügeltür und auf die Empore, von der links und rechts steinerne Stufen in den großen Hof führten. So schattig die Halle gewesen war, so hell leuchtete der Hof in der Morgensonne. Erst konnte sie gar nichts erkennen. Als sich ihre Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, konnte sie durch das weit geöffnete Schlosstor den Burgberg hinab über die Ebenen nach Süden blicken, bis zu den Hügeln am Horizont. Unruhig trat sie von einem Fuss auf den anderen. In den riesigen Steintrögen, die früher als Pferdetränken gedient hatten, blühten Stiefmütterchen und einige frühe Gänseblümchen streckten ihre noch blassroten Köpfchen aus der tiefbraunen Erde. Die Pferde wurden inzwischen im kleinen Hof getränkt, weil der große Hof nun für Paraden und Ankündigungen benötigt wurde. Das hatte ihr Vater der