Einen Verlängerten bitte. Elisa Herzog. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisa Herzog
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738021011
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      1

       Gebt mir ein raschelndes Kleid aus Chintz und Chiffon! Eine Stola aus Spitze, Handschuhe und einen Schutenhut!

      Das waren Sues Gedanken, als Terence den Jaguar über die Kiesauffahrt zum Haupteingang lenkte. So perfekt ihr Etuikleid für den Job in London auch sein mochte, für Rosewood Manor war es viel zu schlicht. Immerhin hatte sie Terence, der einen mehr als passablen Mr Darcy abgeben würde.

      Das Romantikhotel in der Nähe von Bath ruhte majestätisch im Herzen einer üppigen Parklandschaft und sah aus wie der Schauplatz eines Jane-Austen-Romans. Im weichen Licht des Spätnachmittags leuchtete die Sandsteinfassade wie ein Aprikosensorbet, das durch die sahnig weißen Fenstereinfassungen ganz besonders appetitlich wirkte.

      Bereits die Fahrt von London nach Westen durch die sommerliche englische Gartenlandschaft hatte Sue in Hochstimmung versetzt. An diesem Tag, ihrem 17. Hochzeitstag – und vor allem in der Nacht – würde Terence endlich ihr allein gehören. In einer luxuriösen Suite, nachdem sie sich mit einem exquisiten Gourmet-Menü in Stimmung gebracht hätten. Ihr Herz machte vor Vorfreude einen Sprung, und spontan gab sie Terence einen Kuss auf die Wange. Er lächelte sie an, und sie fühlte sich jung, schön und zu allem bereit. Ein leichter Zweifel nagte an ihr, aber den schob sie schnell beiseite. Ging nicht das, was man sich intensiv wünschte, in Erfüllung? Musste das nicht so sein, wenn sogar Quantenphysiker, also hochseriöse Wissenschaftler, dies behaupteten? Resonanzprinzip hieß das, glaubte Sue sich zu erinnern. Man zog das an, woran man glaubte. Sue beschloss, an den Erfolg des kommenden Abends zu glauben.

      „Mr und Mrs Urquhart?“ Die freundliche junge Dame an der Rezeption musterte sie etwas intensiver, als Sue angebracht schien.

      Andererseits, wer wollte es ihr verdenken: Dr. Terence Urquhart, der heißeste Sexpapst der britischen Inseln, checkte gerade ein. Da lohnte sich schon der ein oder andere Blick mehr.

      „Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt, Sir.“ Die Rezeptionistin reichte Terence die Schlüsselkarte.

      Ein Kingsize-Bett mit einem großzügigen, bordeauxrot schimmernden Baldachin, cremefarbene Bettwäsche, dunkelrote Polstermöbel mit lilafarbenen Kissenlandschaften, ein fast schwarzer, seidig glänzender Parkettboden. Viel Platz, um die anatomischen Grenzen des Körpers und die Fantasie des Geistes auf die Probe zu stellen. Sue strich fast ehrfürchtig über die perfekt geglätteten Laken und stellte sich vor, wie sich der teure Stoff an ihren Körper schmiegen würde. „Ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt“, murmelte sie. Leichte Gänsehaut breitete sich auf ihren Armen aus.

      „Darling, ich will dich nicht aus deinen Tagträumen reißen“, entschuldigte sich Terence, „aber unser Tisch ist für acht bestellt und das ist in zehn Minuten.“

      „Schade“, meinte Sue und schmiegte sich an ihn. „Wir hätten uns schon etwas eingewöhnen können.“

      „Du wirst mich heute noch genug genießen können. Außerdem“, nun knabberte er an ihrem Ohr, „habe ich wirklich Hunger.“

      „Ich eigentlich auch“, gab Sue zu und knabberte zurück, an einer Stelle am Hals. Fürs Ohr war sie ein wenig zu klein.

      Das war eben der Unterschied zu einem frisch verliebten Paar, dachte sie ein wenig ernüchtert: Diesem wäre ein reservierter Tisch egal. Nach siebzehn Jahren Ehe war man jedoch wieder in der Lage, Prioritäten zu setzen.

      „Dann machen wir uns mal fein“, sagte Sue und freute sich darauf, ihr neues Kleid von Alberta Ferretti ausführen zu können, für das sie die letzten beiden Wochen gehungert hatte. Die Schnittführung war so raffiniert, dass ihre leicht dominante Hüfte perfekt kaschiert wurde und ihr hübsches Dekolleté sich auf das Prächtigste präsentierte. Sie würde sich fühlen wie eine Sexgöttin.

      Mit einer Viertelstunde Verspätung – selbst eine Sexgöttin brauchte schließlich ein gutes Makeup – hielten sie und Terence Einzug in das Michelin-besternte Restaurant. Da ihr Tisch am Fenster stand, mussten sie den gesamten Saal durchqueren, und Sue genoss die Blicke, die auf ihnen ruhten. Früher wäre ihr das peinlich gewesen, aber mittlerweile tat ihr die Aufmerksamkeit genauso gut wie eine teure Wellnessbehandlung. Leichtes Getuschel machte sich breit: Einige Gäste hatten wohl Terence erkannt und würzten mit lässigem name-dropping ihre Tischgespräche. Um die beiden dann ebenso lässig den ganzen Abend zu ignorieren. Das war der Vorteil, wenn man in einem Restaurant dieser Klasse speiste: Man wurde in Ruhe gelassen.

      Sobald sie auf den cremefarben gepolsterten Stühlen saßen und kurz die Aussicht bewundert hatten – wenn der leichte Wind die Blätter der riesigen Buchen etwas nach rechts blies, konnten sie das Lichtermeer von Bath erkennen – brachte der Kellner den Champagner.

      Nachdem der Sommelier mit ausgesprochener Eleganz, die Sue ihm außerhalb des Restaurants bei seinem sehr robusten, an einen Rugbyspieler erinnernden Körperbau nicht zugetraut hätte, den Champagner eingeschenkt hatte, erhob Terence sein Glas. „Auf die wunderbarste Frau der Welt.“

      Sue schossen Tränen der Rührung in die Augen. Nach so langer Zeit so etwas zu hören, von ihrem Terence, den sie vor 17 Jahren heimlich im schottischen Gretna Green geheiratet hatte ...

      Sie hatte es nie bereut, obwohl der Anfang nicht leicht gewesen war. Mit ihrem damals noch etwas holprigen Englisch, ohne Studienabschluss und einem zwar soliden, aber einfachen familiären Hintergrund war sie für Terences Mutter Tessa alles andere als die Traumschwiegertochter gewesen. Freunde der Familie pflegte sie über den Familienneuzugang folgendermaßen aufzuklären: „Sie ist die Tochter eines Fotografen aus Hallstatt.“ Dann folgte für gewöhnlich eine Kunstpause. „Ihr wisst nicht, wo das liegt?“ Gewöhnlich folgte nun ein gekünsteltes Lachen. „Hinter Salzburg, dort, wo die Häuser fast in den See fallen.“ Kein Wort ihrer Beschreibung klang für sich betrachtet abwertend, doch Tessas Tonfall drückte mehr als deutlich ihre ganze Geringschätzung für die Schwiegertochter aus.

      Die männlichen Mitglieder der Familie, allen voran Vater Aubrey und dessen Bruder Selwyn, waren da weit aufgeschlossener gewesen. Nun ja, ein ansehnlicher Busen, blaue Augen und blonde Locken waren durchaus Argumente, die der Integration einer Ausländerin zuträglich waren. Damals hatte Terence gerade seine gynäkologische Praxis eröffnet. Er saß auf einem Berg von Schulden, arbeitete wie verrückt und machte sogar noch eine Fortbildung zum Psychotherapeuten. Dann ging es Schlag auf Schlag nur noch in eine Richtung – nach oben, und jetzt war Terence Urquhart eine Kapazität, der Sex-Spezialist des Königreichs. Bekannt aus Funk und Fernsehen … Dazu zwei gesunde Kinder. Was wollte sie mehr?

      „Nicht weinen, Darling“, sagte Terence und wischte ihr zärtlich eine Träne von der Wange. „Trink.“

      Sue nahm einen Schluck. „Ein guter Jahrgang“, sagte sie.

      „So wie du.“

      Ach Terence, dachte sie, irgendwie findest du trotz allem immer wieder genau die richtigen Worte. Der Champagner schickte ein wohlig-warmes Prickeln durch ihren Körper und legte über ihre Augen einen Weichzeichner. Mit einem glückseligen Lächeln lehnte sie sich zurück und ließ ihren Blick durch das Restaurant schweifen. Alles war so schön hier, so zurückhaltend exquisit: Die kostbaren Lüster, die erlesenen Hölzer der Wandtäfelung, die makellos gestärkten elfenbeinfarbenen Tischdecken, die Roben und der Schmuck der weiblichen Gäste (was das Aussehen derselben betraf, half der Weichzeichner zum Teil enorm), das leise Klirren des altmodischen Silberbestecks, selbst der dezent französische Akzent des Kellners, der mit einem kleinen Gruß aus der Küche an ihrem Tisch aufgetaucht war. Er servierte ein stylisches Etwas auf einem kleinen Teller, das sich als Feige im Rohschinkenmantel entpuppte.

      „Feigen, so, so“, murmelte Terence.

      „Was, so, so?“, fragte Sue.

      Terence senkte seine Lider und setzte etwas auf, das er wohl für einen Schlafzimmerblick hielt. Tatsächlich wirkte er eher wie ein Schmierenkomödiant, der versuchte Valentino zu sein.

      „Sie machen gelüstig und haltlos.“

      Sue kicherte.